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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Theophil Zolling (Hrsg.), Heinrich von Kleists sämtliche Werke. Erster Teil. Gedichte. Familie Schroffenstein. Familie Ghonorez (Berlin, Stuttgart: Spemann [1885]) (Deutsche National-Litteratur, 149. Band), Anhang, CXLIII-CXLV

Friedrich de La Motte-Fouqué an Christian August Gottlob Eberhard, Nennhausen, 19. 12. 1811

Nennhausen, am 19. 10br. 11.

Theuerster Freund,
Der herbe Abschied, welchen ein so edler Dichter, als Heinrich v. Kleist in einem blühenden, vollkräftigen Alter aus der Welt genommen hat, mußte natürlich wie alle Freunde des Guten und Schönen in unserm Deutschen Vaterlande, so auch Sie mit tiefer Wehmuth ergreifen, und mit dem lebhaften Verlangen, mehr von seinen letzten Lebenstagen und der Veranlassung seines Todes zu erfahren. Die freundschaftlichen Bande kennend, welche Kleist und mich als Dichter und als Menschen umschlangen, fordern Sie mich auf, Ihnen nähere Nachrichten hierüber zuzusenden, womöglich solche, die sich zur Mittheilung an das Publikum Ihrer Zeitschrift eigneten, und dazu beitragen könnten, dessen Urtheil über den edlen Todten in einen richtigen Gesichtspunkt zu stellen. Dazu jedoch fühle ich mich unfähig. Von der Begebenheit selbst weiß ich nicht mehr, oder doch nicht viel mehr, als bereits öffentlich bekannt geworden ist, und so auch von jeder möglichen Veranlassung dazu. Dennoch ergreife ich diese Gelegenheit, um Allen, die Heinrich von Kleist geliebt und geachtet haben, die Bitte recht innig an's Herz zu legen, sich jegliches Urtheils über ihn und andre in sein schmerzliches Schicksal Verflochtne zu enthalten, bis näher unterrichtete Freunde es für möglich und rathsam halten, den Schleier wegzuheben, welcher das Ende seines irdischen Lebens birgt. Soviel hat ja wohl der Dichter von seinen Lesern gewonnen, daß sie dem, welcher sie in mancher begeisterten Stunde entzückte und über das Unwürdige des äußern Lebens erhob, nur das Edle zutrauen und auch da, wo ihn das Himmelsfeuer in seiner Brust über die Bahn des Gesetzlichen in eine dunkle Welt hinaus riß, ihm – wie er selbst in einer seiner Dichtungen sagt „in seiner That vertrauen“, ohne weder entschuldigend noch tadelnd früher an ihr meistern und rütteln zu wollen, bis jene oben erwähnte Enthüllung sie vor den Augen der Nation , welche auf Kleist, als einen ihrer edelsten Dichter allerdings die Augen zu richten befugt ist, aus der Dunkelheit zieht.
Bis hierher, mein geliebter Freund, habe ich für Ihre Zeitschrift mitgeschrieben, und vergönne es gern, daß alles Obige mit meiner <CXLIV:> Namens Unterschrift abgedruckt werde.\1\ Ihnen in's Besondere füge ich hinzu, daß ich die Unglücksgefährtin meines Freundes nicht gekannt habe, von Andern aber einstimmig höre, sie sei eine höchst geistreiche, und anmuthige Frau gewesen. Ein fast allgemeines Gerücht schreibt ihr <CXLV:> eine heilungslose, mit schmerzhaftem Ende drohende Krankheit zu; desfalls, will man, habe sie den Tod gewählt, und Heinrich, unfähig, sie zu überleben, sei ihr nachgezogen worden. Doch macht mich wieder darin der Bericht eines anderen Freundes irre. Kurz, im Ganzen muß ich wiederholen, was ich zu Anfange dieses Blattes auch dem größeren Publikum sage: der Schleier liegt noch fest über der That, und kann nur von wenigen, ihm zu allernächst gestandenen Freunden gelöst werden. Soviel ist gewiß, daß nicht leicht irgend ein Selbstmord mit so klarer Besonnenheit, mit so, ich möchte sagen, starrer Tapferkeit, als dieser, vollführt worden ist. – Er ist hin, mein armer, oft in seinem Leben gestörter und von falschen Hoffnungen getäuschter Freund, er ist viel zu frühe aus seinem thatenblühenden Leben abgegangen, und ich stehe noch immer wie schwindelnd an dem Abgrunde, der ihn in so jäher Ueberraschung verschlungen hat. Es mag dem Begleiter Eschens etwa so zu Muthe gewesen sein, als dieser in den überschneiten Eisspalt hinunter gesunken war.
Zu unseren Geschäften. Mit rechter Freude habe ich das erste Heft der Salina in ihrem anmuthigen Gewande begrüßt und mich an Ihrem melodischen, sinnvollen Einleitungsgedichte sehr ergötzt. Nächstdem habe ich meine größte Lust an den Ideen für Bücherfabrikanten gehabt, aus denen ein Lichtenbergischer Geist weht, der das Journal noch recht oft mit seinen hellen Lichtern durchblitzen möge. Hübsch ist es, daß Sie grade als meinen ersten Beitrag das Lied abdrucken ließen, welches auf unsre heitere und immer von wechselseitiger freundschaftlicher Theilnahme durchwärmte Vergangenheit hindeutet. Mit um so froherm Muthe sende ich Ihnen die beiliegende Geschichte. Ihre einfache Ueberschrift traue ich mir an und für sich selbst, und nöthigenfalls aus dem Beispiele der uns stammverwandten Engländer (z. B. a simple story, a sicilian Romance, womit gleich ganze Romane benannt werden), zu rechtfertigen; sollten Sie aber finden, daß darin etwas anstößiges oder vielmehr abstößiges für die größere Lesewelt liege, so bevollmächtige ich Sie zu jedweder Abänderung.
Lassen Sie mich bald wieder von sich hören. Wo ein edler Krieger gefallen ist, müssen sich die Rotten desto enger zusammenschließen. – Ihrer Frau Gemahlin meine beste Empfehlung. Mit herzlicher Freundschaft

