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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Albrecht Wachler (Hrsg.), Franz Passow’s Leben und Briefe (Breslau: Hirt 1839), 95-97

Franz Passow an Johanna Victoria v. Voigt, Weimar, 24. 2. 1809

Weimar, 24. Februar 1809.

An Frau von Voigt.
Ihr letzter Brief, werthe Freundin, hat Luisen und mir so viel Freude gemacht, daß wir nicht anders können, als Ihnen, jedes für sich, in zwei Antworten danken. Was Sie uns von Ihrem gegenwärtigen Befinden sagen, ist uns recht beruhigend gewesen, so viel Sie auch unsern guten Wünschen noch übrig lassen. Aber die würden doch nie ganz erfüllt werden können, durch kein zeitiges Glück; und darum genießen wir schon dasjenige erfreut mit Ihnen, was Sie jetzt Ihren Freunden in Dresden schuldig zu seyn glauben, wenn es auch eigentlich wohl Ihr eignes Werk ist. Daran knüpfen Sie die schöne Hoffnung für uns, Sie bald wieder in unsrer Mitte zu sehn. Ihre Nähe, glaube ich, würde für uns um das doppelte ihres Werths gesteigert seyn, da wir erfahren haben, was es heißt, sich einer so lieben Gewöhnung zu entwöhnen. Und auch Sie würden vielleicht mit neuer Liebe zu uns zurückkehren, und unsern kleinen Kreis durch Fr. v. Niebecker und den wackern Abeken nicht wenig verschönt finden. Ueberhaupt leben wir jetzt so ungestört, so unabhängig, wie es in einem Staat nur möglich ist. Von den alten Collegen hab’ ich mich mit guter Manier ganz abgelöst; und das einzige langweilige Verhältniß, die Bekanntschaft mit der Schopenhauer, hat die vielgewandte Frau selbst auf die drolligste Weise erleichtert. Ich sehe sie fast gar nicht, außer wenn sie mich holen läßt, und etwas von mir haben will. Denn für entsetzlich gutwillig &c. hält ihr tiefer Blick mich gewiß. Auch könnte es manchem so scheinen, der hört, daß ich die Anordnung und Anfertigung eines Katalogs von Fernow’s Büchern auf mich genommen habe, was mir manche Stunde raubt. Ich thue es aber auch darum, damit sich wenigstens einer von Fernows Weimarschen Freunden nach seinem Tode anders als gemein zeige. – Vom Theater kann ich Ihnen allerlei erzählen. Seitdem Göthe es wiederbekommen, hat Becker seinen Abschied genommen, und geht Ostern einstweilen nach Berlin, dann wahrscheinlich über Dresden nach Breslau. Vermuthlich wird der liebe Deny seine meisten Rollen übernehmen. Den Arkas hat er schon nach seinen geringen Kräften tapfer verhunzt. Um aber auch gegen nichts Gutes undankbar zu seyn, müssen wir uns der Ordnung freuen, die seit jener Zeit in der Abwechslung der Vorstellungen herrscht, indem nun regelmäßig Montags Komödien, Mittwochs Trauerspiele, Sonnabends Opern gegeben werden. So haben wir in ununterbrochener Reihe Wanda, Nathan, Tell, die Jungfrau, Iphigenia, Egmont, Wallensteins Tod, Antigone, Tasso, Maria Stuart gesehn. Phädra, Göz und Clavigo werden die drei nächsten Mittwochen ausfüllen. – Die Antigone wurde zum Geburtstag der Herzogin gegeben. Der Plan war ganz der der herrlichen Antigone des Sophokles (die Sie vielleicht aus Solgers gediegener Uebersetzung kennen), und auch im Einzelnen erinnerte so manches Wort und Bild an das Original, daß man ohne sonderliche Mühe merken konnte, es solle eine Uebersetzung des Sophokles seyn. Wenn ich Ihnen aber sage, daß Herr Rochlitz in Leipzig der Bearbeiter ist, so werden Sie den Grimm begreiflich finden, den ich gegen diese Bearbeitung hege. Daß Rochlitz nicht nur keinen griechischen Buchstaben lesen kann, sondern daß er auch von nichts so fern ist, als von antikem Sinn, das ist wohl ziemlich ausgemacht. Nun unterfängt sich ein solcher Mann aus deutschen Uebersetzungen eine neue zusammen zu betteln, und scheut sich gar nicht, mit unverzagter Hand wegzuschneiden, was seiner Jämmerlichkeit zu gewaltig war: ja – was ärger ist – nach seinem bessern Leipziger Geschmack umzumodeln; was er nicht verstand, und mit großmüthiger Freygebigkeit aus eignen Mitteln zuzubüßen, wo ihm der heilige Alte nicht poetisch genug war. Sie haben wirklich keine Idee <96:> davon, was das für Zeug ist. Gleichwohl triumphirte Sophokles recht sichtbarlich über den Rochlitz; denn es zeigte sich recht augenscheinlich, daß dieser Herkules die ganze Pleiße hätte durch das Stück leiten können, und daß es