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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Abendzeitung (Dresden), 15.-17. 12. 1819, Nr. 299-301, unpag.

Karl August Böttiger, Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden

Nachrichten aus dem Gebiete der Künste und Wissenschaften.

Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden.

Den 4. und 5. December. Zum ersten und zweiten Male: Das Käthchen von Heilbronn, romantisches Ritterschauspiel in 5 Akten, mit einem Vorspiel: Das Vehmgericht, nach Heinrich von Kleist, frei bearbeitet von Holbein.
Hier ist der Sitz von den eben so zarten als unzarten Käthchen von Heilbronn, ruft Klingemann in Kunst und Natur, als er bei den Ruinen der Ritterfeste, der Stralenburg vorbeikommt. Wir können in Dresden sagen: hier bei uns ist der Geburtort des bei allen seinen Verirrungen und Unfügsamkeiten doch wahrhaft genialen Gedichts, welches zuerst im Mai 1810 am Theater an der Wien in der Kaiserstadt in seiner ursprünglichen wilden Regellosigkeit aufgeführt wurde, dann aber noch in demselben Jahre in Berlin unter dem doppelten Titel als Käthchen und als Feuerprobe (Berlin, Realschulbuchhandlung, 196 S. in gr. 8.)im Druck erschienen ist. Heinrich v. Kleist, durch seine Schicksale und gewaltsamen Tod in sich selbst eine Tragödie darstellend, vollendete das Käthchen von Heilbronn während seines Aufenthalts in Dresden im J. 1808, las hier seine Dichtung im vertrauten Kreise mehrmals vor und ließ in einem von ihm und A. Müller in demselben Jahre hier herausgegebenen, seinem innern Vollgehalte nach viel zu wenig bekannt gewordenen Journal für die Kunst, Phöbus, (im 4.-9. Stücke des ersten, aber nie zum Zweiten fortgeschrittenen Jahrgangs) die ersten 3 Akte ganz so, wie sie später im Ganzen erschienen, als Probe abdrucken. Seine vertrauten Freunde sprachen fast alle dem regellosen, nach Göthe’s Götz gebildeten Erzeugniß die Bühnenfähigkeit ab. Mehrere Versuche, die damit auf nahmhaften Theatern gemacht wurden, verunglückten. Da legte Hr. Holbein (seit Kurzem Regisseur des ständischen Theaters in Prag, damals in Hannover) endlich Hand an, machte aus dem ersten Akte ein einleitendes Vorspiel, und rückte und schob, hier wegschneidend, dort eigne Fabrik einfügend, in den letzten 3 Akten so viel in und aus einander, daß es nun Bühnengerecht und auf mehrern Theatern mit glänzendem Erfolge aufgeführt wurde. Viel Herrliches ging allerdings verloren, besonders im Zweikampf des Waffenschmidts Theobald mit dem Grafen v. Strahl vor dem Kaiser und in der romantischen Verflechtung mit der bösen Kunigunde. Allein ohne Verkürzung müßte das Stück zwei Abende spielen. Und dieser Bedingung ist auch Göthe’s Götz stets erlegen. Nach Holbein’s Bearbeitung findet der Kaiser und Waffenschmidt sich in der Herberge an der Landstraße und dadurch wird die Entdeckung, daß Käthchen wirklich die natürliche Tochter des Kaisers sey, ungezwungen herbeigeführt. So sehr wir dieß loben, so wenig können wir den pöbelhaften Späßen des Wirths Pech, die ganz auf Rechnung des neuen Bearbeiters kommen, unsern Beifall geben, weil sie nach der neuesten Posse schmecken. Auch zürnen Kleist’s Manen mit Recht eben die Verwässerung der theilweise sehr schönen Jamben in prosaischen Aufguß.
