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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Theophil Zolling (Hrsg.), Heinrich von Kleists sämtliche Werke. Erster Teil. Gedichte. Familie Schroffenstein. Familie Ghonorez (Berlin, Stuttgart: Spemann [1885]) (Deutsche National-Litteratur, 149. Band), Einleitung, XLVII-LI

Kriegsgefangenschaft, Erzählungen

Nun greift ein neues Moment störend in das Lebensglück des Schwergeprüften ein: die Not des Vaterlandes. Die großen politischen Ereignisse von 1805 wirkten mächtig auf den Königsberger Diätar, der sich bisher sehr wenig um Welthändel gekümmert hatte. Sein deutsches und preußisches Nationalgefühl wurde jetzt in ihm geweckt, um zu einer alles verzehrenden Leidenschaft zu werden, die von nun an sein Leben durch- <XLVIII:> drang, seine Dichtung mit Begeisterung füllte und auch seinen Tod herbeiführen half. Der Durchzug der Franzosen durch das preußische Franken, die Niederlagen Österreichs, die Entscheidungsschlacht bei Austerlitz mußten sein patriotisches Gefühl tief verletzen und für die Zukunft des isolierten preußischen Staats das Schlimmste fürchten lassen. Die Briefe aus jener Zeit imponieren uns durch ihren patriotischen wie politischen Geist. „So wie die Dinge stehen,“ schrieb er prophetisch Ende Dezember 1805 an Rühle, „kann man kaum auf viel mehr rechnen als auf einen schönen Untergang … Warum hat der König nicht gleich bei Gelegenheit des Durchbruchs der Franzosen durch das Fränkische seine Stände zusammenberufen, warum ihnen nicht in einer rührenden Rede – der bloße Schmerz hätte sie rührend gemacht! – seine Lage eröffnet? Wenn er es blos ihrem eigenen Ehrgefühl anheimgestellt hätte, ob sie von einem gemißhandelten König regiert sein wollten oder nicht, würde sich nicht etwas von Nationalgeist bei ihnen geregt haben? Und wenn sich diese Regung gezeigt hätte, wäre dies nicht die Gelegenheit gewesen, zu erklären, daß es hier gar nicht auf einen gemeinen Krieg ankomme? Es gelte Sein oder Nichtsein; und wenn er seine Armee nicht um 300000 Mann vermehren könne, bliebe ihm nichts übrig, als ehrenvoll zu sterben. Meinst Du nicht, daß eine solche Erschaffung hätte zu Stande kommen können? … Aus dem Oesterreichischen geht dieser glückgekrönte Abenteurer, falls ihm nur das Glück treu bleibt, gewiß nicht wieder heraus. In kurzer Zeit werden wir in den Zeitungen lesen: „man spricht von großen Veränderungen in der deutschen Reichsverfassung,“ und späterhin: „es heißt, daß ein großer deutscher (südlicher) Fürst an die Spitze der Geschäfte treten werde.“ Kurz, in Zeit von einem Jahre ist der Kurfürst von Baiern König von Deutschland. – Warum sich nur nicht Einer findet, der diesem bösen Geiste der Welt die Kugel durch den Kopf jagt! Ich möchte wissen, was so ein Emigrant zu thun hat!“
Indessen zog der Krieg noch einmal an Preußen vorüber, und nun konnte Kleist den Drang seiner liedervollen Brust nicht mehr gewaltsam zurückdämmen. Sobald der Lebensmut wieder in ihm aufflackerte, mußte auch die Muse sich einstellen, erst zaghaft, mit schüchternem Werben, dann mit leidenschaftlicher, alles verzehrender Heftigkeit. Vorderhand waren es keine weltstürmenden Pläne mehr, wie der unselige „Guiskard“. Statt, wie vor der großen Katastrophe, in prometheischem Trotze den allerhöchsten Problemen nachzujagen, fing er jetzt umgekehrt mit kleineren Aufgaben an. Er warf sich auf die Novelle und schrieb hier: Das Erdbeben von Chili, Die Marquise von O…, dann die geniale mystisch-romantische Nachdichtung des „Amphitryon“ von Molière. Der 1803 in Dresden auf Pfuels Anstiften wieder aufgenommene Zerbrochne Krug wurde wohl erst in der Königsberger Stille ganz vollendet, und die Erzählung Michael Kohlhaas, auf deren Stoff ihn Pfuel gebracht hatte, begonnen. Am Ende fand er die Kraft, in seinem am gewaltigsten <XLIX:> von Poesie durchglühten Werke: „Penthesilea“ die Geschichte seines Kampfes um „Robert Guiskard“ zu objektivieren und damit den letzten Rest seiner alten Krankheit abzuschütteln. Denn es ist gewiß, daß er in dieser titanischen Schöpfung, in der, wie er selbst sagte, der ganze Schmerz zugleich und Glanz seiner Seele liegt, die anfänglichen Kämpfe um den Kranz, den er Goethe von der Stirn zu reißen sich vermaß, seine Anläufe, den Guiskard zu vollenden und sein Ikarus-Geschick geschildert hat. Und indem sich so seine Mappen füllten, strebte Kleist wieder hinaus aus seinen beengenden Verhältnissen. Zunächst that er den Schritt, den seine Rückkehr zur Poesie ihm bei seiner Gewissenhaftigkeit unvermeidlich machte. Er gab im Frühjahr 1806 seine Stellung auf, um als Schriftsteller von seiner Feder zu leben. Eine Pension von jährlich 60 Louisdor, die ihm seine hochgestellte und hochherzige Cousine Marie von Kleist von der Königin Luise aus deren Privatschatulle „zu Begründung einer unabhängigen Existenz und zur Aufmunterung in seinen litterarischen Arbeiten“ erwirkt hatte und die er seit dem Dezember 1805 bezog, erleichterte ihm diesen folgenschweren Schritt.