der Ihrige,

Fouqué.

\1\ Eberhard machte von Fouqués Erlaubnis keinen Gebrauch, wohl aber ließ er sich in der „Salina“ (Heft II, 229ff. und IV, 104ff.) in eine Polemik mit dem „Morgenblatt“ ein. Dort hatte der seichte Vielschreiber F. C. Weißer an dem Katafalk des Dichters sein Armesünderlicht angezündet. In der Nr. v. 21. Dez. spricht er in einem vom 26. Nov. datierten Briefe zum erstenmale von Kleists Tode. „Eine wirklich auffallende und für Psychologen interessante Erscheinung bleibt jetzt das Gespräch über diesen Doppelmord.“ Einige Tage später kommt der Ehrenmann abermals auf den Fall zurück (Nr. v. 26. Dez.), wobei er hervorhebt, daß beide „in der Nacht vor dem gewaltsamen Hinscheiden viele geistige Getränke zu sich genommen“ und daß sich die That „bis zum Nachmittage verschob“. Schon hier wendet er sich besonders gegen den exaltierten Peguilhen, noch mehr in der Nr. v. 27. Dez., worin auch der tote Dichter geschmäht wird, „der als Schriftsteller einen den Deutschen ewig heiligen Namen mit großer Unehre führte“, und seine Todesgefährtin „seine geistige Buhlschwester“ genannt wird, denn „daß der beste Seelenarzt durch ihre Kur sich ebenso wenig Ehre versprechen durfte, folgt schon aus ihrem Verhältniß zu einem – Heinrich von Kleist!“ Noch empörender ist der Vorwurf, daß der Tote vor seiner That, „seine Feigheit in Wein und Rum und Kaffee bekämpfen mußte“. Hierauf antwortete Eberhard in seiner: Appellation an die Ankläger und Richter Heinrichs von Kleist. Wir entnehmen daraus folgende interessantere Stellen: „Heinrich von Kleist ist mir, von mehr als einer Seite her, als Mensch gerühmt worden. … Er verdient also gewiß nicht, wie ein Verächtlicher behandelt zu werden, wenn er auch am Ende eine sehr strafbare Verirrung beging. Möge von dieser Niemand eine empfindsame, romanhafte Ansicht nehmen, damit das Gift, das in derselben liegt, nicht weiter wirke! Aber möchte man auch nicht unbedingt den Stab über ihn brechen, wenn man ihn über seine That nicht verhören kann! Um ganz gerecht und verständig über ihn urtheilen zu können, müßte man vollkommen vertraut sein mit allen seinen Eigenthümlichkeiten, allen seinen Schicksalen und Verhältnissen, und mit den äußeren Veranlassungen zu seiner schaudervollen That. Möchte doch einer seiner Freunde – (nur H. Peguilhen wohl nicht!) – etwas Befriedigendes in einem ruhigen verständigen Thone, und ohne dem Urtheile der Leser vorgreifen zu wollen, über ihn in allen diesen Beziehungen bekannt machen! Könnten wir ihn ganz und gar durchschauen: so würden vielleicht auch seine strengsten Richter, indem sie seine That verabscheuten, ihn selbst nur für einen verirrten Unglücklichen erklären müssen, der auch in seinem tiefsten Falle noch eine ächt-menschliche Theilnahme in Anspruch nähme. … Wenn aber Heinrich v. Kleist, auch als Mensch, seine Bahn auf eine strafbare Weise beschloß: ist es gerecht, hievon Gelegenheit zu nehmen, ihn auch als Dichter und Schriftsteller büßen zu lassen? Wer kann es erweisen, daß sein poetischer Glaube seine letzte unselige That hat motiviren helfen? Wer kann