Reinhold
Steig (Hrsg.), Achim von Arnim und Jacob und Wilhelm Grimm
(Stuttgart, Berlin: Cotta 1904), 97-101
Jacob Grimm an Achim v. Arnim, Kassel, 22. 1. 1811
Tausend Wunsch und Heil, liebster Arnim, aus ganzer Seele und aus allen Kräften zu Deiner
Hochzeit, behalte mich ferner lieb und bitte auch Deine Braut, daß sie meiner im Guten
gedenke, es hätte mir für Euch beide keine frohere und glücklichere Nachricht vom
Himmel herunterfallen können, und bleibt auch immer dem Clemens gut und lieb, der doch
alles zusammengebracht hat und so viel Plage in dem Stand ausstehen müssen, in dem Ihr so
viel Freude haben werdet, wie jedermann sieht und glaubt, der Euch beide kennt. Euer
Evangelium hat uns recht wohlgethan, da wir seit Christtag in solcher Angst und Kummer
gelebt haben, die ich auf kein Papier schreiben und wohl nie erzählen kann; zu Deiner
Beruhigung blos, daß alles wieder auf den besten Weg gebracht worden ist, auf den es
kommen konnte, und daß wir von Gott alles hoffen, es betraf den Ferdinand, den ich gar zu
lieb habe, weil er gar zu gut und brav ist, besser als wir alle, aber frag mich einmal nie
darüber, weil ich es für Sünde halte, jeden großen Schmerz im Herzen aufzubrechen,
nachdem er sich durch mancherlei Trost und Zeit gesetzt hat. Die Christtag waren wir noch
fröhlich beisammen, es kam erst Tag nachher. Auf Christabend hatten wir einen Tannenbaum
mit Lichtern in der Stube, und darauf allen guten Freundinnen meiner Schwester bescheert,
auch des Spaßes <98:> halber alle Engelhards und selbst die alte zum erstenmal
in unser Haus gebeten, welche sich auch gebührend einfanden. Als die Flämmlein bald
ausgebrannt hatten, ging unsere gewöhnliche Stubenthür auf, vor der sich ein
Straßenmarionettentheater darstellte, dessen Inhaber recht lustig und anständig dabei,
und zwar in sehr gutem Plattdeutsch sein Spiel anfing, während welches der ungebeten
mitgekommene Nathusius eins von den diesmal wieder zum Besten gegebenen Wachslichtern nahm
und unsere Bibliothek mit großem Interesse zu würdigen schien, eigentlich aber um zu
zeigen, wie weniges er an jener gemeinen Lust nehme; übrigens ein guter Mann, der neulich
eine Klosterbibliothek von 7000 wie er sagt lauter theologischen Folianten für 500 Thaler
gekauft hat und damit nicht wohin weiß. Darauf fing der Carl nebst einem guten
Freund, den wir für einen ordinären Hautboisten nahmen und den ich aus Unschuld ziemlich
gemein behandelte, bis er mir als Mitglied der Königlichen Capelle aus einer goldnen Dose
eine Prise anbot, und ohne aus der in der Hand parat gehaltenen Bouteille einen Trunk
anzunehmen, sich in der Stille, zu meiner Schande, fortschlich in der Dir noch
bewußten Nebenkammer ein Flötenblasen an, weshalb die edele Caroline Engelhard beim
Nachhausegehen nicht umhin konnte, laut nach dem sanften Spieler zu fragen, um
ihm gerührtesten Dank abzutragen. Außerdem war eine holländische Fräulein da, die wir
immer auf gewisse Wörter bringen, die sie lächerlich ausspricht, klen für klein, und
die so unschuldig erzählt, daß sie eine große Menge ihrer Tanten in Breda und Leuwarden
nie anders, als mit den Vornamen nennt, in der Voraussetzung, daß wir das übrige von
selbst wüßten, wir plagen sie tüchtig mit holländischen Kindermärchen. Außerdem noch
zwei andere gute Mädchen, die sich merkwürdig ganz in einander verneigen können und in
den Boden zu sinken oder in eine Schüssel mit vorragendem Deckelknopf zu vergehen
scheinen. Das ist wohl alles gering zu nennen gewesen gegen Eure berliner Herrlichkeiten,
das schlimmste für mich und den Wilhelm war auch dabei, daß wir nur zu bescheeren hatten
