Karl August Varnhagen
v. Ense, Denkwürdigkeiten des eignen Lebens. 6 Bde.
3. verm. Aufl. (Leipzig: Brockhaus 1871), Bd. 1, 360f.
Adam Müller, Franz Theremin und Henriette Vogel
Adam Müller hatte nämlich vorher einen ernstlichen Liebeshandel
mit Madame Vogel geführt, und nicht geruht, bis auch sein
Freund bei ihr ein- und ausging und von ihren Vorzügen durchdrungen
war. Der Freund aber war nun bald ein Nebenbuhler geworden,
und knüpfte um so leichter seine Fäden an, als bereits jene
früheren sich lösten, indem Adam Müller eben damals Madame
Sander kennen lernte, und sich ganz wohl dabei befand, aus
dem alten Verhältnisse durch Eintreten eines lieben Freundes
so glatt und sanft abzuscheiden. Unklug unterhielt er diesen
jedoch fortwährend auch von seiner neuen Anbetung wieder,
machte ihn der Ueberschwenglichkeit der neuen Geliebten kundig,
stellte, noch unklüger, ihn mit ihr in vertrauliche Beziehung,
und übergab, im höchsten Grade unklug, zur Zeit eines ihm
selbst auferlegten Verreisens, jenem die Sorgfalt für das
ganze Verhältniß. Theremin sollte durch seinen angenehmen,
und bei anderweitiger Herzensbeschäftigung hier unschädlichen
Umgang die schöne Dame möglichst unterhalten, die vorhandene
Neigung nähren und schüren, jede gefahrvolle Bewerbung durch
seine Gegenwart abwenden. Wiefern überhaupt die Freundschaft
im Fordern soweit gehen dürfe, von einem Verliebten, außer
seiner eignen, auch noch die Abwartung einer fremden Liebe
zu verlangen, mögen Andre ausmachen, im gegebenen Fall aber
war die Aufgabe sicherlich zu groß. Das Uebergewicht des neuen
Zaubers über den alten wirkte für Theremin, wie es für Adam
Müller gewirkt hatte, und die arme Madame Vogel, einmal bestimmt
von Madame Sander beraubt zu werden, verlor an sie den zweiten
Anbeter wie den ersten. In der Folge sollte sie nochmals einen
Freund Adam Müller’s in ihrem höchsten Vertrauen hegen, den
Dichter Heinrich von Kleist, aber dieser hielt treuer bei
ihr aus, wenigstens im Tode, denn am Leben beide verzweifelnd,
beschlossen sie vereint zu sterben, fuhren zusammen nach Potsdam,
und am Ufer eines der dortigen Seen erschoß er sie und dann
sich selbst. Dies war aber fünf Jahre später, damals war solche
düstre Stimmung ihr noch fern, und Theremin’s Entweichen schien
sie nicht allzu tief zu schmerzen. Seine neue Bewerbung hatte
auch nicht so- <361:> gleich den gewünschten Erfolg. Allein
die Macht und das Recht der Gegenwart waren auf seiner Seite;
geschickt und ausdauernd wußte er den Abwesenden nach und
nach zu verdrängen, sich selber festzusetzen, doch nicht so
schnell, um nicht manche Rückfälle überstehen zu müssen, und
zu sehen, wie jener noch lange Zeit der geliebtere war, der
Eindringlich hatte noch zu kämpfen, als er schon im Besitze
zu sein schien, und nur erst, als jener gar nicht wiederkam,
siegte er zuletzt völlig.
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