Aurora, eine Zeitschrift
aus dem südlichen Deutschland (München), 26. 10. 1804, Nr. 129, 515f.
Die Familie Schroffenstein Coruscationen.
Die Familie Schroffenstein erscheint mir wie ein tragisches Intriguen-Stück, das
Schicksal gefällt sich dießmahl, allerlei subtile Knoten zu schürzen, und vom
Erbvertrag aus neckt es wie ein Rübezahl aus seinem Berge die beiden Familien, und
verblendet sie, und wirft Haare zwischen sie, über die sie stolpern, und führt ihnen
sichtbar die Hände, mit denen sie sich einander aufreiben. Dabei ist eine große
architectonische Regularität in dem Stücke; wie zwei Säulenordnungen stehen die beiden
Familien einander gegenüber, und wie eine der Säulen auf jener Seite stürzt, folgt eine
auf der entgegengesetzten nach; Ruperts Knabe stirbt, und der Vater glaubt er sey ihm
ermordet; Sylvesters Sohn stirbt, und die Mutter wähnt er sey ihr vergiftet; Ruperts
Herold wird auf Sylvesters Burg ermordet, Hieronimus dafür auf Ruperts Burg; Rupert
ersticht am Ende Sylvesters Tochter Agnes, und dieser Ruperts Sohn Ottokar u. s. w. In der
Ausführung der einzelnen Theile stößt man wohl auch auf Reminiscenzen, wenn zum
Beispiel König Johann bei Shakespeare zu Hubert sagt:
Es ist der Könige Fluch, bedient von Sclaven
Zu seyn, die Vollmacht sehn in ihren Launen,
Zu brechen in des Lebens blutges Haus,
Und nach dem Wink des Ansehns ein Gesetz
Zu deuten, zu errathen die Gesinnung
Der drohnden Majestät, wenn sie vielleicht
Aus Laune mehr als Überlegung zürnt.
Dann ist die Sentenz einem Könige von England allerdings angemessen, aber es klingt etwas
seltsam, wenn ein kleiner rheinischer Ritter sagt:
Das eben ist der Fluch der Macht, daß sich
Dem Willen, dem leicht widerruflichen,
Ein Arm gleich beut, der fest, unwiderruflich
Die That ankettet.
Aber ein schönes Gemüth prägt sich in diesem Stoffe aus, ein bedeutungsvolles Leben hat
der Dichter dem Worte eingehaucht, und seine Gestalten gehen meistens mit bestimmter
Individualität hervor, und bewegen sich zwanglos und frei nach dem Rhythmus ihrer inneren
Natur. Treffliche Situationen sind über das ganze Stück reichlich vertheilt, die Scene
in der Höhle zwischen Ottokar und Agnes im letzten Aufzuge ist von großer Schönheit,
obgleich die französische Critic sie ohne Zweifel sehr indecent finden würde. Nur das
Ende des Stückes ist übereilt, kalt, abgestoßen, und der Wahnwitz Johanns, wie er sich
äußert, macht eine harte Dissonance für den Sinn. Einzelne gelungene Stellen kommen
ebenfalls häufig vor: zum Beispiel wenn Agnes im dritten Aufzuge sagt:
Stunden lang hab ich
Gesonnen, wie ein jedes einzeln Blümchen
Zu stellen, wie das unscheinbarste selbst
Zu nutzen sey, damit Gestalt und Farbe
Des Ganzen seine Wirkung thue. Nun
Der Kranz ist ein vollendet Weib, da nimm
Ihn hin. Sprich er gefällt mir; so ist er
Bezahlt.
Und eben so, wenn Ottokar an einem andern Orte spricht:
Ich fragte dich nach deinem Nahmen,
Du seyst noch nicht getauft, sprachst du! Da schöpfte
Ich eine Hand voll Wassers aus dem Bache,
Benetzte dir die Stirn, die Brust, und sprach:
Weil du ein Ebenbild der Mutter Gottes,
Maria tauf ich dich.
Die Zeit, der solche Erstlinge zum Opfer dargebracht werden, zeigt sich ihrer unwerth,
wenn sie sie nicht dankbar aufnimmt, und den jungen Genius auf ihren Flügeln trägt, bis
er erstarkt, und auf eigenen Fittigen sich über sie hinausschwingt.
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