und uns nichts bescheert worden ist, in Berlin wäre doch für uns dergleichen etwas
gefallen. Zu meinem Geburtstag [4. Januar] hatte mir der Wilhelm eine große Freude
bereitet und Göthes Büste aus Weimar bestellt; da wir uns aber alle Briefe aufbrechen,
so war der aus Dummheit ins Haus adressirte mir zugekommen, und ich merkte alles, weswegen
wir die Büste auch einige Zeit früher aufstellen konnten, doch hat es mir große Freude
gemacht. Das ist etwa alles, was ich von unserm Haushalt zu melden weiß, außerdem daß
vorgestern auch der Carl mit neuen Planen von hier abgereist ist, was mir in vielem
Betracht leid gethan hat. <99:>
Ich bin Dir noch, lieber Arnim, herzlichen Dank für Halle und
Jerusalem schuldig und meine Meinung davon, womit ich diesmal mehr Ehre einzulegen hoffe,
als bei der Dolores, über die Du mir in Deinem vorletzten Brief [oben S. 83], der
mir sehr werth, doch in sofern Unrecht thust, als Du mir einen Tadel menschlicher
Fehlerhaftigkeit und Sünde, als welche in kein Buch zu bringen sei, anmeinest; ich habe
blos getadelt, was ich so fühlte, daß mir die Verwirrungen Carls unwahr und unlebendig
vorkamen. An Halle und Jerusalem halte ich das Ganze recht hoch, wie ich es auch muß, und
es ist meine Sache, daß ich viel Einzelnes nicht so haben möchte. Dazu gehört aber,
gerade heraus, der ewige Jude, der mir im ganzen Buch unlieb und störend ist, auch hat es
meinen großen Respect vor Sage und Legende angestoßen, daß Du diesen Mythus zu einem
unwahren Ende und ihn zur Ruhe gebracht hast; ich glaube, daß es Grenzen gibt über die
Veränderung der Sage, selbst für den Dramatiker, die Du mir hier überschritten hast,
ich stelle mir immer noch den Juden über Berg und Thal trappelnd vor, Du hattest kein
Recht, den Urtheilsspruch der ewigen Sage zu mildern. Ferner auch, das letzte Viertel des
Stücks ist nicht nach meinem Sinn, und z. B. gar nicht die Haremsscene
[S. 378], oder um etwas Bedeutenderes zu nennen, des Engländers Liebe [S. 384].
In den Studentenscenen hätte ich mehr Treue, womit Du doch einst darin gelebt, erwartet:
aus Deinen Studenten, die Du alle gegen den Cardenio schlecht machst, kann man das
Herrliche und Gute dieses Lebens nicht sehen. Ueberhaupt ist mir die Mitte des Buchs das
bei weitem Vortrefflichste, und ist voll leuchtender Stellen, dahin die Scene zwischen
Cardenio und seinem Freund [S. 186], die auf dem Kirchhof [S. 228] &c.,
worin Du den Gryphius gewiß weit übertroffen hast, so bescheiden Du in der Vorrede von
seinem Verdienst sprichst. Köstlich sind die Judenauftritte [S. 95-115] und haben,
so oft wir sie hier vorgelesen, große Wirkung gethan; auf dem Theater müßten sie
unerhört sein, so wenig sie hieraus wie aus Maler Müllers Faust [1811. 2, 30. 129] je
darauf kommen werden. Noch kann ich nicht verschweigen, daß mir der Contrast zuwider ist,
den Du zwar nicht neben, aber doch aufeinander erst in den Reden gegen die falschen und
gelogenen Mystiker dazwischen [3. Aufzug, 2. Scene], und hernach zwischen der im
Stück selbst auftretenden wahren Mystik aufgestellt hast. In beidem magst du recht haben,
mir ist es nicht recht, daß man zugleich über Gott dichtet und sein Heiligthum und über
die loszieht, die damit Sünde treiben sollen, indem sie es doch nicht scheinen lassen;
nimm mir nicht übel, wer Dich nicht kennt, wie ich, der könnte auch an Deiner Mystik
hinten zweifeln; und geben Dir einzelne Beispiele, die wir erlebt in unserer Zeit,
Be- <100:> fugnis das allgemein zum Tadel herbeizuziehen (denn in die Handlung
des Stücks hast Du es nicht gethan, wodurch alles anders würde), was Du in Dir selbst
und also auch in andern für recht hältst?
