Theophil Zolling (Hrsg.), Heinrich von Kleists sämtliche Werke. Erster Teil.
Gedichte. Familie Schroffenstein. Familie Ghonorez (Berlin, Stuttgart: Spemann [1885])
(Deutsche National-Litteratur, 149. Band), Einleitung, XCIV-XCVII
Reaktionen auf den Selbstmord
Als man die Zimmer bei Stimming aufsprengte, fand man nichts als Kleists kleines Felleisen
und einen ebenfalls versiegelten Kasten, worin noch Briefe an Vogel, Ulrike und Marie
v. Kleist, Geld, Kleidungsstücke, Schlüssel und zwei Bücher: eine Übersetzung des
Don Quijote und Klopstocks Oden; in letzterem besonders eingeschlagen Die todte
Clarissa, die freilich wie an dieser Leiche geschrieben scheint. Der Brief, den
Kleist durch den Boten an Peguilhen geschickt, enthält nichts als kleine Besorgungen, den
Wunsch, daß sein Barbier bezahlt werde, und daß sein Wirt ein Andenken von ihm
erhalte das ist alles, was den Dichter in der letzten Stunde seines Lebens
beschäftigte! Kein Ausdruck der Trauer, den Freuden, kein Wort der Freude, den
Traurigkeiten dieser Welt zu entsagen! Der Brief ist so unheimlich vernünftig, daß man
bei der Erwägung, in welchem Augenblicke er geschrieben ist, ihn für den Ausdruck des
Wahnsinns halten könnte. Und ebenso praktisch und verständig sind die Zeilen, die
Henriette an Peguilhen schreibt; sie vermag sogar noch über ihren bevorstehenden Tod mit
dem bekannten Kleist zu witzeln und bittet den Hausfreund, sie und ihren
Todesgenossen möglichst bald aus dem sehr unbeholfenen Zustande zu befreien,
indem wir erschossen daliegen. Und sie, die ganz genau weiß, daß sie in
wenigen Stunden ihrem Vater, der sie vergöttert, ihrem Manne, der sie anbetet, einen
furchtbaren und unheilbaren Schmerz bereiten wird, gedenkt des bevorstehenden Christfestes
und bestellt für den heiligen Abend eine recht schöne blaßgraue Tasse inwendig
vergoldet, welche den Weihnachtstisch ihres Mannes schmücken soll!
Um sechs Uhr abends kamen die
beiden Fremden, deren Ankunft Kleist dem Wirt für den Abend angekündigt
hatte: Henriettens Gatte und sein Freund Peguilhen. Sie hörten und sahen das
Entsetzliche. Nach dem Willen der Verstorbenen ließ Peguilhen am Orte der That eine
gemeinsame Grube für beide graben und eilte am anderen Morgen mit dem schmerzlich
bewegten Vogel nach Berlin zurück, um zwei Särge zu bestellen. Erst am Abend des
folgenden Tages, des 22. November, um 10 Uhr, brachte man sie, nachdem die
Totenschau vollzogen, zur Ruhe.
Von den zu Berlin in
der grünen Stube in Vogels Hause zurückgelassenen Briefen an Adam Müllers Frau,
Cousine Marie und Bruder <XCV:> Leopold ist namentlich der erstere interessant.\1\ Er lautet: Der Himmel weiß, meine
liebe, treffliche Freundin, was für sonderbare Gefühle, halb wehmüthig, halb
ausgelassen, uns bewegen, in dieser Stunde, da unsere Seelen sich wie zwei fröhliche
Luftschiffer über die Welt erheben, noch einmal an Sie zu schreiben. Wir waren doch
sonst, müssen Sie wissen, wohl entschlossen, bei unsern Bekannten und Freunden keine
Karten p. p. c. abzugeben. Der Grund ist wohl, weil wir in tausend
glücklichen Augenblicken an Sie gedacht, weil wir uns tausendmal vorgestellt haben, wie
Sie in Ihrer Gutmüthigkeit aufgelacht haben würden, wenn Sie uns in der grünen oder
rothen Stube beisammen gesehen hätten. Ja, die Welt ist eine wunderliche Einrichtung!\2\ Es hat seine Richtigkeit, daß
wir uns, Jettchen und ich, wir zwei trübsinnige, trübselige Menschen, die sich immer
ihrer Kälte wegen angeklagt haben, von ganzem Herzen liebgewonnen haben, und der beste
Beweis davon ist wohl, daß wir jetzt mit einander sterben. Leben Sie wohl,
unsere liebe, liebe Freundin, und seien Sie auf Erden, wie es gar wohl möglich ist,
glücklich! Wir unsererseits wollen nichts von den Freuden dieser Welt wissen und träumen
lauter himmlische Fluren und Sonnen, in deren Schimmer wir, mit langen Flügeln an den
Schultern, umherwandeln werden. Adieu! Einen Kuß von mir, dem Schreiber, an Müller; er
soll zuweilen meiner gedenken, und ein rüstiger Streiter Gottes gegen den Teufel Aberwitz
bleiben, der die Welt in Banden hält.