Dem Dichter hat sich bei der Hervorbringung dieses oft mit flachem Kopfschütteln abgefertigten Stückes alle Tiefe der Gemüthswelt aufgeschlossen. Aber er vermochte den Stoff nicht zu gewältigen. Er unterlag in dieser Dichtung der Masse, so wie im Leben der Sinnenwelt. Auch hier verwickelte er sich im letzten Akt ohne Rettung in Scenengewirr, so wie auch sein früheres, noch in Zürich gedichtetes Trauerspiel: Die Familie Schroffenstein, bloß durch den letzten Akt unaufführbar wird, (warum macht sich kein Berufener an die Aenderung des Schlusses in diesem Trauerspiele von seltner Kraft und Schönheit im Einzelnen?) Bei seinen militärischen Streifzügen durch Schwaben fand Kleist die ganze Legende von Käthchen als eine Volkssage. Er bewahrte selbst das gedruckte Flugblatt noch auf, das er auf einem Jahrmarkte gekauft hatte. In der Befangenheit und im frommen Wunderglauben des 13ten Jahrhunderts wurzelt dieses ächtromantisch Blümchen Wunderhold. Käthchen recht aufgefaßt und gespielt, muß durchweg in ihrer Einfalt und Demuth einer Figur von Albrecht Dürer’s herzigsten Frauenbildern gleichen. Nichts kann im gemeinen Leben unzarter gedacht werden, als ein manntolles Mädchen, die mit Zurücksetzung aller Zucht, ihrem sie herrisch zurückstoßenden Geliebten, ein zweiter Schatten, auf Tritt und Schritt nachfolgt und dem Vater entlaufen, im Stall übernachtet und unter dem Holunderbusche an der Burg des Ritters ihre Ruhestätte findet. Aber die Legende schürzt hier durch Wunder und Engelerscheinungen den Knoten. Die Magie der Wahlverwandtschaft und des Magnetismus, sie waltet schon in dieser alten Volkssage. Da hieran selbst verständige Beurtheiler ein Aergerniß nahmen, so möge zur Rechtfertigung eines Stücks, dessen innerer Zauber in ganz andern Dingen als im Glanze der Diction und Rhetorik liegt, noch Folgendes hier stehen. Vielleicht findet es dadurch auch noch auf dieser und jener Bühne Gnade, wo es bis jetzt als abgeschmackt zurückgewiesen wurde.
Alles beruht darauf, wie Käthchen verstanden und gespielt wird. Sie ist der Stern in dieser Legende. Sie allein umschwebt der Seraph. Die demüthigste Hingebung und willigste Selbstaufopferung, Verleugnen aller äußern Zucht mit der innigsten Jungfräulichkeit, muß sie mit eigenem Zauber stets zu verschmelzen wissen, um den Zuschauern alles was sie thut und erfährt als ein fortdauerndes Wunder erscheinen zu lassen. Mit kindlicher Naivität, worauf es so manches andere Käthchen anlegte und auch wohl Beifall erndtete, ist es gar nicht gethan. In der Meinung des Mittelalters ist das Oberhaupt des heiligen römischen Reichs, der deutsche Kaiser, mit einer eignen Glorie umstralt. Er theilt ja mit dem Pabst die Herrschaft über die Christenheit. Seine im Verborgenen lebende Tochter ist’s also werth, daß selbst ein Engel ihr einen ebenbürtigen Bräutigam zuführe. Daher die Doppelerscheinung am Sylvesterabend, die nur dadurch kindisch wird, daß sie mit dem Bleigießen der albernen Mariane zusammenhängt.