Aber der Beginn der neuen Schriftstellerlaufbahn ließ sich schlimm genug an. Zuerst verfiel Kleist in schwere körperliche Leiden, die ihn die Seebäder von Pillau zu gebrauchen zwangen; dann brach der unvermeidlich gewordene Krieg mit Napoleon los, und französische Kriegsgefangenschaft war das Ende. Es ist als hätte er all dieses Unglück vorausgesehen, denn in einem Brief aus dieser Zeit an Rühle spricht sich seine alte Schwermut höchst schmerzlich aus und abermals spielt er mit der Idee des freiwilligen Todes. „Der Gedanke will mir noch nicht aus dem Kopfe,“ schreibt er an den Freund, der gerade damals das Glück der Liebe gefunden hatte, „daß wir noch einmal zusammen etwas thun müssen. Wer wollte auf dieser Welt glücklich sein! … Wir begegnen uns, drei Frühlinge lieben wir uns, und eine Ewigkeit fliehen wir wieder aus einander … Ach! es muß noch etwas Andres geben, als Liebe, Glück, Ruhm und XYZ, wovon unsere Seelen nichts träumen. Es kann kein böser Geist sein, der an der Spitze der Welt steht; es ist blos ein unbegriffener. Lächeln wir nicht auch, wenn die Kinder weinen? Denke nur diese unendliche Fortdauer! Myriaden von Zeiträumen, jedweder ein Leben, für jedweden eine Erscheinung wie diese Welt! Wie doch das kleine Sternchen heißen mag, das man auf dem Sirius, wenn der Himmel klar ist, sieht? Und dieses ganze ungeheure Firmament nur ein Stäubchen gegen die Unendlichkeit! Sage mir, ist dies ein Traum? Zwischen je zwei Lindenblättern, wenn wir Abends auf dem Rücken liegen, eine Aussicht, an Ahndungen reicher, als Gedanken fassen und Worte sagen können. Komm, lass’ uns etwas Gutes thun und dabei sterben! Einen der Millionen Tode, die wir schon gestorben sind und noch sterben werden. Es ist, als ob wir aus einem Zimmer in das andre gehn.“ – „Nun wieder zurück zum Leben!“ setzt er nicht weniger melancholisch hinzu; <L:> „so lange das dauert, werde ich jetzt Trauerspiele und Lustspiele machen. Ich habe eben wieder gestern eins fortgeschickt; es ist der ,zerbrochene Krug‘. Sage mir dreist, als ein Freund, Deine Meinung, und fürchte nichts von meiner Eitelkeit. Meine Vorstellung von meiner Fähigkeit ist nur noch der Schatten von jener ehemaligen in Dresden. Die Wahrheit ist, daß ich das, was ich mir vorstelle, schön finde, nicht das, was ich leiste. Wäre ich zu etwas Anderm brauchbar, so würde ich es von Herzen gern ergreifen. Ich dichte blos, weil ich es nicht lassen kann.“
In Pillau war Kleist bettlägerig, so daß er während des fünfwöchigen Aufenthaltes nur fünf- oder sechsmal das Bad nehmen konnte, und im Krankenzimmer traf ihn auch die Nachricht von der vernichtenden Entscheidung bei Jena und Auerstädt. Das warf ihn vollends nieder. Der furchtbare Umsturz trat ihm unmittelbar vor Augen, denn der Kriegssturm verschlug den Hof und die Regierung (auch seinen Gönner Altenstein) nach Königsberg. Hier fand seine ganz ins Große gestimmte Seele gewissermaßen eine Ablenkung von seinem eigenen Elend. „Mit meinem körperlichen Zustande,“ schreibt er am 6. Dezember an Ulrike, „weiß ich nicht, ob es besser wird, oder ob das Gefühl desselben blos vor der ungeheuren Erscheinung des Augenblicks zurücktritt. Ich fühle mich leichter und angenehmer als sonst. Es scheint mir, als ob das allgemeine Unglück die Menschen erzöge, ich finde sie weicher und wärmer und ihre Ansicht von der Welt großherziger … An unsere Königin kann ich gar nicht ohne Rührung denken. In diesem Krieg, den sie einen unglücklichen nennt, macht sie einen größeren Gewinn, als sie in einem ganzen Leben voll Frieden und Freuden gemacht haben würde. Man sieht sie einen wahrhaft königlichen Charakter entwickeln.