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Theophil Zolling, H. v. Kleist in der Schweiz (Stuttgart: Spemann 1882), 161f.

Heinrich Geßner an Heinrich Zschokke, Bern, 20. 10. 1802

Auf dem Schlößli bei Bern, 20. October 1802.

Du hast also auch herunter gemußt von Deiner Warte! Man erzählte sich vieles von Dir, Du habest mit dem Landsturm ziehen müssen, in Basel seyest Du ebenfalls weggeschickt worden u. dglch.
Ich blieb die ganze Zeit in Bern und hielt mich heilig verpflichtet, bei meiner hochschw. Frau und Kindern Alles zu erwarten – und wurde recht tüchtig gehudelt. Gleich in den ersten Tagen ward mir die Druckerey versiegelt und der Befehl vom General von Wattenwyl ertheilt, Bern sogleich zu verlassen; ich reclamirte als Angestellter der Regierung nach § 5 der Capitulation und schrieb an den General selbst, nicht beleidigend aber sehr stark. Der Unterstatthalter zeigte mir an, bleiben zu können, bis ich Antwort hätte, welche aber ausblieb und so blieb ich von Häschern und Spähern umringt, wie ein Verbrecher. Auf die Publication, daß jeder Fremde eine Sicherheits-Charte haben müsse, meldete ich mich ebenfalls, erhielt aber in derben Ausdrücken zum zweyten Mal das Consilium abeundi. Ich erklärte mich heftig gegen den Unterstatthalter, nicht von der Stelle zu weichen bis Bajonette mich wegtrieben. Endlich ward ich an den Statthalter Bay gewiesen, der auf eine wirklich liberale Art, auf mein Ehrenwort mich still und ruhig zu halten, sich garant für mich erklärte und mir bis in die kleinsten Nuancen Wort hielt.
An Bruder Louis aber übten die Herren ihre ganze Insolenz – eines Morgens wurde er zum Polizey-Director Wild gerufen, der ihm anzeigte, auf allerhöchsten Befehl in Zeit von 12 Stunden die Stadt zu räumen, er erbat sich eine nähere Erklärung dieser einmaligen Verfügung, worauf ihn Wild an den Chef der Militär-Polizey, Hrn. Steck von Lenzburg, wies. Nach öfterem Versuch, diesen mündlich zu sprechen, frug er ihn schriftlich und erbat sich einen Paß auf Zürich, indem er nicht glaube, daß ihr Banissement über die Grenze des Cantons sich erstrecke. Diß war die einzige Pointe des Billets. – Gleich nachher kam Befehl, welcher wörtlich lautete: Ludwig Wieland von Weimar soll innert zwey Stunden außert der Stadt seyn, sonst wird er durch Harschire hinaus geführt, unterzeichnet Steck von Lenzburg. Diesem Befehle ward ein Paß auf Basel beygelegt. Wie ein Deus ex machina fand sich Kleist und seine Schwester, die eben über Neuchatel nach Jena reisen wollten, und nun ihre Abreise mit Louis sogleich beschlossen – ich erbat mir nun einen Paß vom Unterstatthalter auf Neuchatell, sandte denselben ins General-Quartier zum Unterzeichnen, mit dem Bedeuten, daß Louis eine Gelegenheit gefunden hätte in der beraumten Zeit über Neuchatel zu verreisen. Die Herren sagten aber: Der Leckersbub soll über Basel und in einer Stunde weg seyn, und zerrissen den zweyten Paß. Kleist entschloß sich, über Basel zu reisen, und so waren sie in einer Stunde fort.
Wild kam und hielt Haus-Visitation. Louis’ ganzes Verbrechen war, wie sich jetzt Hr. Steck entschuldigte, daß Kleist und Wieland vor dem General-Quartier gestanden und gelacht hätten. So toll sanscüllotisirten diese Herrn. – Der alte Wieland wird ihnen aber etwas erzählen.
Noch war ich im Falle ein neues Logis zu beziehen, fand aber keine Möglichkeit eines in der Stadt zu finden und wohne nun seit einigen Tagen eine kleine Viertelstunde vor dem oberen Thore, ruhig und zufrieden, von dem Getümmel entfernt zu sein. <162:>
So durchlebt ich diese tolle Episode unserer immer trostloseren Revolution.
Es hat die Schwäche unserer Regierung und die Hirnwuth der Aristokratie gebraucht, um uns aufs neue und mehr als jemals – und ich bins überzeugt, auf immer – unter Frankreichs Zucht zu bringen. – Wir sind verloren für die Einheit und den Föderalismus, die Oligarchie hat sich selbst herabgewürdigt und die gute Opinion, die man noch von ihr hatte, selbst gemordet und die Republikaner sich in einer Schwäche gezeigt, die sie ebenfalls annullirt. – –.
Du weißt die Begebenheiten seit Rapps Ankunft. Ney scheint mit Energie handeln zu wollen und keinen Spaß zu verstehen. Reding ist politisch verloren – ich wünschte für ihn noch ein ehrenvolles Zurücktreten. Du weist die drey Deputirten des Senates, Müller Friedberg, Rüttimann und Püdouz – Wie die Cantons-Wahlen ausfallen mögen? –
Die Tragicomödie hat mich in öconomischer Hinsicht sehr beschädigt, ich werde mehr als je nur meinem Berufe leben. Thue als Freund was Du kannst. –
Pestaluzz und sein Institut existiren noch. Diese Sache geht – auch das Ausland intreßirt sich.
Rengger grüßt Dich, er ist noch mit dem Ministerium des Innern und der Polizey beauftragt. Usteri ist in Tübingen. Schreibe mir öfter und ich antworte Dir immer.
Was macht Hofmann und das Institut in Aarau?
Lebe wohl, meine Lotte grüßt Dich.

Dein Geßner.

– Gruner ist in Bern und hat etwas rappelköpfisch seine Demission als Bergdirector gegeben. –

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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