Abendzeitung (Dresden),
17. 12. 1819, Nr. 301, unpag.
Karl August Böttiger, Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden, Teil 3
Nachrichten aus dem Gebiete der Künste und
Wissenschaften.
Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden.
Das Käthchen von Heilbronn.
(Beschluß.)
Käthchens Costüm im bürgerlichen Sonntagsstaat war wie aus einem Bilde von Holbein
gestohlen. Der lauteste Beifall der Zuschauer bewieß, wie zufrieden alles war. Doch der
schönste Lohn war die sympathetische Thräne, die in manchem sonst trocknen Auge
erglänzte; war die allgemeine Rührung, die sich am Ende durch ein stürmisches
Hervorrufen der mit Recht gefeierten Künstlerin Luft machte. Käthchen ist ohne Widerrede
eine der eigenthümlichsten und gelungensten Leistungen unsrer Künstlerin.
Aber sie wurde auch sehr
brav von Hrn. Hellwig als Grafen Strahl und von Hrn. Werdy als
Waffenschmidt Theobald unterstützt. Trotz aller hier verdreifachten Regisseursorgen
bewährte sich Hr. Hellwig für die Rolle des Strahls mit aller Unbefangenheit und
Ruhe des gemüthlichen Zuspiels und lösete mit großer Zufriedenheit der Zuschauer die
Aufgabe, schroff zu scheinen und weich zu seyn. Vorzüglich gelang ihm der Ausdruck des
Unwillens, als Käthchen ihm den Brief aufdringt. Hinter der Donnerwolke muß die
Liebesgluth hervorblitzen. Ja er kann die Peitsche krampfhaft ergreifen und braucht sie
nicht nach Holbeins Vorgang mit einem Jagdgeräthe zu vertauschen. Wenn nur das
krampfhafte Zucken beim Anpacken der Peitsche eben so gut gegen sich selbst
wie das im Zorn der Fall ist als gegen die Zudringliche gerichtet zu seyn
scheint. Große Dezenz und Feinheit bei der Traumscene. Viel Innigkeit im kurzen
Selbstgespräch, das die Scene einleitet, erschütternd der Ausruf, nachdem er alles
erfahren hat: nun steh mir bei, mein Gott! denn ich bin doppelt. Nur im alles
enthüllenden Monolog zu Anfang des ersten Actes möchten die Worte gleich Anfangs: Nun
will ich wie ein Schäfer klagen! nach einer kurzen Umschau noch viel inniger zu sprechen,
die Vision aber: Ihr Geister meiner Ahnen u. s. w., wieder nach einer Pause, in
einem ganz andern Tone, als das vorhergehende vorzutragen seyn. Sein Costüm war besonders
im letzten Acte angemessen und prächtig. Hr. Werdy nahm die Rolle
des Waffenschmidts aus Heilbronn, mit einer bürgerlichen Vornehmheit; die auch mit seiner
wohlgewählten Tracht ganz im Einklange stand. Mit großer Wahrheit steigerte er seinen
Schmerz in der Erzählung vor den Vehmrichtern und hörte die Rechtfertigung des Gegners
nur mit wachsendem Entsetzen, nicht mit Grimassen des Zorns, an, wie dies wohl andre
spielten. Unbeschreibliches Hinschmelzen in Güte und Wehmuth in der Scene am Heiligenbild
vor dem Kloster. Dadurch erst wird auch Käthchens Spiel vollkommen motivirt. Einen
solchen Vater muß sie so liebkosen. Den Rheingrafen von Stein gab Hr. Julius
mit aller hier nöthigen Derbheit. Sein Spiel gegen Kunigunden im letzten Akt war höchst
ergötzlich. Doch fragt sichs, ob der Spott bis zu diesem Hohn auf der Bühne gehen
kann. Der poetischen Gerechtigkeit eingedenk, sagen wir unbedenklich: ja! Aber um so
peinlicher und schwieriger ist die Rolle der bösen Kunigunde. Dem. Schubert
hätte laute Anerkennung verdient, daß sie diese undankbare Rolle so kräftig und so ganz
gegen ihr Inneres durchführte. Wir glauben nicht, daß sie auf irgend einer Bühne besser
gegeben worden ist. Der Triumph über den geretteten Schenkungbrief, das schadenfrohe
Lächeln, als sie nach gegebenem Gift ausruft: Käthchen laß Dirs schmecken! die
Miene, womit sie das verächtliche: Bürgerdirne! aussprach, waren gewissen Megären in
den höhern Ständen wirklich aus dem Spiegel gestohlen.
Das Scenische des Stücks,
die Gefechte, die Prozession am Ende, die neuen Costüme, alles erhob diese Vorstellung zu
einer der erfreulichsten, die wir seit einiger Zeit gesehen haben. Alles ging rund und
pünktlich. Die Decoration des Schloßbrandes machte solche Wirkung, daß ihr besonderer
Beifall ertönte. Ihre Angabe machte dem Hoftheatermaler, die Darstellung dem
Maschienenmeister Ehre. Aber durchaus können wir nicht mit dem Knalleffect zufrieden
seyn, womit die brennende Brücke zusammenstürzt. Zum Signal lassen sich noch
prasselndere Maschienerieen brauchen. Und das Pulver im dreizehnten Jahrhundert gehört
ganz zu den Kartoffeln, wovon Hr. Holbein den Wirth Pech einmal sprechen läßt. Wenn aber
nur durch diesen Anachronismus noch etwas Tüchtiges erzielt würde. So aber verhüllt
Pulverdampf das sich aus den Trümmern aufrichtende Käthchen und den über ihr
schwebenden Engel. Dessen sind in beiden Vorstellungen nicht hundert Zuschauer recht
gewahr worden. Und doch kommt alles in der Fabel des Stücks darauf an, daß hier ein
unmittelbares Wunder sichtbar werde. Als in Hannover das Stück zum ersten Male gegeben
wurde, blieb da auch alles dunkel. Die Kritik sprach und erlebte die Freude,\1\ daß bei einer folgenden Vorstellung die
Erscheinung des Cherubs vom höchsten Lichtglanz (das bengalische Feuer gehört hieher
eben so gut, als am Schluß des Ganzen) umstralt und eine Minute still aushaltend eine
wundervolle Wirkung hervorbrachte. Möge unserm Publikum, das eine so gelungene
Darstellung noch oft zu sehen Verlangen trägt, dieselbe Freude recht bald zu Theil
werden!
Böttiger.
\1\ Hannöverische Nachrichten
vom Jahr 1817. Nr. 11 und Nr. 40.
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