(Die Fortsetzung folgt.)


Berichtigung. In Nr. 257 4te Seite 1ste Spalte 5te Z. von unten, ist statt Amphytrion, zu lesen: Amphitryon.

Nachrichten aus dem Gebiete der Künste und Wissenschaften.

Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden.
Das Käthchen von Heilbronn.
(Fortsetzung.)

Von dem Augenblicke an, wo dem Käthchen durch Strahl’s wirklichen Eintritt in des Pflegevaters Haus das Gesicht in Erfüllung geht, ist sie an diesem, ihr von Gott bestimmten Bräutigam mit den unauflöslichsten Zauberbanden gekettet. Sie muß ihn, wie ein sichtbarer Schutzgeist umschweben, das heißt, im bürgerlichen Abstand gegen die Ahnenreihe des Grafen, seine dienstbare Magd werden. Hier aber tritt zugleich ein zweiter Begriff des alten deutschen frommen Sinnes und Madonnenglaubens ein. Die weibliche Tugend ist Liebe. Diese muß aber durch die härtesten Prüfungen und Demüthigungen gehen, ehe sie gekrönt wird. So steht Käthchens inneres Treiben und Wesen nun ganz im Klaren. Sie erblickt in ihrem Geliebten immer den hohen, verehrten Herrn, dem sie ihre unaussprechliche Liebe nur als dienende Magd beweisen kann. Nichts zuckt, noch regt sich in ihrer Seele, wenn sie die härtesten Mißhandlungen erfährt. Fortstoßen mit dem Fuße, Drohen mit der Peitsche, Vergleichung mit dem Hunde, nichts macht sie irre. In ihrem Innersten flüstert eine Stimme: Es wird noch alles gut werden. Daher anfangs die Erstarrung, dann der Ausbruch des namenlosen Schmerzes, als sie mit dem Vater zum Kloster geht. Käthchens demüthige Dienstbarkeit, und wie sie bloß an den Blicken ihres hohen Herrn hängt, wird uns sogleich im Vehmgerichte offenbar. Es kann keine genügendere Exposition eines Stückes geben, als dieser erste Akt, der ganz willkührlich zum Vorspiele gemacht wurde. Aber ihr Innerstes muß uns nun auch, wie ein offenes Buch, aufgethan werden. Das thut die Traumrednerin. Man hat einige Ausdrücke von verliebten Käfern u. s. w. sehr unschicklich gefunden, ohne sich zu erinnern, daß sich doch wirklich so etwas in der Brust des keuschesten Mädchens, die so liebt, regen kann. Darum ist aber auch dieß Aufreizen und Hervorlocken durch das, was wir jetzt magnetischen Schlaf nennen, ein gar sündhaftes Beginnen. Der Dichter läßt den Strahl, bevor er die Träumende ausfragt, Gott um Verzeihung bitten. Das sollten alle Magnetiseurs kniefällig thun. Wohl ihnen, wenn sie, wie Strahl, ausrufen können: „Mein Herz ist rein von Falschheit und von Lüsten!“ Die ganze Traumscene ist übrigens so einzig und neu, daß, recht gespielt, sie allein schon dem Stücke stetes Gelingen zusichert. Aber daß hier alles in der Legende, in einer Welt voll Wunder vorgehe, muß dem Zuschauer stets gegenwärtig bleiben. Daher kann die Erscheinung des Engels nach der Feuerprobe, bei der Rettung aus der in Flammen zusammenstürzenden Burg im eigenen Lichtglanz nicht deutlich genug veranschaulicht werden.
Weiß nun die Schauspielerin, die Käthchen darstellt, sich ganz in diese Lage zu versetzen – bloße Phantasie thut’s nicht, sie muß die reinste Scham in dieß Phantasiegebilde verweben – so ist alles andere nur Einrahmung des Hauptbildes; selbst der Held des Stücks ist nur Werkzeug, er mag sich sträuben, wie er will; die verhärtete Giftmischerin Kunigunde ist nur zur Prüfung und Verherrlichung der erst Erniedrigten, dann Erhöheten da; Theobald muß auf Zauberei klagen, sich aber bald dem Willen des Mädchens, in Wehmut zerschmolzen, fügen; der Kaiser selbst muß erscheinen und Brautwerber, Brautvater werden; der Seraph mit der Palme überschwebt die bis zum letzten Augenblick demüthig gebliebene.