ihm gleichwohl nicht gelungen seyn würde, seine Göttlichkeit hinauszuschwemmen. Indeß muß man auch sagen, daß die Wolf als Antigone Wunder gethan hat, und man könnte leicht auf den Gedanken einer unmittelbaren Inspiration kommen. Daß in neuerer Zeit keine antike Rolle so gespielt worden, ist das wenigste, was man sagen kann. Die Ismene wurde von der Unzelmann auch mit recht viel Sinn und Zartheit gespielt. Den Kreon verdarb Haide total, und auch Graff als Tiresias leistete nichts besonderes. Doch übertraf Oels als Hämon alle Erwartung weit. Der Chor war unwissenderweise, wie in der Braut von Messina wissender, zu zwei Halbchören gemacht, deren Stimmführer Wolf und – der liebe Deny waren. Ein Freund von grellen Contrasten würde dabey seine reiche Rechnung gefunden haben: denn Wolf spielte mit einer herrlichen Würde und Einfalt. Von Lustspielen ist nichts neues oder bedeutendes vorgekommen, etwa den Talisman von Contessa, eine Fortsetzung des Räthsels, ausgenommen: denn die Mitschuldigen sind ungenießbar, seitdem Herr Deny den Süller macht. – Von den Opern kann ich Ihnen keine Relation geben. Ueberhaupt bin ich jetzt höchst selten anders, als Mittwochs im Theater, und überhaupt sehr fleißig, wovon ich Ihnen vielleicht nächstens ein gedrucktes Document schicken kann. – Auf der Redoute bin ich inzwischen gewesen, um den großen, von Göthe und Falk angeordneten Aufzug auch zu sehn. Schlimm ist inzwischen, daß vor der Redoute entsetzlich viel davon gesprochen wurde – sonderlich von den Aufgezogenen – nachher aber alles sehr still blieb. Auch war’s lumpig. Einer unserer Schüler, Herr Burkhardt, zog als Chorführer voran, dann kamen das Feuer (Fr. Reizenstein) und das Wasser (Fr. v. Linker), erste von einem antiken Schmied, Hr. Riemer (bei weitem die schönste Maske), letztere von einem Fischer, Hr. Arthur S., gefolgt. Dann Erde und Luft, Fr. Täuber und Götz, mit einem Jäger und Vogelsteller, Charles Bertuch und der junge Brunnquell, der sich gut ausnahm. Dann ein absonderlicher Genius, Pr. Oken, dann vier Kanephoren, unter denen sich Dem. Sporch hervorglänzen machte, tragend einen Lorbeer (Tasso), einen Palmzweig (Herder), einen Apfel (Tell), einen Lilienstengel (Oberon), die beste Idee des Aufzugs; dann vier Psychen, dann ein schlimmer Astrolog, Werenburg; dann ein wandelndes Bureau, auf dem der Kopf des Trägers als Büste stand (ganz artig), dahinter Falk als incroyabler Poet, Gedichte austheilend; dann Werner als Knecht Ruprecht, horribel anzusehn; dann der Stern, darin die heiligen drei Könige, Mad. Schopenh., Frau Falken und das liebe Adelchen; dann ein Trupp Bauern und Bäuerinnen, unter denen sich besonders Fr. von Göthe bemerklich machte. Sonst war noch zu betrachten ein Aufzug von einigen Schauspielern, eine erst am Morgen der Redoute von der Jagemann gefaßte, und mit Geist und Glück ausgeführte Idee, von der vorher gar nicht, aber nachher desto mehr und desto günstiger gesprochen ist. Es waren nur fünf Paare, die Jagemann und Wolf, als Thekla und Max, die Wolf und Unzelmann, als Jungfrau und Lionell, Lorzing und die Elsermann, als Rudenz und Bertha, die Unzelmann und Stromeyer, er Titus (er war wirklich wunderschön), sie eine weibliche Rolle aus derselben Oper, endlich Röpke und die Beck in Carricaturrollen; aber ihr Anzug war ungemein gut gewählt, und sie machten ein erfreuendes Ganze. Sie bewegten sich vor der Herzogin vorbey, und jedes sagte ihr einige von Wolf zweckmäßig ausgewählte Verse aus seiner Rolle. – Diese wirklich schönen Gestalten, die ohne Lachen erfreuten und erheiterten, hielten schadlos für den Ueberdruß des großen Aufzugs, <97:> der nur an Anmaßung, Leerheit und Gefallsucht der respektiven Interessenten erinnerte. Ramdohrs Ausfall auf den Friedrich hab’ ich nicht gelesen, weil ich mit meiner Zeit und meinem Gelde nicht zu eleg. und freym. Blättern reiche, wohl aber Friedrichs Antwort, die er an Schulzen geschickt, und die dem elenden Schwätzer das Handwerk legen wird, denk ich. Kügelchens Bilder haben auch mich sehr erfreut. Göthes und Herders, besonders aber Schillers und Knebels Poträts haben mich außerordentlich angezogen.

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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