Theophil Zolling (Hrsg.), Heinrich von Kleists sämtliche Werke. Erster Teil.
Gedichte. Familie Schroffenstein. Familie Ghonorez (Berlin, Stuttgart: Spemann [1885])
(Deutsche National-Litteratur, 149. Band), Anhang, CXLVI
Achim v. Arnim an Johann Friedrich Cotta, Berlin, 1812
8. Achim von Arnim an Cotta. \1\ [Berlin, 1812].
- Ich wende mich in der Angelegenheit eines unglücklichen Verstorbenen an
Ew. Wohlgeboren als Herausgeber des Morgenblattes mit dem Zutrauen, daß
eins der
natürlichsten menschlichen Gefühle, Achtung und Wahrheit in dem Gerichte über die
Todten auch in Ihrem Herzen lebe und daß der unsägliche Schimpf, der in Ihrem Blatte
über den armen Heinrich von Kleist ausgesprochen, nicht von Ihnen komme, sondern
wahrscheinlich aus einer jüdischen Feder, die schon oft Ihr Blatt
gemißbraucht hat. Zuerst erkläre ich Ihnen feierlich, um meine
Glaubwürdigkeit zu bewähren, daß ich die Anzeige des H. Geheimerath Peguilhen nur
aus seiner Freundschaft für die beyden Verstorbenen entschuldigen kann und daß ich daher
eine Rüge derselben, in so fern er vor der Bekanntmachung der Geschichte das Urtheil der
Welt bestimmen wollte, gebilligt hätte, doch würde ich, ungeachtet ich mit ihm
verfeindet bin, unendlich glimpflicher verfahren seyn. Zweytens muß ich in
Hinsicht meiner Gesinnung über den Selbstmord auf meine Geschichte der Gräfin Dolores
mich berufen, um den möglichen Verdacht von mir zu wälzen, als ob ich mit Kleist gleiche
Ueberzeugung hege, vielmehr ist es mein Bestreben gewesen, diese Art Verzweiflung in dem
Menschen zu bekämpfen und in ihrer Leerheit zu vernichten, die in unsrer Zeit so manche
schöne Kraft in sich selbst entzweyte und so manches edle Leben zerstörte.
Nach diesen beyden Erklärungen fordre ich Sie als braven Mann, wie Sie mir von vielen
meiner Bekannten gerühmt sind, auf, die folgenden Zeugnisse für meinen verstorbenen
Kleist nicht als Aeußerungen von Parteigeist, Schule oder freundschaftlicher Verblendung
von sich weisen.
Kleist hat in seinen
früheren Jahren die Achtung und Liebe seiner Regiments Cammeraden genossen, eben so hat
er in späterer Zeit, wo er einige Zeit unter dem nachmaligen Minister von Altenstein in
Civilgeschäften diente das Lob und den Beyfall desselben erworben, aus beyden
Verhältnissen hat ihn nur der eigne Wunsch, seinen Dichtungen leben zu können, entfernt.
Wenige Dichter mögen sich eines gleichen Ernstes, einer ähnlichen Strenge in ihren
Arbeiten rühmen dürfen wie der Verstorbene, statt ihm vorzuwerfen, daß er der neueren
Schule angehangen, wozu wohl kein Mensch so wenig Veranlassung gegeben wie Kleist, hätte
man eher bedauern müssen, daß er keine Schule anerkannt, das heißt, nur in seltnen
Fällen dem Hergebrachten und dem Urtheile seiner Kunstfreunde nachgab, vielmehr seinem
Eigensinne sich in dem Zufälligen ergab, was oft das Schöne und Tiefe seiner Erfindungen
entstellt, die Festigkeit mit der er das Schicksal seines Lebens lenkte, erklärt diesen
Eigensinn sehr leicht, der sich in den Widerwärtigkeiten seines Lebens durch das Gefühl
der innern Kraft, mit der er sie ertrug, noch vermehrte.
\1\ Aus Arnims Nachlaß. Der Brief scheint
weder vollendet, noch abgeschickt worden zu sein.
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