Wir sprechen nur das einstimmige Gefühl aller Zuschauer aus, wenn wir sagen, daß Mad. Schirmer durch das tiefe Eindringen in diese Rolle und ihre selbsterschaffende Gestaltung derselben sich als eine hohe Meisterin in Darstellungen dieser Art auf’s neue erprobt, ja uns erst deutlich gezeigt hat, was der Dichter mit diesem Käthchen wollte. Scheint doch die Rolle von Wallensteins hoher Tochter dieser ganz entgegengesetzt. Aber in beiden ist die jungfräulichste Aufopferung, der sicherste Takt in der reinen Brust der Grundton. Nur sind es die zwei Endpunkte derselben Linie. Beide erfaßt unsere Künstlerin mit gleich fester Hand. Alles, bis auf die kleinste Bewegung, war auch heute in ihrem Spiele wahrhaft durchdacht und mit sich selbst im reinen Einklang. Vom ersten fest auf Strahl gerichteten Aufschlagen des Auges am gesenkten Haupt – sie lebt, wie die Sonnenblume in der Metamorphose, nur in der Hinneigung zu seinem Blicke –, von dem ersten demuthvollen Anklange des „hoher Herr!“ bis zur verschämten Entschuldigung ihres Weinens, da sie bräutlich geschmückt als Kaisertochter da steht: „es ist in’s Aug’ mir was gekommen!“ (eine Naivetät, die, wenn sie nicht aus dem Ganzen, wie ein Thautropfen aus dem Regenbogen, hervorgeht, sicher lächerlich werden muß) und bis zum Hinneigen zum versöhnten Pflegevater in der letzten, alles vollendenden Glanz-Gruppe, kann jede Geberde und Miene als ein Pinselstrich zum ganzen Bilde angesehen werden. Der Hauptcharakter ist stille, fast wehmüthige Freundlichkeit mit innigster Resignation und Andacht einer, durch ein Wunder geweiheten, Jungfrau. Durchweg höchst einfache Geberdung. Gesenkte Arme, das Haupt auf der Brust eingesunken. Da, wo sie dem hohen Herrn gegenüber steht, frommes Aufblicken und Anpressen der Hände auf die Brust, gehorsames Niederknieen, wie vor einer Heiligen. Der Ton der Stimme, fast ohne alle muntere Hebung und Senkung, hatte oft etwas Fremdartiges, wie es aus dieser Lage, die man eine fortdauernde Vision nennen möchte, hervorgeht, und doch war er ansprechend, und entbehrte nicht des süßen Wohllautes. Desto ergreifender ihre Geschäftigkeit und fliegende Hast, wie sie, vom rücksichtlosen Diensteifer beflügelt, den Brief bringt, die Kundschaft ausspricht, die Waffen ergreift und bringt, in die Flammen sich stürzt. Wir sagen lieber nichts von der kunstreichen Natürlichkeit, womit sie unter dem Holunderbusche traumredet, das Köpfchen auf die theure Scherpe geschmiegt, die gefalteten Hände auf die linke Brust gelegt (denn sie ist ja betend entschlummert), und wie sie das „bitte, bitte!“ ausspricht, als Strahl das Maal sehen will, und dann die Hände sinken läßt. Dieß und wie sie nun erwachend aufspringt und in unaussprechlicher Angst den Richterspruch des hohen Herrn anfleht und endlich, nachdem sie mit ausgebreiteten Armen im Jubelgeschrei „mein!“ ausgeruften, plötzlich von vernichtender Demuth zurückgedrängt einwurzelt, muß gesehen werden. Wenn bei der zweiten Vorstellung der Ton des Schlafredens vielleicht etwas zu hell und fließend war, so wurde dagegen der innere Kampf, als zum Schlusse des Vehmgerichtes Strahl ihr Rückkehr zum Vater gebietet, durch ein, fast eine Minute dauerndes, stummes Spiel, und in der Scene mit dem, in Wehmuth zerschmolzenen Vater am Gnadenbilde vor dem Kloster, das vorbereitende Spiel mit dem Zucken der Hände bis zum Fallenlassen des Strohhutes vor dem Niedersinken auf die Kniee, bei der zweiten Vorstellung noch erschütternder gegeben. Solche Momente lassen sich nicht in Stereotypen setzen. Es sind Bewegungen der Sinngrenze, die von der leisern oder stärkern Berührung von außen abhängig, nur zu oft von den Mitspielenden erhöht oder niedergedrückt werden.