Rendant Vogel
veröffentlichte in der Spenerschen und in der Vossischen Zeitung die Todesanzeige seiner
Frau: Mit dem schmerzhaftesten Gefühl mache ich allen meinen Freunden und
Verwandten das am 21. November erfolgte Ableben meiner innigst geliebten Gattin
Adolphine Sophie Henriette geborne Keber, hiermit bekannt. Ihr Tod war rein, wie ihr
Leben. Von der Bürde dieses krankhaften Lebens niedergedrückt, ging sie dem Tode nach
ihren eigenen schriftlich hinterlassenen Worten: Weine oder traure
nicht denn ich sterbe einen Tod, wie sich wohl wenige
Sterbliche erfreuen können, gestorben zu sein, da ich von der innigsten Liebe begleitet
die irdische, Glückseligkeit mit der ewigen vertausche, entgegen. Dieses muß
ihren alten Vater, meine einzige Tochter Pauline und mich trösten bei diesem
unersetzlichen Verlust, und ich hoffe, man wird mit den gewöhnlichen Beileidsbezeugungen
verschonen Ihren tiefbetrübten Gatten Fr. Louis Vogel. Die Vossische und die
Spenersche Zeitung brachten am 26. und 28. November eine ungeschickte Anzeige
Peguilhens, worin er <XCVI:> als intimer Freund der Frau Vogel und naher Bekannter
Kleists und in seiner Eigenschaft als Vollstrecker des letzten Willens der beiden
Verewigten das Publikum ersucht, sein Urteil über das Geschehene noch
aufzuschieben; er gedenke in der nächsten Zeit auf den dringenden Wunsch seines Freundes
Vogel, noch vor Ablauf des Jahres, eine Schrift über die Katastrophe am Wannsee zu
veröffentlichen, über die That, wie sie nicht alle Jahrhunderte gesehen haben,
vollbracht von zwei Menschen, welche die Liebe und Reinheit selbst waren und die nicht mit
einem gewöhnlichen Maßstab gemessen werden können. Die angekündigte Schrift
erschien jedoch nicht; sie ward auf Befehl des Königs durch einen Erlaß des Berliner
Polizeipräsidenten vom 6. Dezember 1811 unterdrückt. Zwar richtete nun Peguilhen
ein Rechtfertigungsschreiben an Hardenberg, worin er sich namentlich gegen den Vorwurf
eines dem Beamten nicht anständigen Grades von Excentricität und daß seine
Entschuldigungs- nicht Verteidigungsschrift irreligiös sei, verwahrte, aber es blieb
dabei, und das Kammergericht erließ an ihn kurz nachher die Aufforderung, die sich
in seinem Gewahrsam befindenden Pistolen, womit der ehemalige Lieutenant v. Kleist
und die verehelichte Vogel sich entleibt haben der Kriminalordnung gemäß
abzuliefern. Seiner enthusiastischen Schrift blieb es vorbehalten, erst in unseren Tagen
ans Licht gezogen zu werden.
Der Cousine Marie
von Kleist, die dem Herzen des Dichters so nahe gestanden, wurden die beiden
zurückgelassenen Briefe Kleists erst einen Monat später übergeben, denn sie war krank
und man fand es ratsam, ihr Heinrichs Tod wochenlang zu verschweigen. An Heinrich
Kleist, äußerte sie zu Peguilhen, habe ich den Teilnehmer an allen meinen
Freuden, an allen meinen Leiden verloren. Es war die sanfteste, wohlthuendste Gesellschaft
für mein Herz
So muß ich gestehen, daß eine nähere Bekanntschaft mit der
Frau Rendantin Vogel nie zu meinem Wissen gelangt ist. Zuweilen, wenn er mich verließ,
sagte er, er ginge in diesem Hause oder mit dieser Gesellschaft spatzieren, ohne sich je
über eine engere Verbindung mit Madame Vogel auszulassen. Die Geschwister Kleists,
Frau von Pannwitz, Julie von Weiher, Leopold von Kleist\1\, verlangten Nachrichten über das Ende ihres Bruders Heinrich. Die
That erregte ein großes Aufsehen und fand verschiedenartige Beurteilung. Die Rahel
billigte sie.\2\ Franz Horn, der
sentimentale Romantiker, fand die <XCVII:> Empfindung, die Kleists Tod giebt,
unendlich herber, als die bei der Erinnerung an Hussens oder anderer Märtyrer
Tod. Jung-Stilling, von seinem religiösen Standpunkt, entsetzte sich über die
Feigheit und das Elend des am himmlischen Vater verzweifelnden Selbstmörders. Madame de
Staël, der Müller den Tod Kleists angezeigt haben mochte, fand sich gereizt, eine
Schrift gegen den Selbstmord zu schreiben. Dann kam der Troß der öffentlichen und lauten
Beller. Am tollsten gebärdete sich jedenfalls ein Anonymus (F. C. Weißer) im
Stuttgarter Morgenblatt (1811, Nr. 310 und 1812, Nr. 4), der in einem schnöden
Aufsatz: Oeffentliche Seligsprechung und Vergötterung des Mordes und Selbstmordes
in Deutschland, gestützt auf Peguilhens allerdings taktlose Todesanzeige, Kleist
einer der berüchtigsten Jünger der berüchtigten romantisch-mystischen
Schule, der seinen Namen mit großer Unehre führte, als das Opfer des
Mysticismus und einer Litteratur hinstelle, die, ein verpesteter Sumpf, beinahe
nichts als Basilisken ausbrüte.
