Karl August
Varnhagen v. Ense (Hrsg.), Galerie
von Bildnissen aus Rahels Umgang und Briefwechsel,
2 Bde. (Leipzig: Reichenbach 1836), Bd. 2, 90-94
Alexander v. d. Marwitz an Rahel Varnhagen,
Potsdam, 7. 4. 1812
Potsdam,
den 7. April 1812. Mittwoch um halb 7 Uhr
Abends, bei augenblicklich hellem Wetter; der Himmel
ist blau und kalt, Schneewolken ziehn drüber hin.
Les ennuis me
consument, ma chère amie. Ich lebe zu schlecht, zu einsam,
zu mechanisch, ohne irgend eine Beziehung, ohne Aussicht,
und gegen den matten Tod, der rings auf mich eindringt, hält
sich die innere Kraft kaum aufrecht, der ernste besonnene
gebietende Wille läßt nach, die frische Thätigkeit erblaßt.
O! Stille, mein Herz! Ja, so ist es, liebe Rahel.
Ein Tag nach dem andern vergeht, und keiner bringt mir was
Liebes, was Glückliches. Sogar die Frühlingslüfte bleiben
aus, die Sonne scheint winterlich, und auf der Terrasse von
Sanssouci ist es rauh und unangenehm. Im Herbste ist das ganz
anders; das scheidende Jahr erregt wehmüthige und ernste Gefühle;
die langen Abende treiben einen mehr und mehr hinein in das
Innere, der gewaltige nützliche Fleiß beginnt da; aber diese
Zeit, mit den frühen Morgen, den späten Abenden, der hohen
Sonne und dabei allen Widerwärtigkeiten der rauhen Jahreszeit,
stumpft ab. Die Morgen gehen noch ziemlich hin; ich arbeite
in Regierungsgeschäften und übe mich da noch immer; aber an
den Nachmittagen quält mich Lange- <91:> weile und Unerregtheit.
Der einzige Mensch, den ich sehe, und viel sehe, ist der kleine
G. Er hat viele gute und vortreffliche Eigenschaften, die
ich anerkenne und liebe, aber er paßt nicht recht für mich,
und ganz nahe werden wir uns wohl nie kommen. Seine
Augen geben mir keine Sicherheit muß ich von ihm sagen,
wie Sie mir einmal von Heinrich Kleist. Er ist mehr munter,
frisch, geistreich und unruhig, als tiefsinnig oder stätig;
sein Leben glänzt in lauter hellen Farben, der Ernst und die
Regel fehlen. Daher quält er mich, auch äußerlich,
denn er arbeitet wenig, am Nachmittag nie, und da ihn die
übrigen Zirkel ennuyiren, so will er in diesen seinen Freistunden
immer um mich sein, welches mir lästig wird, wie Sie denken
können, und um so mehr, da er oft abgestumpft ist und dann
grade hierher kommt, um seine Langeweile auf mich zu übertragen.
Ich streite ungeheuer mit ihm, und über die Prinzipien, die
höchsten Dinge, namentlich die Religion, halbe Nächte hindurch;
er führt seine Sache dabei sehr geschickt und gewandt und
witzig, und hat daher oft das Uebergewicht über mich, aber
es geht nicht still in ihm zu; er wird heftig, leidenschaftlich,
ist mehr aufgereizt als durchdrungen, und hält so von sich
und Andern die milde, gesammelte, frommdemüthige Stimmung
ab, der sich das Höchste allein offenbart. Unsre Gespräche
der Art sind daher wohl interessant und üben mich, aber sie
führen nicht zur Begeisterung. Er verachtet und bekämpft alle
Philosophie auf eine übermüthige Weise, will dagegen durchaus
religiös und christlich in seinen Ansichten sein, er ist aber
das letzte mehr, weil er dadurch einen Gegensatz erhält gegen
die Wissenschaft und einen Haltungspunkt für seine Gesetzlosigkeit,
als aus Durchdrungenheit und stiller Ueberzeugung.
Ich weiß nicht, wie ich über ihn fortfahren soll; ich möchte
ihn nicht zu sehr tadeln, denn nehme ich das ab, daß er die
stille sanfte Erregtheit der Seele nicht kennt, die Frühlingstage
des Ge- <92:> müths nicht, wo die innere Sonne warm
scheint, der Himmel blau ist und still, und die Erde in dichtem
Grün steht, nehme ich dies ab (freilich ist es
viel), so kann ich ihn nicht genug loben; er ist klug, sinnig,
ganz wahr, fein und scharf auffassend, beredt, auf die glücklichste
Weise witzig, seine schönen braunen Augen können einen überaus
angenehmen, zuthulichen, liebenswürdigen Ausdruck gewinnen.
