Adolf
Wilbrandt, Heinrich von Kleist (Nördlingen: Beck
1863), 198-200
Kleist und Ernst v. Pfuel
Pfuel, so scheint es, konnte zuletzt diese Selbstverwüstung nicht mehr ansehen,
ohne einen Versuch zu seiner Heilung zu <199:> machen. Er war zu dieser Zeit
vielleicht der Einzige, der wirklichen Einfluß auf ihn hatte, dem er sich ganz
enthüllte. Sein frühgereifter Charakter, ebenso fest, wie der des Freundes von Launen
des Gemüths beherrscht war (in mir ist nichts beständig, als die
Unbeständigkeit, sagte er selber von sich), war für Kleist ein Mitkämpfer gegen
dessen innerlichen Feind; bald suchte ihn Pfuel zu spornen, bald zu mäßigen, je nachdem
es an der Zeit war. So äußerte er eines Abends Zweifel an Kleists komischem Talent
und reizte ihn dadurch, dem Ungläubigen sofort die drei ersten Scenen des zerbrochenen
Krugs (der schon in der Schweiz begonnen war) in die Feder zu dictiren. Zu
andern Zeiten hatte er freilich um so starrer gegen die Ueberhebungen des
jungen Dichters zu streiten, seinen Ehrgeiz zu dämpfen, ihm seinen überspannten Hochmuth
vorzuwerfen. Dann wieder kam über Kleist der andere Dämon der Verzweiflung, und der zum
Kitzel heranwachsende Trieb, dieser ganzen Erbärmlichkeit ein rasches Ende zu machen.
Schon als Knabe hatte er ganz im Geiste jener Werther-Zeit mit dem
Gedanken des Selbstmordes gespielt. Dann, in seiner Studentenzeit, hatte es ihn zwar
aufs tiefste erschüttert, als einer seiner nächsten Freunde sich durch einen
Pistolenschuß das Gesicht entstellt hatte, ohne zu sterben, und er schrieb dem
Unglücklichen einen herzergreifenden (verloren gegangenen) Brief über das Sündhafte
einer solchen feigen That; aber seit wir ihn mit seinem Ideale ringen sehen, hören wir
diese unheimliche Töne lauter und lauter anklingen. Er, dem das Leben nichts
war, wenn es nicht Alles war, gewöhnte sich nur zu bald an die Idee,
freiwillig und in edler Gesellschaft aus dem Dasein zu scheiden müsse doch der würdigste
Abschluß aller dieser irdischen Nichtigkeiten zu sein. Nun sah er, bald näher bald
ferner, den vernichtenden Moment der vollen Verzweiflung heranziehen, und aller der Unruhe
und der Qualen müde ersehnte er sich den Tod. Aber er wollte ihn als freies Ich sich
selber wählen. Schon damals trug er seinem Freunde an, mit
ihm <200:> zusammen zu sterben, und wie von einer fixen Idee gepackt kam er
immer von neuem darauf zurück. Pfuel suchte ihn davon zu heilen, indem er ihm nur mit
Spott und Humor erwiderte; so sagte er ihm einmal auf einen neuen Antrag dieser Art:
Noch ist es nicht Zeit, warte nur noch: sobald es Zeit ist, werde ichs Dir
sagen. Dann lachte Kleist; denn er verstand allezeit guten Spaß, dieser finstere,
räthselvolle Mensch; und für einige Zeit war der wilde Wunsch verflogen, um bei
gelegener Zeit wie ein fixirter Fiebertraum wieder aufzutauchen\1\.
\1\ Nach mündlicher Mittheilung.
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