Friedrich v. Üchtritz, Eleazar.
Eine Erzählung aus der Zeit des großen jüdischen Krieges im ersten Jahrhundert nach
Christo, 3 Bde. (Jena: Costenoble 1867),Bd. 1, Einleitung, IX-XII
Kleists Plan zu einer Jerusalem-Tragödie
An einem jener Dienstagsabende im Hause des Professors Friedrich von Raumer zu
Berlin, an denen sich ein ausgewählter Freundeskreis darunter Loebell, von
der Hagen, der Bildhauer Tieck, Waagen, Haering und wohl auch Ludwig Robert, der Bruder
Rahels, in Begleitung seiner schönen Frau zu versammeln pflegte, und wo
ich selbst immer pünktlich auf meinem Platze war, erzählte Ludwig Robert, daß Heinrich
von Kleist einmal zu ihm von der Belagerung und Zerstörung Jerusalems durch Titus als von
dem Gegenstande eines Trauerspiels, womit er sich trage, gesprochen habe. Die Art, wie
dieser Gegenstand von dem Dichter nach dessen damaligen Mittheilungen aufgefaßt worden,
der Sinn und <X:> Gedanke, der als Grundidee der Dichtung zu tragischem Ausdrucke
habe kommen sollen, sei ihm ausnehmend groß und bedeutungsvoll erschienen, und er habe,
als Kleist einige Zeit darauf aus den Lebenden geschieden, eine Lockung empfunden, diesem
Gedanken selber Gestalt zu geben und den Plan als ein ihm zugefallenes Erbe zur
Ausführung zu bringen. Doch sei ihm, trotz allen Nachsinnens, nicht gelungen, die
Erinnerung in sich anzufrischen und zu verdeutlichen, so daß er, nachdem er sich umsonst
um Hebung des sich ihm entziehenden Schatzes bemüht, sein Grübeln als fruchtlos habe
aufgeben müssen. Die Erzählung machte einen lebhaften Eindruck auf mich, der durch das
Geheimnißvolle, Verhüllte und Verborgene des unauffindbaren, mit dem Dichter
hinweggeschwundenen Gedankens nur zu schärferem Reize erhöht wurde. Ich fühlte mich
angezogen, die Geschichte des Untergangs Jerusalems in Stolbergs Kirchengeschichte,
wie auch meinerseits nach jenem verlorenen Gedanken spürend, zu lesen. Doch wollte es mir
nicht glücken, mich des Stoffes zu bemächtigen. Er stellte sich mir als völlig
unhandlich und spröde, <XI:> ja selbst widrig dar, und die empfangene Anregung
erhielt erst nach Verlauf einiger Jahre dadurch eine surrogatartige Befriedigung, daß ich
mich auf die frühere Zerstörung durch Nebucadnezar hinwandte. Es entstand daraus mein
dramatisches Gedicht Die Babylonier in Jesusalem. Doch sollte das, wonach ich
zunächst gestrebt, für mich in weit späterer Zeit noch in Erfüllung gehen und sich der
Stoff, der sich mir als so ungefügig und unerquicklich gezeigt hatte, für mein (ich
weiß nicht, ob bloß getäuschtes) Auge als einer der ergiebigsten an Tiefe des Gehaltes
und der gewaltigsten an großartiger Bedeutsamkeit, sowie unerwartet eines Tages auch als
günstig und bildsam zu dichterischer Behandlung darstellen. Ueber die Zerstörung
Jerusalems hinaus, bis zu der eben so außerordentlichen wie schauerlichen letzten
Begebenheit jenes furchtbaren Krieges, der blutigen Opferthat von Masada, erfaßt, sollte
er unverhofft seinen Haupt- und Schlußmoment, seine Hauptgestalt, seine contrastirenden
Entfaltungen finden, sich gruppiren und gliedern. Es ist nur die schlichte, anspruchslose
Form der Erzählung, in der ich <XII:> ihn vorlege. Doch habe ich so viel Muth, das
volle Gewicht der Bedeutung einer Tragödie dafür in Anspruch zu nehmen und auf eine der
tragischen Poesie verwandte Wirkung zu hoffen.
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