Theophil Zolling (Hrsg.), Heinrich von Kleists sämtliche Werke. Erster Teil.
Gedichte. Familie Schroffenstein. Familie Ghonorez (Berlin, Stuttgart: Spemann [1885])
(Deutsche National-Litteratur, 149. Band), Einleitung, LXIV-LXVII
Berlin, Prinz Friedrich von Homburg
Alles schien dem Unternehmen günstig. Ein Gesuch Kleists und Dahlmanns um Bewilligung der
Herausgabe war bereits bei der Regierung vorgelegt worden. Aber die Schlacht von Wagram
entschied am 5. und 6. Juli den Krieg zu gunsten Napoleons und machte dem Plan ein
Ende. Noch niemals, meine theuerste Ulrike, schreibt Heinrich am 17. Juli
(nachdem der Waffenstillstand bei Znaym abgeschlossen war), noch niemals bin ich so
erschüttert gewesen wie jetzt. Nicht sowohl über die Zeit denn das, was
eingetreten ist, ließ sich, auf gewisse Weise, vorhersehen als darüber, daß
ich bestimmt war, es zu überleben
So lange ich lebe, vereinigte sich noch
nicht so viel, um mich eine frohe Zukunft hoffen zu lassen, und nun vernichten die letzten
Vorfälle nicht nur diese Unternehmung sie vernichten meine ganze Thätigkeit
überhaupt. In diesen Tagen soll er den verzweifelten, schon früher geäußerten
Entschluß gehegt haben, Napoleon zu ermorden.
Eines Tages, so erzählt
Kleists redseliger Freund Friedrich Laun\2\,
erhielt der Maler Hartmann in Dresden einen Brief von Kleist, worin ihn dieser unter
Vorwänden ersuchte, ihm eine Quantität Arsenik zu besorgen und zuzusenden. Hartmann, der
schon aus der Dresdener Zeit Kleists Brutusstimmungen kannte, geriet in tiefe Bestürzung,
und antwortete mit einem langen Briefe, worin er dem Unglücklichen darzulegen suchte,
daß er sich zur Durchführung dieser blutigen Rolle durchaus nicht eigne. Hierauf
erwiderte ihm Kleist mit voller Aufrichtigkeit, bekämpfte Hartmanns Bedenken wegen des
Erfolges und setzte hinzu, daß ein dritter nunmehr den Arsenik besorgen und an Hartmann
zur Weiterbeförderung übersenden werde. Das Gift traf auch ein; Hartmann aber blieb bei
seinem Entschluß und übergab die Sendung einer Dresdener Apotheke. Von dem wilden
Vorhaben verlautete hierauf nichts mehr. Kleist scheint es bei wiederkehrender Besinnung,
vielleicht auch auf die Kunde von dem mißlungenen Stapsischen Mordversuch (13. Okt.
1809) aufgegeben zu haben. Möglich, daß er damals eher wieder an Selbstmord dachte und
den leichtgläubigen Hartmann bloß auf falsche Fährte locken wollte. Er war nämlich
durch neue Schulden in verzweifelte Not geraten und mußte abermals Ulrikes Hilfe anrufen.
Und nun warf ihn noch eine heftige Krankheit nieder. Dahlmann hatte ihn bereits verlassen;
so lag er in Prag einsam, gebrochen und krank. Niemand wußte von ihm. Adam Müller
erhielt sogar die Nachricht seines Todes. <LXV:>
Im November nach
vier Monaten der Verschollenheit finden wir ihn wieder in der Heimat:
zunächst in Frankfurt an der Oder, wo er geschäftliche Angelegenheiten, seinen
Anteil an dem Elternhause betreffend, ordnete, aber die Hoffnung, wegen Aufnahme des
Geldes sich an die Schwester zu wenden, durch ihre Abreise nach Pommern vereitelt ward.
Luise von Zenge sah ihn hier zum letztenmale wieder. Er war sehr verstimmt, und als die
goldene Schwester den Verfasser eines Gedichtes, das er ihr citierte, nicht
kannte, da jammerte er: O mein Gott! warum mache ich denn Gedichte? Bald trieb
es ihn wieder fort. Er kündigte der Schwester brieflich an, daß er nach dem Österreichischen
zurückgehe. Abermals blieb er monatelang verschollen. In diese Zeit fällt ein Brief an
Collin aus Gotha.\1\ Am 12. Januar
1810 befindet sich Kleist auf der Durchreise nach Berlin in Frankfurt am
Main von wo er die Handschrift des Käthchens an Cotta sendet. Zu welchem
Zweck er mitten im Winter diese Reisen unternommen, ist dunkel. Wir wissen nur, daß er
Anfangs März längst wieder in Berlin war und daß mittlerweile der Prinz von
Homburg entstand.