\1\ Er ist jedenfalls falsch datiert; da die
Unglücklichen schon am 20. ihre letzte Fahrt nach dem Wannsee angetreten hatten, so
konnten sie nicht am 21., ihrem Todestage, von Berlin aus schreiben. Kleist war über das
Datum seiner letzten Tage nicht im klaren, denn in dem letzten Brief an Peguilhen
unterzeichnet er: man sagt hier den 26. Nov. wir wissen aber nicht, ob es wahr
ist. Ebenso ist der Abschiedsbrief an Ulrike nur: den , am Morgen
meines Todes datiert.
\2\ Vgl. Kleine Schriften 292 (6f.). Aus
Molières Ecole des femmes: Le monde, chère Agnès, est une étrange
chose.
\1\ Dieser hatte gerade zur Zeit der
Katastrophe eine lebensgefährliche Operation durch den berühmten Hufeland überstanden
und sprach schon um deswillen und auch seinem tiefreligiösen Sinne gemäß wohl
absichtlich niemals über seinen einzigen Bruder und dessen Ende. Nach mündlichen
Familienmitteilungen.
\2\ Von Kleist befremdet mich die
That nicht, schreibt sie am 23. Dez. 1811 an Alexander von der Marwitz;
es ging streng mit ihm her, er war wahrhaft und litt viel
Ich mag es
nicht, daß die Unglückseligen, die Menschen, bis auf die Hefen leiden
Ich
freue mich, daß mein edler Freund denn Freund ruf ich ihm bitter und mit
Thränen nach das Unwürdige nicht duldete: gelitten hat er genug.
Keiner von denen, die ihn etwa tadeln, hätte ihm zehn Thaler gereicht; Nächte gewidmet,
Nachsicht mit ihm gehabt, hätt er sich ihm nur zerstört zeigen können. Den ewigen
Kalkul hätten sie nie unterbrochen, ob er wohl Recht, ob er wohl nicht Recht zu dieser
Tasse Kaffee habe! Ich weiß von seinem Tode nichts, als daß er eine Frau und dann sich
erschossen hat. Es ist und bleibt ein Muth. (Rahel II 576f.) Am
1. Dez. 1811 schrieb Rahel an Varnhagen: Du weißt doch, daß sich Heinrich
Kleist erschossen hat: er sich in den Mund und einer Mad. Vogel ins Herz; bei Stimming,
wenn man von Potsdam hierher fährt. Der Tod ist so schwarz, und das Leben will doch nicht
gehen! (Briefwechsel II 183.) Darauf antwortete Varnhagen aus Prag:
Wie erschrak ich über die Nachricht von Kleists Tod. Brentano brachte sie mir
zuerst, ihm hatte es Savigny geschrieben. Kurz vorher hatte ich den zweiten
Theil seiner
herrlichen Erzählungen gelesen, und mich seines blühenden Talents mit inniger Neigung
gefreut! Das ist nun zerstört. Ich war erschüttert: seine Seele schwebte mir vor, und
ich hatte Einsicht darein! Der Arme! welch ein ungeheurer Schmerz muß in ihm gewüthet
haben, eh er sein Talent aufgab, das er in seinem verwüsteten Leben wie den
unzerstörbaren Talismann eines verheißenden Glücks betrachtete (192.) Und am
27. Febr. 1812 schreibt Rahel an Varhagen: Erschöss ich mich: wunderten
sich die Freunde, wie über Kleist. Diese Begräbnißfeier, mich nicht zu wundern, habe
ich ihm wenigstens gehalten. (Rahel III 17,
Briefwechsel II 289.)
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