Karl
August Varnhagen v. Ense, Denkwürdigkeiten und Vermischte
Schriften, 6 Bde. (Leipzig: Brockhaus 1843), Bd. 2, 48-50
Penthesilea
Ich war bei Cotta, dem ich meinen Empfehlungs- und Kreditbrief übergab. Ich glaubte
meinen Augen nicht, als ich nach der Cottaschen Buchhandlung fragte, und man mich in
ein Lädchen wies, wo ich mich fast schämte einzutreten; so winzig, eng und schmucklos
hab ich neue Bücher noch nie wohnen sehen, alte wohl! Und noch dazu ist dies der
Ort, wo die Schiller und Goethe recht eigentlich zu Hause sind, von wo sie ausgehen. Der
eine, emsig beschäftigte, aber dennoch gutmüthig aufmerksame Diener, den ich traf,
lächelte über meine Befremdung, und geleitete mich, da ich den Herrn Doktor sprechen
wollte, zwei schmale Stiegen hinauf, in ein enges Stübchen, wo es aber doch etwas elegant
aussah, sogar ein Sopha breitete sich hinter einem Tische, das einzige bis jetzt, das ich
in Tübingen zu sehen bekommen, denn Studenten und Professoren haben so schwelgerische
Gewohnheiten nicht. Cotta trat ein, ein hagrer, ältlicher Mann, lebhaft, geschmeidig
in <49:> eckigen Manieren, in schwäbischer Gemächlichkeit rasch; er war
prompt, artig und meinen Wünschen zuvorkommend, hatte aber viel zu thun, daher ich ihn
bald wieder verließ. Seitdem war ich auch schon einen Abend bei ihm, wo ich ihn mit
seiner Frau und seinen zwei artigen Kindern sah, als freundlichen, liebevollen Hausvater,
den das lustige Töchterchen mit klugem Muthwillen in beste Laune setzte; auch die Frau
war voll Güte, doch sehr gehalten, maßvoll und verständig, im Praktischen gewiß nicht
leicht zu irren noch umzugehen. Ich mußte von Hamburg erzählen, und machte
geflissentlich eine prächtige Beschreibung von dem Buchladen meines Freundes Perthes im
Jungfernstieg, von der reizenden Lage, der schönen Einrichtung, den weiten Räumen, und
den aufgereihten kauffertigen Vorräthen alles Neuen, Werthvollen und Anziehenden in- und
ausländischer Litteratur. Ich erweckte keinen Neid, im Gegentheil, das süßeste Behagen,
daß man hier solchen Glanz nicht nöthig habe, und in der geringsten Einrichtung sich
behelfe. Dabei läugnet Cotta seine Mittel nicht, und macht immer neue Unternehmungen,
giebt das größte Honorar, kauft Güter und Häuser, und in seinen Geschäften gedeiht
alles bestens. Und wie klug spricht er über Litteratur! wie fein und tüchtig ist sein
Urtheil, wie erkennt er die Talente, wie genau weiß er anzugeben, wo und wie jedes im
Publikum Anklang und Erfolg finden kann! So vortrefflich er die
buchhändlerischen Interessen versteht, so sind sie ihm doch gar nicht das Höchste; er
hat sein eignes Urtheil, seinen eignen Geschmack. Wir sprachen von Heinrich von
Kleists Penthesilea, die er verlegt hat, er war unzufrieden mit dem Erzeugniß,
<50:> und wollte das Buch gar nicht anzeigen, damit es nicht gefordert würde;
überhaupt war er gegen die neuere Schule ergrimmt, und von Görres, Achim von Arnim und
Clemens Brentano, die in Heidelberg durch die Einsiedlerzeitung ihm übel mitspielen,
durfte man nicht reden, ohne daß er die Augenbraunen heftig zusammenzog, und seine
Kämpfer Weisser und Haug gegen sie anrief. Auch in politischen Urtheilen fand ich ihn
scharf und tüchtig, reich an Verknüpfungen, voraussehend, unerschrocken, gar wohl als
tapferer Offizier zu denken. So sehr wir, besonders in litterarischen Dingen,
entgegengesetzter Meinungen waren, so leicht und friedlich tauschten wir diese aus; ich
fühlte gleich ein volles Vertrauen zu ihm, das auch nicht unerwiedert schien. Ich glaube,
mir dem Norddeutschen zu Ehren wurde die Hausordnung verändert, und Thee getrunken, um
6 Uhr, dann aber auch unerbittlich geeilt zum Nachtessen, und um 9 Uhr fand ich,
daß es hohe Zeit sei zu gehen; um 8 hatte schon der Nachtwächter gerufen;
früher rief er um 7, aber der jetzige Ortsbeamte wollte es nicht mehr leiden.
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