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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Albrecht Weber (Hrsg.), Briefe der Familie Körner (1804-1815), in: Deutsche Rundschau 4 (1878), H. 9 (Juni), 461-479; darin: 469

Dora Stock an Friedrich Benedikt Weber, Dresden, 11. 4. 1808

Dresden den 11. Aprill. (1808?)

Es überrascht mich, daß der Herzog von Hollstein meiner noch gedenkt, und daß er sogar sich erinnert daß ich Ihm eine Antwort schuldig bin. Aufrichtig zu sagen, ich glaubte nicht, mir schmeicheln zu dürfen, daß Er einiges Interesse an meinen Briefen nähme: sondern ich fürchtete, daß Er mir nur aus Höflichkeit schriebe, und ich glaubte Ihn durch Stillschweigen von dieser Pflicht erlößen zu müssen.
Grüßen Sie Ihn recht herzlich von mir, und sagen Sie Ihm, daß sein Andenken immer gleich lebhaft mit mir fortleben würde. Ach es ist so angenehm bey der allgemeinen Zerstörung und Vernichtung auf die dauernde Anhänglichkeit seiner Freunde rechnen zu können. Dieses Glück habe ich jezt recht lebhaft genossen, wie ich die Herzogin von Curland\1\ jezt wiedersah treu und unverändert, wie in den ersten Tagen unsrer Freundschaft! Ich rechne die Tage, die ich mit ihr verlebte zu den schönsten, die das Schicksal mir diesen Winter gab. Ich werde auch diesen Sommer viel mit ihr seyn, denn ich gehe zu ihr nach Löbichau, und von da mit ihr nach Carlsbad. Ueberhaupt habe ich sehr Ursache danckbar gegen das Schicksal zu seyn; wie wichtig und groß auch die Ereignisse der mich umgebenden Welt seyn mögen, der kleine Kreis meiner Lieben ist nicht gestört. So lebhaft ich mich auch der Unfälle annehme, die die Menschheit trift, so sehr mein Herz dabey blutet, so tröstet mich doch immer wieder der Gedanke, daß mir Gott die Meinen gelassen und daß ich daher alles Trübsal gedultiger ertragen kann.
Sie kennen unsere Lebensweise; und Danck sey es dem Schicksal, wir haben sie ungestört fortführen können! Wir haben außer den wöchentliche Musiken, noch zwei Opern aufgeführt, die Griselda und bey der Anwesenheit der Herzogin Cosi fan tutte. Juliens Stimme wird täglich schöner, und also wird dieser Genuß immer noch für uns erhöht. Es sind viele Privat Comedien gespielt worden, wo ich auch mitgespielt habe. Bälle waren ohne Zahl, und also haben wir einen sehr angenehmen Winter gehabt.
Zu Pfingsten trennt sich Carl von uns, und das wird eine trübe bittre Zeit werden! –
Herrn von Kleist\2\ sehen wir oft in unserm Hause und wir schätzen ihn als Mensch wie er verdient. Mit dem Schriftsteller haben wir manchen Streit. Sein Talent ist unverkennbar, aber er läßt sich von den Heron\3\ der neuern Schule auf einen falschen Weg leiten, und ich fürchte daß Müller einen schädlichen Einfluß auf ihn hat. Seine Penthesilea ist ein Ungeheuer, welches ich nicht ohne Schaudern habe anhören können. Sein zerbrochner Krug ist eine Schenckenscene die zu lang dauert, und die ewig an der Grenze der Decenz hinschißt. Seine Geschichte der Marquisin von O. kann kein Frauenzimmer ohne Erröthen lesen. Wozu soll dieser Ton führen? Ueberhaupt fürchte ich, das der Phöbus nicht länger wie ein Jahr leben wird. Jezt schon wird er weder mit Vergnügen erwartet, noch mit Interesse gelesen. Und doch wollen diese Herren an der Spitze der Litteratur stehen und alles um sich und neben sich vernichten. –

\1\ Schwester Elisa’s von der Recke, Dorothea, geb. Reichsgräfin v. Medem, geb. 3. Februar 1761, gest. 20. August 1821; ihr Schloß in Löbichau war ein Sammelplatz aller schönen Geister, s. Gustav Parthey, Jugenderinnerung 1, 287 flg.
\2\ Heinrich von Kleist lebte bekanntlich, nachdem er aus der französischen Gefangenschaft entlassen, von 1807-1809 in Dresden, wo er mit Adam Müller den „Phöbus“ herausgab.
\3\ Oder: Herrn? s. den Schluß des Briefes, wo freilich auch: Heroen gelesen werden könnte!

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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