(Der Beschluß folgt.)

Nachrichten aus dem Gebiete der Künste und Wissenschaften.

Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden.
Das Käthchen von Heilbronn.
(Beschluß.)

Käthchens Costüm im bürgerlichen Sonntagsstaat war wie aus einem Bilde von Holbein gestohlen. Der lauteste Beifall der Zuschauer bewieß, wie zufrieden alles war. Doch der schönste Lohn war die sympathetische Thräne, die in manchem sonst trocknen Auge erglänzte; war die allgemeine Rührung, die sich am Ende durch ein stürmisches Hervorrufen der mit Recht gefeierten Künstlerin Luft machte. Käthchen ist ohne Widerrede eine der eigenthümlichsten und gelungensten Leistungen unsrer Künstlerin.
Aber sie wurde auch sehr brav von Hrn. Hellwig als Grafen Strahl und von Hrn. Werdy als Waffenschmidt Theobald unterstützt. Trotz aller hier verdreifachten Regisseursorgen bewährte sich Hr. Hellwig für die Rolle des Strahls mit aller Unbefangenheit und Ruhe des gemüthlichen Zuspiels und lösete mit großer Zufriedenheit der Zuschauer die Aufgabe, schroff zu scheinen und weich zu seyn. Vorzüglich gelang ihm der Ausdruck des Unwillens, als Käthchen ihm den Brief aufdringt. Hinter der Donnerwolke muß die Liebesgluth hervorblitzen. Ja er kann die Peitsche krampfhaft ergreifen und braucht sie nicht nach Holbein’s Vorgang mit einem Jagdgeräthe zu vertauschen. Wenn nur das krampfhafte Zucken beim Anpacken der Peitsche eben so gut gegen sich selbst – wie das im Zorn der Fall ist – als gegen die Zudringliche gerichtet zu seyn scheint. Große Dezenz und Feinheit bei der Traumscene. Viel Innigkeit im kurzen Selbstgespräch, das die Scene einleitet, erschütternd der Ausruf, nachdem er alles erfahren hat: „nun steh mir bei, mein Gott! denn ich bin doppelt.“ Nur im alles enthüllenden Monolog zu Anfang des ersten Actes möchten die Worte gleich Anfangs: Nun will ich wie ein Schäfer klagen! nach einer kurzen Umschau noch viel inniger zu sprechen, die Vision aber: Ihr Geister meiner Ahnen u. s. w., wieder nach einer Pause, in einem ganz andern Tone, als das vorhergehende vorzutragen seyn. Sein Costüm war besonders im letzten Acte angemessen und prächtig. – Hr. Werdy nahm die Rolle des Waffenschmidts aus Heilbronn, mit einer bürgerlichen Vornehmheit; die auch mit seiner wohlgewählten Tracht ganz im Einklange stand. Mit großer Wahrheit steigerte er seinen Schmerz in der Erzählung vor den Vehmrichtern und hörte die Rechtfertigung des Gegners nur mit wachsendem Entsetzen, nicht mit Grimassen des Zorns, an, wie dies wohl andre spielten. Unbeschreibliches Hinschmelzen in Güte und Wehmuth in der Scene am Heiligenbild vor dem Kloster. Dadurch erst wird auch Käthchens Spiel vollkommen motivirt. Einen solchen Vater muß sie so liebkosen. Den Rheingrafen von Stein gab Hr. Julius mit aller hier nöthigen Derbheit. Sein Spiel gegen Kunigunden im letzten Akt war höchst ergötzlich. Doch fragt sich’s, ob der Spott bis zu diesem Hohn auf der Bühne gehen kann. Der poetischen Gerechtigkeit eingedenk, sagen wir unbedenklich: ja! Aber um so peinlicher und schwieriger ist die Rolle der bösen Kunigunde. Dem. Schubert hätte laute Anerkennung verdient, daß sie diese undankbare Rolle so kräftig und so ganz gegen ihr Inneres durchführte. Wir glauben nicht, daß sie auf irgend einer Bühne besser gegeben worden ist. Der Triumph über den geretteten Schenkungbrief, das schadenfrohe Lächeln, als sie nach gegebenem Gift ausruft: Käthchen laß Dir’s schmecken! die Miene, womit sie das verächtliche: Bürgerdirne! aussprach, waren gewissen Megären in den höhern Ständen wirklich aus dem Spiegel gestohlen.
Das Scenische des Stücks, die Gefechte, die Prozession am Ende, die neuen Costüme, alles erhob diese Vorstellung zu einer der erfreulichsten, die wir seit einiger Zeit gesehen haben. Alles ging rund und pünktlich. Die Decoration des Schloßbrandes machte solche Wirkung, daß ihr besonderer Beifall ertönte. Ihre Angabe machte dem Hoftheatermaler, die Darstellung dem Maschienenmeister Ehre. Aber durchaus können wir nicht mit dem Knalleffect zufrieden seyn, womit die brennende Brücke zusammenstürzt. Zum Signal lassen sich noch prasselndere Maschienerieen brauchen. Und das Pulver im dreizehnten Jahrhundert gehört ganz zu den Kartoffeln, wovon Hr. Holbein den Wirth Pech einmal sprechen läßt. Wenn aber nur durch diesen Anachronismus noch etwas Tüchtiges erzielt würde. So aber verhüllt Pulverdampf das sich aus den Trümmern aufrichtende Käthchen und den über ihr schwebenden Engel. Dessen sind in beiden Vorstellungen nicht hundert Zuschauer recht gewahr worden. Und doch kommt alles in der Fabel des Stücks darauf an, daß hier ein unmittelbares Wunder sichtbar werde. Als in Hannover das Stück zum ersten Male gegeben wurde, blieb da auch alles dunkel. Die Kritik sprach und erlebte die Freude,\1\ daß bei einer folgenden Vorstellung die Erscheinung des Cherubs vom höchsten Lichtglanz (das bengalische Feuer gehört hieher eben so gut, als am Schluß des Ganzen) umstralt und eine Minute still aushaltend eine wundervolle Wirkung hervorbrachte. Möge unserm Publikum, das eine so gelungene Darstellung noch oft zu sehen Verlangen trägt, dieselbe Freude recht bald zu Theil werden!
Böttiger.

\1\Hannöverische Nachrichten vom Jahr 1817. Nr. 11 und Nr. 40.


Emendation
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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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