Hermann F. Weiss, Funde und Studien zu Heinrich von Kleist (Tübingen: Niemeyer
1984), 147f.
Christoph Martin Wieland an Johann Daniel Falk,
Weimar, 22. 4. 1808
W. den 22sten April. [1808]
Guten Morgen!
Mit vielem Dank stelle ich Ihnen, Werthester Freund, das 3te Stück
des Phöbus wieder zu. Einen possierlichern Mischmach von Wahrem u. Absurdem
hab ich nicht leicht gelesen; nur daß alles Wahre gemein und längst gesagt,
alles neue hingegen lauter Seifenblasen, Irrwische und Wind! Wind! Wind! ist. Eine
lustige Theorie der Schönheit und der Poesie, vermöge deren alles was lebt schön
und alles was nicht Prosa ist, Poesie ist!! Noch lustiger finde ich Herrn Adams Methode
im Vortrag, seine Art zu demonstrieren, wo er den Satz in welchem die Beweiskraft liegt,
fast allemahl gratis voraussetzt seine Manier durch Bilder u.
Gleichnisse zu beweisen, sein Bachstelzenartiges Hin u. herHüpfen und mit dem
Köpfchen Hin u. herwackeln und herumgucken etc. Kurz die Dresdner Damen u. Herren
haben sich da für ihr Geld einen Philosophischen Polichinel\39\ angeschaft, den sie sich nicht närrscher u. drollichter wünschen
können. Übrigens und wiewohl Hr. Adam mit sich selbst noch lange nicht auf dem
Reinen ist, scheint er doch hie und da, besonders auf den lezten Blättern seiner
Vorles [ung] wo möglich unvermerkt, auf die gewöhnliche Land und Fuhrstraße
einlenken zu wollen, u. in diesem Sinn kann nichts erbaulicher oder, wenn Sie wollen,
lustiger seyn, als die allgemeine Amnestie und Christliche Toleranz alles
dessen was nun einmahl da ist, oder noch kommen wird, wozu er seine Brüder so
nachdrücklich ermahnt. Kurz, wir erleben vielleicht noch die Zeit, wo wir (ungefähr in
eben dem Sinn wie unser Herrgott von dem ersten Adam) wieder sagen können: Adam
ist worden als unser einer. Über die unverständigen Sprach u. Wörter-Controlleurs,\40\ über den Mißbrauch dessen was man
Correctheit, Eleganz u. s. w. nennt, und mehr anderes sagt er einige wahre aber
höchst triviale Dinge: aber haben Sie in Ihrem Leben etwas possierliches gehört oder
gelesen als folgendes (pag. 17) Jedes Wort hat einen Körper d. h.
einen bestimmten festen Begriff, den es (das Wort) als Seele bewohnt: aber
wie dieser Begriff durch den Philosophen (vermittelst der Abhäutung und
Abfleischung) in Beziehung auf alle andere Begriffe des Universums gebracht werden kann,
eben so das Wort durch den Dichter auf alle andere Worte. So
daß einem Poeten nach der Neuesten Art und Kunst nichts leichter, ist als Arsch und
Balsambüchschen, Misthaufen u. Hyacinthen-Beet Regenbogen und Nachttopf in Beziehung zu
bringen und eins fürs Andere zu setzen. Von dergleichen Behauptungen wimmelts in dieser
Vorlesung Und um einen solchen Morosophischen Marktschreyer versammelt sich
das hochadeliche u. Wohlvornehme Dresdner Publicum utriusque sexus, und wirft ihm
mit Gold beladne Schnupftücher zu! Wird man da nicht versucht, mit dem Zigeuner Hauptmann
in Göthes Schönbartsspiel auszurufen: Weitmanlichte Laffen, feilschen u. gaffen,
gaffen u. kaufen, Bestienhaufen! Kinder u. Fratzen! <148:> Affen und
Katzen! \41\ Aber wie sollte
auch ein philosophischer Saltimbanque nicht Glück machen der den Damen
demonstriert, daß die unholdeste von ihnen, wenn sie nur lebt, so schön ist als
die Mediceische Venus,\42\ und jeder Hofjunker u.
Fähndrich, wenn er nur wohl parfümiert u. gesellig ist, sich getrost neben
Sokrates u. Plato, Alexander u. Cäsar stellen kann? Mundus vult decipi. Soviel
beyläufig und in Eil. Denn ich muß zu meinem lieben Cicero,\43\ wiewohl Hr. Adam (vermuthlich weil der arme Mann todt
ist) soviel böses von ihm sagt.\44\
Dies Blättchen ist nur für
Sie: Sie machen also keinen Gebrauch davon. Adieu, leben Sie wohl, l. F.
W.
- \39\ Frz. Polichinelle. Charaktermaske aus
süditalienischen Volkspossen, die in die Commedia dellarte aufgenommen wurde.
\40\ Müller greift z. B. den ,Dictionnaire
de lAcademie und Adelung an (Phöbus. Ein Journal für die Kunst. Hg. von
H. v. Kleist u. A. Müller. Dresden 1808. Fotomechan. Nachdruck. Nachwort
u. Kommentar von H. Sembdner. Stuttgart 1961. S. [7ff.] u. [10]).
\41\ Das Zitat stammt aus Goethes Satire
,Jahrmarktsfest zu Plundersweilen. Ein Schönbartspiel, dessen erste Fassung 1774
erschien.
\42\ Wieland macht sich hier über folgende
Behauptung Müllers lustig: alles was lebt, ist, inwiefern es lebt, auch
schön. (Phöbus. Stuttgart 1961. S. [115]).
\43\ Ab 1808 veröffentlichte Wieland eine
Gesamtausgabe der Briefe Ciceros in deutscher Übersetzung.
\44\ Bei Müller heißt es: Welches
kräftige Gemüth hat sich nicht gesträubt, als in seiner Jugend eine kümmerliche
Blumenlese Ciceronischer Wendungen ihn als einzig schöne Latinität aufgedrungen wurde,
die darin bestand, die für sich schon steifen und gezierten Gelenke des Cicero, dieses
eben nicht sehr römischen Römers, im Holz nachzuschnitzeln
(ebd.
S. [120]).
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