Bis dahin war ich gekommen, als ich in meinen Dienst mußte, aus dem
ich eben zurückkehre, unterwegs hatte ich bedacht, daß ich nun auf mein obiges
Ehreinlegen recht mit Lust kommen wollte. Während dem hat der Wilhelm meinen Brief
gelesen und seinen [unten S. 101] fertig geschrieben, und es betrübt mich fast, daß
er mich im Loben voraus überboten hat, aber im tausend Glückwunsch hat er es nicht
gethan, weil das 1, als erborgt, nichts gilt, und überdem habe ich meine tausend hier zum
drittenmal in Buchstaben geschrieben, was mehr ist, als drei Null; zudem fehlt mir jetzt
das Buch, das wir ausgeliehen haben, und ich lasse also weg, was ich über manches
schreiben wollte, was mir in dem Buch von Herzen gefallen hatte. Doch wäre es kein Lob
des Einzelnen geworden, sondern einiges aus dem Ganzen. Auch achte ich die Gleichnisse und
Bilder, die der Wilhelm gebraucht, weil unstreitig wahres darin liegt; nur bekenne ich,
daß es mir nicht gegeben ist, Bildnisse anders zu brauchen, als dann erst, wann mir etwas
ganz fest und ausgemacht ist, was mir eben bei jenem Urtheil nicht scheint, oder wo ich
etwas sonst Unausdrückliches so versuchen muß, ich scheute mich, entweder Dir oder
meiner Meinung dadurch Unrecht zu thun. Eher und lieber drücke ich mich abstract aus, und
zweifele nicht etwas wahres zu sagen, wenn ich wiederhole, was ich aus Deinem letzten Buch
lebhaft erkannt habe, nämlich daß Du bestimmt ein dramatisches Talent bist und, dies
vorausgesetzt, das Mehr oder Minder Vortreffliche Deiner Werke jederzeit von dem Stoff
abhängen wird, der Dich zur Poesie rührt und begeistert, den Du selbst aber nicht wirst
erschaffen und großwachsen lassen können, wohl aber ihn innerlich durchdringen und ihn
der Welt offenbaren, so wie ich fest glaube, daß auch Shakespeares Hamlet, Lear, Romeo
&c. blos aus demselben Grund weit über andern seiner Stücke stehen, wozu er nur die
englische Geschichte benutzen konnte. Ebenso gewiß leuchtet es mir
ferner ein, daß der Heinrich Kleist weiter kein Schauspiel mehr schreiben sollte, indem
sein Käthchen nur in den erzählenden Stellen Poesie, die ganze Einschiebung der
Kunigunde, nebst allem was daraus entstanden, elend, ja gemein gerathen ist. Dafür bin
ich ganz durchaus vergnügt mit dem Kohlhaas, welcher mir eine der liebsten Geschichten
ist, die ich weiß, an der ich mit ganzer Seele beim Lesen gehangen habe. Diese kann ich
nicht genug loben, gebt mir so ein paar Bände, so packe ich dafür die Zierlichkeit des
Boccaz und das immer doch etwas spanische Wesen der cervantischen Novellen ein. In Kleists
Erzählung lebt mir das ganze Stück und an einem fort, <101:> einige zu kühne
idyllische Schilderungen wären tadelhaft, wo sie nicht auch immer den rechten Platz
träfen, was auch wieder nicht im Käthchen. Und nun seid alle von Herzen gegrüßt, wenn
Ihr in Eurer jetzigen Freude nichts lesen mögt, so lest blos Anfang und Ende und glaubt
daran. Ich bin ewig Dein treuer Jacob.
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