behaupten, daß er unter den nämlichen übrigen Verhältnissen nicht den nämlichen unseligen Schritt getahn haben würde, wenn er nicht einer bestimmten poetischen Sekte angehört hätte? Sind denn nicht Menschen genug auf eine ähnliche Weise aus der Welt gegangen, die von unserer sogenannten neuen Schule und von allem romantisch-poetischen Mysticismus so wenig wußten, als wir Alle von den poetischen Schulen im Monde oder im Uranus … was kann die gesammte deutsche Nation für die Verkehrtheit eines Haufens von Schriftstellern, die sich gar nicht einmal rühmen können, die siegende Partei in Deutschland zu sein? Heißt es nicht das Ziel ungeheuer überspringen, wenn man um ihretwillen eine ganze Nation öffentlich anklagt, ihr Bettelstolz vorwirft, und sie, im Gegensatz anderer Nationen, unwürdig herabsetzt? Kein Deutscher sollte doch die deutsche Nation verdammen, wenn er auch einzelne Deutsche noch so hart anzuklagen hätte! … Wenn ein H. Peguilhen und einer seines Gleichen, dem er nicht festsitzt, auch einmal den Kopf verliert: so hat ihn deshalb die deutsche Nation nicht verloren, der allgemeine Tadel, den er erregt hat, beweist ja das offenbar … So eben erhalte ich von einem – wie man mir auf’s Wort glauben kann – durchaus unverdächtigen Zeugen noch einige Notizen über Heinrich von Kleist, die sich auf eine frühere Bekanntschaft mit ihm gründen, als er noch bei dem Regiment Garde (in Potsdam) stand, und die hier wohl eine Stelle verdienen. – Mein Zeuge sagt von ihm, er sei, bei einem sehr wenig empfehlenden Aeußern, doch sehr beliebt unter seinen Kameraden und in allen Gesellschaften gewesen; er wird als ein guter, sehr sittlicher Mensch, von viel Geist und Bildung, aber auch mit vielem Hang zur Schwärmerei, geschildert; und als sein größter Fehler wird eine überaus große Empfindlichkeit und Reitzbarkeit genannt. Deshalb soll er sich auch mit dem General von R** [Rüchel] nicht vertragen, und nach einem Streit über den Anzug, seinen Abschied genommen haben, schon vor dem unglücklichen preußischen Kriege (ungeachtet er, so viel ich weiß, ohne Vermögen war). Erklärt diese Charakteristik – bei einer überhand genommenen, langen finstern Verstimmung über vielerlei vereitelte Hoffnungen und ein besonders unglückliches Verhältniß – seinen Selbstmord nicht hinlänglich, ohne daß wir die Gründe dazu in seiner Verbindung mit einer poetischen Sekte aufsuchen? Oder soll seine Uneinigkeit mit dem General von R**, sein Streit über den Anzug (vielleicht über den Zipfel des Zopfbandes), und sein rasches Verlassen der militärischen Laufbahn auch Mysticismus gewesen sein?“ – Die Information über den Streit mit dem General v. Rüchel steht mit den Angaben bei Bülow (6, 8) in Widerspruch. – Ehren-Weißer antwortete hierauf noch im Morgenblatt vom 24. und 25. Febr. 1812, wobei er sich u. a. zu der Behauptung verstieg, daß das „sogenannte Schauspiel Käthchen von Heilbronn, dessen Titel schon eine platte Geschmacklosigkeit, ein aberwitziges Produkt ist“.

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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