Albrecht
Weber (Hrsg.), Briefe der Familie Körner (1804-1815), in:
Deutsche Rundschau 4 (1878), H. 10 (Juli), 115-136; darin: 118f.
Emma Körner an Friedrich Benedikt Weber, Dresden, 20. 11. 1810
Dresden den 20. November
1810.
- Von Ihrem Bruder\1\
werden Sie wahrscheinlich schon weitläufig gehört haben, wie wir diesen Sommer
zugebracht und daß der Zweck unsrer Badereise glücklich erfüllt worden ist indem wir
die Freude haben meine theure Mutter gesund zu sehen. Die Reise selbst hat mir unendlichen
Genuß gewährt da ich die böhmischen Gegenden noch nicht kannte, und der Weg von hier
bis Carlsbad die schönsten Landschaften darbietet, und dem Auge die reichste Abwechslung
gewährt. Die Spaziergänge in Carlsbad sind wunderschön und äußerst mannichfaltig.
Meine Mutter und Tante giengen nicht an den Brunnen, was mich hingegen sehr amüsirt hat
(obgleich das Lokal nichts weniger als reitzend dort ist) und ich gieng unter den Schutz
der Gräfin Dohna, oder der Generalin Lestoq an den Neubrunn, die letztere ist so wie ihre
ganze Familie sehr angenehm im Umgang. Der alte General Lestoq hat aber die Eroberung der
ganzen Badewelt durch sein interressantes militairisches Aeußere und sein
liebenswürdiges Betragen gemacht. Ueberhaupt waren mehrere sehr angenehme Menschen unter
den Preußen, welche sich dieses Jahr in Carlsbad befanden. Göthe war auch in Carlsbad
und ich war äußerst begierig ihn nach mehreren Jahren wieder zu sehen, die erste
Zusammenkunft mit ihm entzückte mich indessen nicht, da er immer etwas steifes hat, ehe
man genauer mit ihm bekannt wird und obgleich er meine Aeltern doch nun schon so lange
kennt, konnten wir es doch während unsers ganzen Aufenthalts in Carlsbad nicht dahin
bringen, mit ihm auf einen zutraulichern Ton zu kommen, aber bey einen Aufenthalt von
14 Tagen, denn er nach vollendeter Badekur in Dresden machte, hat er uns reichlich
für diese Förmlichkeit entschädigt, indem er ein ganz andrer Mensch war, als wie wir
ihn früher gesehn und seine Art sich über so manche Gegenstände mitzutheilen uns
unendlichen Genuß gewährt hat. Er nimmt großes Interesse an Musik und unsre kleine
Singakademie machte ihm sehr viel Freude. Dresden hat ihm so wohl gefallen, daß er uns
versprochen künftiges Jahr wieder hier durchzugehn und dann einen längern Aufenthalt zu
machen, er hatte uns <119:> auch eingeladen ihm diesen Winter in Weimar zu besuchen,
was aber bey den Vater seinen Geschäften leider ganz unmöglich ist.
Einige kleine Gedichte welche
er an die Kayserin von Oestreich gemacht und seine Pandora ausgenommen haben
wir nichts neues von seinen poetischen Productionen gesehn, er sagt selber daß er diesen
Sommer nicht sehr fleißig gewesen, da ihm Kränklichkeit oft daran verhindert hat. Von
den Wanderungen Wilhelm Meisters ist manches fertig, wird aber noch nicht
sobald erscheinen, und wie er uns sagte, wird die Fortsetzung derselben in einen ernsten
strengen Geschmack seyn, und wenig mit den lieblichen Bildern gemein haben, von denen er
uns in den Cottaschen Almanach vorigen Jahres eine Probe gegeben.
Ein
bedeutender Stern erscheint jetzt an den litterarischen Himmel des nördlichen
Deutschlands, la Motte Fouqué, dessen Dichtungen, obgleich Fouqué
eigentlich von französischer Herkunft ist, doch ächte Deutschheit verrathen, und daß er
sich ganz in den Sinn der Nation hereingedacht hat, mit der er seit vielen Jahren lebt\1\. Ich weiß nicht ob Ihnen schon sein
dramatisches Gedicht Sigurd oder der Held des Nordens bekannt ist,
welches ein bedeutendes Genie verrätht und welches ich Ihnen rathe baldigst zu lesen,
wenn Sie es noch nicht kennen. Von seinen kleinen Aufsätzen erscheinen in mehrerern
Journalen, unter andern im Pantheon, dann auch in dem vaterländischen
Museum, beydes sehr interessante Journale durch die Mitarbeiter. Neulich habe ich auch
in einen Blatt, der preußische Hausfreund genannt, einen sehr schönen
Aufsatz von ihm über den Tod der unvergeßlichen Königin gelesen, ein zweites Blatt
wovon er und Kleist die Redakteurs sind, kommt täglich unter den Namen Abendzeitung
in Berlin heraus. Haben Sie schon das neue Trauerspiel von Oehlenschläger Axel
und Wallburg gelesen? es hat wieder eben so viel Schönes wie sein Hakon Jarl,
von dem es eine Art von Fortsetzung ist, wenigstens bekommt es noch mehr Interesse wenn
man den Hakon vorher gelesen hat. Zwischen den letztern und Axel steht noch seine
Tragödie Palnatoke, welche aber noch nicht ganz übersetzt seyn soll, nach
der kurzen Skizze die ich davon in den Pantheon gelesen, muß es sehr groß seyn; hingegen
sind im Axel sehr viel liebliche Ideen auf das zarteste ausgeführt.
Ich wage es diesen Brief ein
Exemplar von meines Bruders Gedichten beyzufügen und sie Ihren Urtheil zu unterwerfen,
Sie werden das Streben seines jungen Geistes nicht verkennen, es sind die ersten Blätter
von ihm, welche öffentlich erscheinen.
\1\ Hier ist wieder Karl Weber
gemeint, s. Brief V.
\1\ Fouqué ist ein geborner
Deutscher (geb. zu Brandenburg am 12. Febr. 1777); seine Familie ist schon Ende des
17. Jahrhunderts aus Frankreich ausgewandert, zunächst nach Holland.
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