Theophil
Zolling, Erinnerungen von und an Klaus Groth, in: Die Gegenwart 39 (1891), Nr.
11, 165-168; darin: 167
Klaus Groth an Theophil Zolling, o. O., undatiert
Bei Dahlmann verkehrte ich wie Kind im Hause. In der geeigneten Jahreszeit, im Frühling
und Herbst, holte ich ihn jeden Tag vor dem Essen zu einem Spaziergange ab. Ich fand ihn
oftmals auf dem Sopha liegend und strich ihm wohl mit der Hand über sein dichtes noch
ganz dunkelbraunes seidenweiches Haar. Er pflegte mich dann Störenfried zu nennen, stand
kopfschüttelnd auf, zog Stiefel an, wobei er komisch heiter schalt und seufzte, und wir
wanderten dann in die schöne Umgegend Bonns hinaus. Dahlmann
sprach wenig, doch wurde er mittheilsam, wenn er irgend wie einen Anstoß bekam. So einst,
als mir Jemand einen Brief überreichte, der mit Gelegenheit wie es damals des
hohen Portos wegen oft geschah, abgesandt war. Der Brief war aus Kiel, enthielt
Nachrichten, die auch Dahlmann interessirten. Da sagte er plötzlich in ernstem Tone: Ich
habe es mir fest vorgenommen, nie einen Brief von Wichtigkeit gelegentlich zu schicken.
Vielleicht lebte ein lieber Freund von mir und ein großer Dichter noch, wenn er meinen
Brief rechtzeitig erhalten, den ich leider nicht mit der Post, sondern mit guter
Gelegenheit abgeschickt hatte. Er war an Heinrich von Kleist gerichtet. Wir waren eng befreundet, folgten den Heeren (1809) nach Böhmen, wo wir
längere Zeit verweilten und besonders viel mit dem Grafen Pfuel verkehrten. Wir drei
spielten oft das Militärspiel.
Wir waren Beide ohne Stellung
und ohne Aussicht. Beim Abschiede gaben wir uns das Versprechen: wer zuerst eine
Anstellung fände, solle dem Anderen schreiben und ihn bei sich aufnehmen.
Ich erhielt bald darauf die
Professur der Geschichte in Kiel und versäumte nicht meinem Versprechen nachzukommen. Als
meine Einladung Heinrich Kleist erreichte, hatte er sich eben erschossen.
Ich möchte glauben, daß
Dahlmann diesen Vorfall bei seiner Schweigsamkeit nie erzählt, wenn er nicht den
besonderen Anstoß dazu erhalten hätte; es wußte wohl Niemand in Bonn von seiner
Freundschaft mit Kleist. Ich erzählte die interessante Nachricht Otto Jahn, von dem sie
Julian Schmidt erhalten, der es freilich unterlassen, mich bei der Gelegenheit zu nennen,
wie es recht und mir angenehm gewesen wäre.
Wenn ich Abends, wie wir in
Holstein sagten, in de Schummerntied, wie ich es öfters that, Frau Dahlmann, meine liebe
Landsmännin besuchte, so ließ sie mich meistens nicht fort, ich mußte bleiben, wir
plauderten so nett von der Heimath, bis Dahlmann zum Abendbrod erschien. Gewöhnlich
machte er dann einen Scherz, wenn er mich gewahrte, sein ernsthaftes, ja fast mürrisches
Gesicht wurde freundlich, von Herzen war er durchaus freundlicher Natur und steckte voll
von norddeutschem Humor.
So kam er eines Abends,
offenbar von einem Gange, ins Wohnzimmer, wo ich mit der Frau und der lieblichen
Enkelin saß, grüßte nur flüchtig und sagte bewegt, wie ich ihn selten sah: Was ich
eben erlebt habe! Dann erst nahm er seinen Hut ab und erzählte noch stehend: Ich ging die
Coblenzerstraße herab, als mir bei Böckings-Arndts Garten ein kleiner rascher Herr
mit reichem weißen Haupthaar begegnete, der sich suchend umsah, offenbar fremd in Bonn.
Ich ging näher und sagte: Sie suchen gewiß Arndts Haus, das ist hier. Nein,
antwortete er, da komm ich eben her, ich suche General Tuckermann, dabei
kehrte er mir das Gesicht zu, sah mich erstaunt an und sagte: Dahlmann!
40 Jahre! Denken Sie an Prag, an Kleist, ans Militärspiel? Wohl Excellenz,
erwiderte ich, es sind 43 Jahre, ich bin Historiker.
So Dahlmann. Den folgenden
Morgen trafen wir den Minister in 48, Grafen Pfuel, die kleine Excellenz, wie er von nun
an zwischen uns Beiden hieß, nach Verabredung im Schloßgarten, und so, von da an, jeden
Morgen einige Stunden lang wohl durch mehr als einen Monat hin. Ich wurde freundlich
geduldet. Was habe ich dabei gehört und gelernt. Geschichte von Leuten, die mit geholfen
hatten Geschichte zu machen und trotz allem Scheitern (es war 1856) den Muth und das
Vertrauen auf die Zukunft Deutschlands behalten hatten.
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