In Berlin, das jetzt
nach dem Abzug der französischen Besatzung und der Heimkehr des Königspaares
wiederaufzuleben begann, blühten auch Kleists Pläne und Hoffnungen aufs neue. Er durfte
auf die hilfreiche Huld seiner Gönnerin, der Königin, rechnen, und seine Familie hatte
durch Empfehlungen in ihm die Hoffnung geweckt, sich mit der Dichtung eines
vaterländischen Schauspiels eine öffentliche Unterstützung oder gar eine Hofcharge zu
verdienen. Der Prinz von Homburg, der im März 1810 vollendet war, sollte der
Königin überreicht werden und auf dem Privattheater des Fürsten Anton Radziwill\2\, dann auf der Nationalbühne zur
Aufführung kommen. Auch die gesellschaftlichen Verbindungen fehlten nicht. Kleist hatte
Adam Müller wieder gefunden, der Vorlesungen über Friedrich den Großen hielt und sich
umsonst um eine Staatsanstellung bewarb, und mit Arnim und dem Kritiker Friedrich
Schulz (1769-1845), dem cynischen Bruder Sonderling, aufs neue
angeknüpft. Bald darauf sah ihn Clemens Brentano und schilderte den für tot
gehaltenen Phöbus-Kleist gegen Görres als einen sanften ernsten Mann von
zweiunddreißig Jahren: ohngefähr von meiner Statur; er war Offizier, <LXVI:>
kann aber das Dichten nicht lassen, und ist dabei arm.\1\ Ferner verkehrte Kleist wieder sehr freundschaftlich bei dem
Minister Altenstein, beim Geh. Staatsrat Stägemann, in dessen Hause er
u. a. die Penthesilea und den Prinzen von Homburg vorlas, und
in der Familie seines Verlegers Georg Andreas Reimer.\2\ Abermals schlägt er der Schwester, und wiederum vergeblich,
nicht gerade ein Zusammenwohnen, sondern einen unabhängigen Aufenthalt in seiner Nähe
vor, wozu ihn Hauptmann von Gleißenberg\3\, ein Schwiegersohn von Schwager Pannwitz, seine Wohnung
angeboten habe. Das aber weiß ich, schreibt er ihr, daß Du mir von
großem Nutzen sein könntest. Denn wie manches könntest Du, bei den
Altensteinschen Damen, zur Sprache bringen, was mir, dem Minister zu sagen, schwer,
ja unmöglich fällt
Ich habe der Königin, an ihrem Geburtstag, ein Gedicht
überreicht, das sie, vor den Augen des ganzen Hofes zu Thränen gerührt hat; ich kann
ihrer Gnade und ihres guten Willens, etwas für mich zu thun, gewiß sein. Auch bei
seiner alten Freundin Rahel verkehrte Kleist wieder. Sie schrieb am 5. Mai 1810 an
Varnhagen: Adam Müllers Kleist sehe ich jetzt. Ich liebe ihn und was er macht. Er
ist wahr und sieht wahr.\4\ Durch
Rahel war Kleist auch mit ihrem Bruder, dem Schriftsteller Ludwig Robert, bekannt
geworden, und dieser brachte ihn wieder mit Fouqué zusammen.\5\ Letzterer empfing im Herbst eines Tages durch Robert ein
Schreiben Kleists, im wesentlichen des Inhalts: Wir sind nun wohl als Dichter
mündig geworden und der Schule ledig. Es wäre darum an der Zeit, daß wir einander auch
in dieser Hinsicht die Hände böten zum heitern Bunde und Verkehr. Mit hoher
Freude, berichtet der ritterliche, edle Fouqué, er sei auf dieses Anerbieten eingegangen,
und ein freundschaftlicher und herzlicher Verkehr entwickelte sich von da an zwischen den
beiden Dichtern.
