Hermann F. Weiss, Unveröffentlichte Zeugnisse zu Heinrich von Kleists Dresdener Jahren
aus den Nachlässen Ernst und Heinrich Blümners, in: Euphorion 89 (1995), 1-22;
darin: 19
Ernst Blümner an Heinrich Blümner, Dresden, 4. 3. 1808
Die Körner Familie ist Dir für die Eitle Mühe der Verliebten sehr dankbar, und
empfiehlt sich Deinem Wohlwollen. Man war im K.schen Hause schon seit 4 Wochen mit
Einstudiren einer anderen Bearbeitung dieses Stücks von einem Hrn v. Pfuel, Preuß.
Ex-Offizier beschäftigt. Es ist aber Hr. v. Vieth, der den Onkel spielen sollte,
unpäßlich, und fürs erste ist die Aufführung verschoben worden.
Von dem neuen Phoebus ist
wenig Heil zu erwarten, und es wird wol ein Phaeton daraus werden, wie neulich Jemand von
geringer Altrömischer Bildung ihn in der Unschuld seines Herzens nannte. Das erste Heft
enthält einiges nicht schlechte. Das zweite ist merklich dürftiger. Meine
Erwartung befriedigt dies Journal gar nicht, weil es über bildende Kunst fast nichts
enthält. Obgleich der Name Kunst-Journal und die Ankündigung, in der es unter anderm
hieß, daß Dresden seit der Kunstberaubung des übrigen Deutschlands sich zur Herausgabe
dieser Schrift besonders eigne pp. dergleichen erwarten ließ. So sehe ich z. B.
nicht ein, was die abgeschmackte, über dieß nicht besonders erzählte Geschichte,
die sich lediglich um den schmutzigen Pirot einer Schwangerschaft, deren Urheber man nicht
kennt, dreht, mit der Kunst gemein hat. Diese Erzählung nimmt zwey Drittel des 2ten
Heftes ein. Dieses enthält noch eine verworrene Radotage über das Schöne, die Müller
überdieß schon in seinen Vorlesungen zum Besten gegeben hat, einige flach-sentimentale
Worte über Corinna von demselben, und eine Übersetzung der Lafontainschen
Fabel: Die Tauben, die jeder vernünftige Mensch lieber im Original liest, obgleich Hr.
v. Kleist sehr sinnreich aus zwey Bruder-Tauben einen Tauber und ein Täubchen
gemacht hat. Im ersten Hefte sind einige artige Worte über den Tanz. Der Verfasser
ist unter uns Körner. Seitdem das 2te Heft so schlecht ausgefallen ist, wird
K. nichts mehr geben. Das bedeutendste sind Bruchstücke aus einem Trauerspiel Penthesilea
von Kleist; aus denen nicht viel mehr als eine einzige rohe poetische Kraft hervorgeht,
von der es problematisch ist, ob sie den Stoff je zur schönen Form überwinden wird.
Übrigens ist der leiseste Zweifel an der Göttlichkeit des Phoebus in der modernen
wenigstens der weiblichen Gesellschaft von Dresden ein Verbrechen. Vive le ridicule! Die
Kunst alt zu werden, ist die Kunst zu lachen.\117\
\117\ KN, S. 81f. Das zweite Phöbus-Heft
war am 25. 02. 1808 erschienen.
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