Grünes, wie Pauline sagt, kennt er nicht,
böse Folge aus bösem Ursprung. Sie scheinen zuweilen
eine ganz sentimentale Liebe zur Natur zu haben, sagte
er mir einmal, halb im Spaß, halb im Ernst. Auch aus Musik
macht er sich nichts; überhaupt versteht er die Erscheinung
des Göttlichen im Leben, die Winke der Natur nicht und sucht
daher einen bewußten persönlichen Gott jenseit der Welt; er
giebt nicht zu, daß Gott nichts ist, als das tiefe, mystisch
geheimnißvolle, einfache, unbedingte, über die Persönlichkeit
eben so, wie über die todte Unpersönlichkeit erhabene Dasein,
die Idee, vor der der ganze wilde Tumult der Welt in leeren
Schein hinstirbt, das Böse nicht ist, also auch
keiner Erklärung bedarf, und in der die ganze Fülle der Welt,
ganz körperlich und ganz geistig zugleich, ruht. Ach liebe
Freundin, wie unzulänglich sind die Worte, wie schwach die
Gedanken, wenn sie sich an dieses höchste Ziel wagen; in einzelnen
Momenten kann sich ihm die Seele nahen, und ein Strahl des
göttlichen Lichts kann sie treffen, aber augenblicklich sinkt
sie zurück. Was soll ich Ihnen sonst noch von mir erzählen,
liebe Rahel! Meine Tage waren Grau in Grau, wie ich Ihnen
vorn schon gesagt habe. In freier Luft war ich wenig, gearbeitet
habe ich ziemlich, doch nicht viel gelesen, die mémoires
der Christine de Pisan, die die unsinnigen Herausgeber
an den bedeutendsten Stellen verstümmelt haben, die von Pierre
de Fenin halb. Sie sind sehr schlecht. Von Girtomers
elendester Geschichte noch ein paar Theile; er wird wirklich
auf jeder Seite imbeciler; <93:> einige mir interessante
kameralistische Bücher. Noch eine Situation muß ich Ihnen
zeigen, in der Sie sich mich zuweilen denken müssen. Wenn
ich mit G. spaziren gehe, so wenden wir uns gewöhnlich nach
dem neuen Palais zu, und enden damit, in der Abenddämmerung
auf den breiten und hohen Stufen von Sandstein an den prächtigen
Fenstern vorbei, lang um das Haus herum zu laufen. Das letzte
Abendroth glüht dann durch die Arkaden hindurch, und gegen
den Garten zu ist es still, vast und dunkel; unsre Schritte
hallen.
Ein
Histörchen. Heute nach 5 ging ich zum Regierungsrath, mit
dem ich zu thun habe, fand ihn nicht, und da ich ihn gern
sprechen wollte ging ich zu dem Konditor Tamanti hinein, der
einige Häuser davon wohnt, um nach einer halben Stunde wieder
zuzusehn. Ich finde eine sehr gesprächige Mademoiselle im
Tamantischen Laden, die mir sehr vornehm von dem langweiligen
Aufenthalt in Potsdam spricht, wie sehr der Ort verloren habe
durch den Tod der Königin, sie namentlich. Wie ich weiter
fragte, kam heraus, daß sie der Königin Unterricht auf der
Guitarre und im Singen gegeben hat, daß sie selbst eine Schülerin
von Righini und der Marchetti ist; von der letzten will sie
vor vierzehn Tagen einen Brief aus Moskau erhalten haben,
wo es ihr wohl geht und sie bei einer russischen Fürstin lebt;
die Mademoisell im Laden sucht keine Gesellschaft, kennt fast
keinen Menschen in Potsdam, divertirt sich aber ganz vortrefflich
durch das Studium (ihre Worte), spricht von Pik Maljon;
ich glaubte es wäre ein irländischer Komponist, denn sie erwähnte
ihn unter Musikern, da zeigte es sich, daß sie Pygmalion meinte.
Das alles kam mehr italiänisch naiv und verrückt, als deutsch
affektirt heraus. Sie kennen die ziemlich häßliche Kleine
gewiß. Ich ging wieder zum Regierungsrath. Wie ich ins Haus
trat, stieg die Gab.sche Familie, die zum Besuch kam,
eben aus dem Wagen, und <94:> ich sah auf einen Augenblick
die Kleine, von der ich Ihnen erzählt habe, und die mir überaus
wohl gefällt; dies tröstete mich, bis ich nach Hause kam,
da fing ich diese Elegie an. Den einliegenden Zettel schicken
Sie (Mittags vor 3 Uhr) zu Winterfeld. Er enthält den
Befehl, Ihnen den Kalender zu schicken, worin die Novelle
von der religiösen Polin steht, von der wir einmal sprachen,
auch die ekelhafte, der Fouqué zusagende, von der Pichler.
Antworten Sie gleich auf diesen nicht ganz schlechten
Brief. Ich sage dies ausdrücklich mit dem Accent auf ganz,
in wahrhafter Kontrition. Addio. Ich komme erst Freitag
über acht Tage.
- A. Marwitz.
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