Am 19. Juli starb die
Königin Luise. Während der fingerfertige Müller sofort eine phrasenhafte Flugschrift:
Zum Gedächtniß der verewigten Königin von Preußen veröffentlichte und
Arnim und Brentano sie besangen, schwieg der gewiß tief erschütterte Kleist, der in ihr
seine unvergeßliche Wohlthäterin verlor.\6\ Der Prinz von Homburg, den <LXVII:> er jetzt der Prinzeß
Wilhelm von Preußen, einer geborenen Homburgerin, widmete, mißfiel wegen seiner den
Soldatenstolz beleidigenden Todesfurcht-Scene schon bei der Lektüre allgemein, besonders
dem Bruder der Königin, Herzog Karl von Mecklenburg-Strelitz, und scheint auch
beim Prinzen Radziwill nicht aufgeführt worden zu sein. Ein Band Erzählungen
(Michael Kohlhaas, Die Marquise von O
, Das Erdbeben von Chili), der in diesem Sommer
erschien, ging ebenfalls unbemerkt vorüber. Das Käthchen von Heilbronn
veranlaßte seinen Bruch mit Iffland, dem Leiter des Nationaltheaters. Kleist hatte
durch seinen Freund Major von Schenk dieses Stück an dieser Bühne übergeben
lassen, und eine Freundin, Frau von Berg, hatte es übernommen, den Direktor in
einer ausführlichen Rücksprache persönlich für den Dichter zu
interessieren. Aber Iffland erwiderte nach seiner Überzeugung und den Pflichten
seiner Stelle, daß er die bedeutenden dramatischen Anlagen ehre, welche diese
Arbeit darthue, daß aber das Stück in der Weise und Zusammenfügung wie auf der Bühne
sich nicht halten könne. Bald darauf kam von Wien die Nachricht, daß das Stück
auf dem Theater an der Wien am 17., 18. und 19. März\1\ aufgeführt worden sei, aber nicht recht
eingeschlagen habe. Es ist möglich, daß Kleist infolge dessen einige Änderungen an
seinem Manuskripte vornahm; sicher ist, daß er das Stück dem Hofrat Römer
übergab, um es zum zweitenmale Iffland einzureichen, aber die Übergabe unterblieb, weil
Iffland versicherte, daß er es nicht gleich wieder würde lesen können. Hierauf forderte
Kleist das Stück zurück, und Iffland ersuchte den Vermittler, Herrn von Kleist
mündlich zu sagen, daß das Stück, dessen poetisches Verdienst er erkenne, ohne
gänzliche Umarbeitung auf der Bühne sich ohnmöglich halten könne.
\2\ Memoiren, II 163ff.
\1\ Bisher ungedruckt, im Besitze von
W v. Maltzahn.
\2\ Der Fürst (gest.
1833), Statthalter des
Großherzogtums Posen, heiratete 1796 die Prinzessin Friederike Dorothea Philippine Luise
von Preußen (gest. 1836), die Tochter des Prinzen August Ferdinand. Lange Jahre, während
der fürstliche Statthalter in Berlin wohnte, war das Palais
Wilhelmstraße 77, seit 1875 Wohnung des Reichskanzlers ein
Vereinigungspunkt für die Pflege der Musik. Selbst ein ausgezeichneter Künstler auf dem
Violoncell, hatte der Fürst sich durch seine Kompositionen zu Goethes Faust einen
hervorragenden Platz unter den musikalischen Größen Berlins erworben. Den musikalischen
und dramatischen Aufführungen wohnte fast immer der ganze Hof bei. Ob Kleists Prinz
von Homburg hier wirklich zur Darstellung kam, ist schwerlich mehr
zu konstatieren. Das
fürstliche Paar verband auch eine intime Freundschaft mit dem hessen-homburgischen Hause,
und es ist wahrscheinlich, daß Kleist dadurch veranlaßt wurde, sein Drama der Prinzeß
Wilhelm zu widmen.
\1\ Görres, Gesammelte Briefe, II 79.
\2\ Georg Andreas Reimer (gest. 1842)
kaufte 1800 die Realschulbuchhandlung und änderte erst 1819 die Firma in: Georg Reimer.
Er hat zu Lebzeiten des Dichters 1810 das Käthchen von Heilbronn und die
Erzählungen, 1811 den Zerbrochnen Krug und den zweiten Teil der
Erzählungen in Verlag genommen. Vgl. Briefe XXII, XXIII.
\3\ Dieser ausgezeichnete Offizier, dem
Kleist, gleich Rühle, seine eben vollendeten Schriften zu senden pflegte, fiel als
Oberstlieutenant in der Schlacht bei Leipzig. Vgl. Koberstein 13, 89, 152.
Briefe V.
\4\ Vgl. Briefwechsel zwischen Rahel und
Varnhagen, 1874, II 65, 76, 113, 115.
\5\ Und zwar an der Stelle am Wannsee, wo
Kleist später aus dem Leben schied. Vgl. Fouqués Lebensgeschichte 292f.
\6\ Die Abendblätter
enthielten am 22. Dez. 1811 einen Artikel von Brentano: Zum Tod der Königin
Luise und am 24. ein Schreiben aus Berlin über die Beisetzung der
Leiche der Königin in Charlottenburg, offenbar nicht aus Kleists Feder.
\1\ Die erste Darstellerin des Käthchen
Christiane Dorothea Pedrillo geb. Eigensatz war ein Liebling des Wiener und Berliner
Publikums und glänzte als Schauspielerin wie als Sängerin. Christel Eigensatz wird in
Gentz Tagebüchern (I 34) und Schriften (I 104, 109, 250) als dessen
Geliebte genannt.
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