Theophil
Zolling, H. v. Kleist in der Schweiz (Stuttgart: Spemann
1882), 157f.
Heinrich Zschokke an Gottlieb Lamme, Bern,
25. 2. 1802
Bern, 25. Hornung 1802.
Allerdings, liebster Bruder, hättest du
diesmal recht, auf mich böse zu sein, daß ich so lange nicht geschrieben. Ich selbst bin
erschrokken, da ich, um deine im ersten Briefe mir gemachten Vorwürfe abzulehnen, unsere
Correspondenz durchsehe, finde, daß du vollkommen recht hattest. Und doch war ich mit
meinem Geist beständig bei euch drüben, und es war mir immer zu Muthe, als müßte ich
eher von dir Antwort erwarten, denn geben. Ich habe mich seit meinem letzten dir gesandten
Brief immer wohl befunden, an Leib und Seele. Ich war glücklich, war vergnügt und bins
noch itzt, und umsomehr, da ich mich meinem endlichen Ziele immer mehr nähere, nämlich
fern vom Getümmel der Welt auf einem eigenen Landgut am Fuße der Alpen dem Landbau, den
Wissenschaften und der Freundschaft zu leben. Dies war von jeher mein Lieblingswunsch.
So etwas aber will mit Vorsicht angefangen sein. Ich muß die
Landwirthschaft practisch studieren, ehe ich hoffen kann, darin mit Glück anzukaufen und
zu arbeiten. Man macht mir freilich aus übertriebener Freundschaft noch vielerlei
Hindernisse. Die Regierung will mich nicht aus der politischen Carriere lassen und hat
mich deswegen in die Hauptstadt der Schweiz hieher nach Bern gezogen, wo ich meinen
Freunden zu gefallen die Winterszeit zubringen will.
Aus den Zeitungen, wenigstens aus der
Posseltschen Allgemeinen Zeitung, wirst du ersehen haben, daß ich am Ende des alten
Jahres meine Stelle in Basel niedergelegt habe und daß die Regierung lange nicht daran
wollte, mich zu entlassen und meine Stelle wiedern zu besezzen. Es geschah endlich,
nachdem ich versprochen, nach Bern zu kommen.
Allerdings mus es dir in deiner Gegend seltsam vorkommen, daß ein
Mann, der drei bis vier Jahre lang in bedeutenden öffentlichen Aemtern stand, endlich
wieder gegen den Wunsch der höchsten Behörden resignirt. Nichts aber ist
hier natürlicher. Frankreich erhält die Schweiz fortdauernd in Abhängigkeit und
revolutionären Bewegungen die öffentlichen Aemter sind bei jeder Revolution
unsicher ich bin nicht reich genug, um es gleichgültig ansehn zu können in
späteren Jahren durch eine Staatsrevolution eclipsirt zu werden. Ich entferne mich also
vorsichtig zur rechten Zeit, begleitet von der Liebe des Volks und der Achtung der
Regierung. Wen du aus der Schweiz sprechen hören wirst (mit Ausnahme der Emigranten)
über mich, wird zu deiner Zufriedenheit von mir reden. Dies ist genug für mich. Ich
sehne mich nach festem Eigenthum. Ich bin über 30 Jahr, und will mich verheurathen,
sobald ich mein Etablissement gegründet und eine annehmliche Parthie gefunden habe. Ich
stehe wegen eines Landgutes in verschiedenen Gegenden in Unterhandlung. Mein Kapital kann
nirgends sicherer und mit meinen Neigungen übereinstimmender angelegt werden. Nächstens
meld ich dir davon mehr. Nach einigen Jahren, sobald mein Gut arrangirt ist,
werd ich wieder in Staatsgeschäfte eintreten.
Noch vor einiger Zeit schenkte mir Malans in Graubünden, als Beweis
seiner Erkenntlichkeit, sein Ortsbürgerrecht. Schweizerisches Ortsbürgerrecht ist
verschieden vom Staatsbürgerrecht. Durch jenes erhielt ich für mich und meine Nachkommen
Antheil an allen Waldungen, Gemeindeweiden und Alpen einer der ansehnlichsten Gemeinden
von Bünden. Auch die Stadt Basel schien mir, den Aeußerungen einiger bedeutender Männer
<158:> zufolge, etwas Aehnliches zuzudenken. Aber das Ortsbürgerrecht der Stadt
Basel ist nicht halb so einträglich und nützlich, indem Basel wenig Gemeingüter und
keine Alpen hat.
Ich verspreche dir nächstens mehr zu erzählen. Dies hier nur
einstweilen. Grüß alle Schwestern, Schwäger, alte und neue Verwandte. Wie
stehts mit dem kleinen Philipp Nizze,\1\
schreibe mir ob er fleißig sei, und wieviel ich für seine Lehrstunden zu zahlen schuldig
bin. Ich will das Geld sodann ohne anders durch ein Handelshaus in Basel nach Magdeburg
übersenden. Doch ich schreib ihm auch selbst ein Paar Worte. Grüß mir den lieben
Berendson und die ganze Sippschaft. Sollt ich alle ihre Namen nennen, so
müßt ich zu jedem Brief ein Wörterbuch oder Namenregister drukken lassen. Ich
umarme dich im Geiste.
DeinHeinr. Zschokke.
- \1\ Ein Waisenknabe,
den Zschokke auf seine Kosten erziehen ließ.
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