Eugen
Wolff, Quellen für Heinrich v. Kleist, in: Die Zeit,
9. 1. 1914, 17-19; darin: 18
Ludwig Wieland an Charlotte Geßner, Oßmannstedt, Frühjahr 1803
Osmanstedt [Ende März 1803].
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Womit die Buchhändler iezt am meisten verdienen, das sind
Almanache, warum giebt Geßner keinen heraus? Dieß führt mich ganz natürlich auf Deine
Idee zu schriftstellern. Diesen Winter habe ich ein Gespräch geschrieben, über und gegen
die Schriftstellerey der Weiber; daher bin ich Parthey; doch ist es mir nicht so bittrer
Ernst. Es schreibt iezt wer kann, Kinder, Weiber und zahnlose Mütterchen, es ist das
papierne Zeitalter, wer irgendwo zu viel oder zu wenig hat, der hilft sich mit der Feder.
Es ist eine Art geistiger Aderläße und Nothdurfts Verrichtung. Im Ernst, liebe Lotte,
wenns Dich einmal drängt, so versuchs. Gut sprechen und gut schreiben ist
ganz zweyerley, ja oft schließt es sich einander aus. Wohl dem Autor,
der es aus innrer Notwendigkeit seyn muß, bey dem es ein unwillkührliches Geschäft des
Geistes ist, das ist z. B. der Fall des vortrefflichen Richardson.
Apropos, Kleist und ich lasen hier die Clarissa, und lebten in und
mit ihr ganze acht Tage. Darin liegt das Geheimniß, daß man den Leser gar nicht loß
läßt, ihn ganz umspinnt und in immer engern Kreißen wie gebannt hält. Das geschieht
aber nicht durch gedehnte und ärmliche Schilderung alltäglicher Empfindungen, sondern
durch den reinen Fortgang einer einfachen und interessanten Handlung, wie Du auch in
der Clarissa findest
Kleist
ist nach Leipzig gegangen, von da geht er nach Weimar oder wo anders hin; meine Wenigkeit
wird wahrscheinlich nach Wien reisen, vielleicht schon nach Ostern, und dort ein
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