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Ludwig Urlichs (Hrsg.), Charlotte v. Schiller und ihre Freunde, 3 Bde. (Stuttgart: Cotta 1860-65), Bd. 1, 574-577

Charlotte v. Schiller an Prinzeß Karoline, Weimar, 24. 3. 1811

Weimar, den 24. März 1811. Mittwoch früh.

Gnädigste Prinzeß!
Eine Freude hat mir der Himmel wieder gegeben; ich habe seit vorgestern meinen Karl wieder; er hat sein väterliches Haus <575:> wieder betreten. Ich habe ihn selbstständiger und entwickelter gefunden. Sie sollten ihn sehen, theurer Engel! Er hat eine so große Aehnlichkeit jetzt mit Schiller; seine Nase wird der des Vaters immer ähnlicher; seine Gesichtsfarbe, die blühend ist, aber doch so hell, und zumal die Augen und Augenbraunen fallen mir jetzt auf. Er bleibt drei Wochen bei mir, alsdann wird er mit Voß, der herkommt, zurückreisen. Er wohnt in demselben Hause wie die Helwig, und hat Lottchen zu Grabe begleitet. Sie wissen, daß sie an der bösen Halsentzündung gestorben ist? Die Mutter dauert mich erstaunlich. Es war ein so sanftes, stilles Kind. Mir dünkt, es sei zu entwickelt gewesen und nicht kindisch genug. Es war mir so rührend, daß Karl die letzte Pflicht erfüllt hat, da sein geliebter Vater die erste Pflicht erfüllte und das Kind ins Leben einführen half; er war Pathe.
Louise I. war auch krank vor Angst. Karl sagt, daß der Vater kommen würde, und wie schmerzlich muß das Wiedersehen sein. Die Helwig dauert mich recht, da sie kaum wieder in dem milden Klima sich gestärkt fühlt.
Ich habe dem Meister, so viel es meine Bescheidenheit erlaubte, von Ihrem schönen Brief erzählt, und er war freundlich, daß ich so geschrieben hatte, daß Sie Sich ein Bild machen konnten. Sie werden nun auch seinen Brief erhalten und die Landschaften.\1\ Er ist gar freundlich und weich gestimmt, und wir haben manche gute freundliche Gespräche in der Loge; zuweilen muß ich ihn trösten, wenn er die ästhetischen Erscheinungen nicht mit Zufriedenheit sieht. Und zuweilen theilen wir uns unsere Ansichten über die Welt und Dinge mit und sind recht gute Freunde. Ich lasse mich jetzt über Manches aus im Gespräch, was ich sonst nur in den besten Stunden bei Ihnen zeigen und sagen mochte, wo ich verstanden wurde, und das allein war mein Wunsch. Jetzt weiß Niemand, wie es mir ist, und deswegen muß ich sprechen und mich zeigen auf meine eigene Hand. Dadurch denkt man, ich wäre <576:> theilnehmender, bilde ich mir ein, und spricht Manches mit mir über Dinge, als wenn ich ein Urtheil hätte; nicht allein der Meister, sondern auch Andere, und ich muß manche gelehrte Diskurse führen.
Jetzt vertheidige ich, ganz unter uns gesagt, den Diego von Kettenburg, der gedruckt ist. Manche mögen Recht haben mit ihrem Tadel, aber ich lasse die Vandalen nicht im Stich, weil es Ihre Unterthanen sind, und weil es doch Kunst ist seine Gedanken so zu ordnen, daß sie ein Ganzes darstellen; daran denkt kein Mensch, der nicht hervorbringen kann, daß es schon viel ist, etwas außer sich hinzustellen. Schöne Gedanken und gewandte Sprache hat er, das lasse ich ihm nicht nehmen. Ob er nicht sich fremdes Eigenthum angeeignet hat (wie man ihm Schuld gibt), das lasse ich dahin gestellt sein. Es kann beinah nichts eigen Gedachtes und Gesagtes erscheinen, weil die Muster da sind und die Formen der Rede gegeben. Es muß ein Genie kommen, das neue Formen findet, denke ich, sonst wird man jede Reminiscenz für Eingriff in fremde Gedanken halten.
Frau von Stein ist wohl und in sich lebendig und mittheilend; wir haben uns Manches zu erzählen und zu sagen.
Ich lese jetzt den folgenden Theil von Schlegels dramatischen Vorlesungen. Die Zergliederung des Shakespeare und seiner Stücke ist recht interessant und geistreich. Da ich mich überhaupt lieber an die alte Zeit halte, so lese ich Geschichte. Ich habe auch den schwarzen Prinzen nun kennen lernen in Hume. Ueberhaupt ist es eine prächtige Geschichte, so voll Geist und Leben, und ich lebe mit den alten kräftigen Gestalten.
Haben Sie die Geschichten von Kleist gelesen? Seien Sie so gnädig und lesen den Kohlhaas, wenn es noch nicht geschehen ist. Da ist Luthers Charakter so hübsch in einzelnen Zügen geschildert.
Kennen Sie das berühmte Käthchen von Heilbronn? Falk und Schulze sind entzückt davon, jeder auf seine Weise, weil es sie wohl freuen möchte, wenn sie solche Käthchen hätten, die ihnen durch <577:> Wasser und Feuer folgten. Aber es ist ein wunderbares Gemisch von Sinn und Unsinn; der Kohlhaas ist mir viel lieber; da zeigt Kleist, daß er gut erzählen und mit Feuer vortragen kann, und hat sich ganz den Chronikenton eigen gemacht.

Ihre unterthänige
Loloa.

\1\ Von Kaaz; Goethe XXVII. S. 284.

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Letzte Aktualisierung 23-Jan-2003
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