“ Im Januar 1807 trieb es ihn aus Königsberg fort, um einen günstigeren Boden für seine dichterische Thätigkeit zu suchen. Er dachte an Dresden, wo er so manchen lieben Freund besaß, und verließ mit einer größeren Reisegesellschaft, zu der auch die Offiziere Pfuel, Gauvain und Ehrenberg gehörten, Königsberg, um zuvörderst nach Berlin zu gehen. Unterwegs trennte sich die Gesellschaft, Gauvain und Kleist reisten voran, Ehrenberg kam nach und Pfuel nahm den Weg nach Nennhausen, dem Landgute Fouqués. Kleist hatte sich in Cöslin einen Paß verschafft und denselben in Damm und Stettin, wo er zuerst französische Truppen fand, visieren lassen; als er, Gauvain und Ehrenberg aber in Berlin die Pässe beim Gouvernement unterzeichnen lassen wollten, machte man ihnen die sonderbarsten Schwierigkeiten, verhörte und verhaftete sie, denn man mißtraute ihrem angeblichen Austritt aus dem Heere. Trotz aller Beteuerungen ihrer Unschuld brachte die Gendarmerie am dritten Tage alle drei als Kriegsgefangene erst in ein unterirdisches Gefängnis nach Wustermark bei Potsdam und führte sie dann über Marburg, Mainz, Straßburg und Besançon ab nach dem Fort de Joux bei Pontarlier, <LI:> hart an der Schweizer Grenze; in dieselbe Festung, wo Toussaint l’Ouverture und Mirabeau geschmachtet hatten. Am 5. März kamen sie hier an. Man führte sie in Gewölbe „ohne Licht und Luft“, wie Kleist versichert, und behandelte sie wie gemeine Verbrecher. Erst auf Verwendung des Festungskommandanten de Bureau bei dem Gouverneur in Besançon wies man ihnen „andere Behältnisse an, die wenigstens den Namen von Wohnungen verdienen konnten“. Der Kommandant lieh den drei kriegsgefangenen Offizieren auf ihren Wunsch Bücher, wofür sich Kleist brieflich bestens bedankte.\1\ Mittlerweile eilte Ulrike auf die Nachricht von Heinrichs Verhaftung sogleich nach Berlin und wandte sich in einem energisch nicht Gnade, sondern Gerechtigkeit fordernden Schreiben an den Gouverneur General Clarke (späteren Kriegsminister und Herzog von Feltre). Dieser gab ihr schriftlich zur Antwort, Kleist habe sich durch die Reise „vom feindlichen Hauptquartier in den Rücken der französischen Armee“ der Gefahr ausgesetzt, als Spion erschossen zu werden, und sei noch mit Nachsicht behandelt worden. Indessen habe er, der Gouverneur, nun an den Kriegsminister geschrieben und ihn ersucht, die Gefangenen freizugeben. Mittlerweile hatten diese infolge einer gleich bei ihrer Ankunft auf der Festung abgefaßten Beschwerdeschrift an den Kriegsminister den Befehl erhalten, die Gefangenschaft auf dem Fort, gleich den anderen Kriegsgefangenen, mit der Internierung im Lager von Chalons sur Marne zu vertauschen. Hier hielt man sie noch monatelang fest. „Was sind dies für Zeiten!“ schreibt Kleist aus der Haft in Chalons an Frau Marie von Kleist, die sich gleichfalls eifrig für ihn verwendete, „Sie haben mich immer in der Zurückgezogenheit meiner Lebensart für isolirt von der Welt gehalten, und doch ist vielleicht Niemand inniger damit verbunden als ich. Wie trostlos ist die Aussicht, die sich uns eröffnet! Zerstreuung und nicht mehr Bewußtsein ist der Zustand, der uns wohlthut. Wo ist der Platz, den man jetzt in der Welt einzunehmen sich bestreben könnte, im Augenblick, wo Alles seinen Platz in verwirrten Bewegungen verwechselt? Kann man auch nur den Gedanken wagen, glücklich zu sein, wenn Alles im Elend darniederliegt? Ich arbeite, wie Sie wohl denken können, jedoch ohne Lust und Liebe zur Sache. Wenn ich die Zeitungen gelesen habe und jetzt, mit einem Herzen voll Kummer, die Feder wieder ergreife, so frage ich mich, wie Hamlet den Schauspieler, was mir Hekuba sei.“

\1\Vgl. Briefe VI.

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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