Reinhold
Steig (Hrsg.), Achim von Arnim und Jacob und Wilhelm Grimm
(Stuttgart, Berlin: Cotta 1904), 53-55
Achim v. Arnim an Wilhelm Grimm, Berlin, Februar 1810
Vielen Dank, lieber Wilhelm, für Deine beiden Briefe [oben S. 46. 50], vielen Dank, Dir,
lieber Jacob, für Einlage; mit den Notizen über einen Theil meiner neu entdeckten und
eingehandelten Schätze habe ich Euch über meine verzögerte Antwort versöhnen wollen,
der guten allgemein bekannten Werke, z. B. Luthers Schriften, erwähne ich dabei
nicht. Von Bettine Brentano [Goethe und die Brüder Grimm S. 50ff.] erhielt ich einen
Abdruck ihres Bildes für Euch, den ich hiebei sende, doch zugleich meine aufrichtige
Meinung darüber, die der Göthischen sehr widerspricht. Das Bemühen im Einzelnen des
Gesichts ist unverkennbar, aber so vieles Einzelne darin so gänzlich verfehlt, z. B.
Nasenlappen, das Auge der abgewendeten Seite, etwas am Munde, daß ich verzweifeln
möchte, wenn mich nicht die Nachricht getröstet hätte, daß er sechs Wochen daran
gezeichnet, also wahrscheinlich bei Bettinens Beweglichkeit an einem Tage immer wieder
verdorben hat, was er an dreien gut gemacht hatte. Ungeschicklichkeit ist der dicke
Unterleib, wahrscheinlich durch eine besondre Lage veranlaßt, was aber jetzt, wo die
Beine fehlen, ganz unerklärlich; ferner hätte das Bild einen dunklen Hintergrund haben
müssen, so sähe das Gesicht nicht so reifig und genarbt aus. Von Göthe hast Du nicht
genug geschrieben, nichts von der Heirath seines Sohnes. Hier wimmelt
die Stadt von Poeten. Neulich war ich auf einem Mittagsessen, das Hitzig dem Fouquet zu
Ehren angestellt hatte, mit dreißigen. Der Fouquet soll doch etwas empfindlich über
unsre Recension [oben S. 35. 39] gewesen sein, hat gemeint, wir hätten gar nicht
seinen Sinn getroffen, er hätte die träumerische Natur des Nordens, die ihm selbst
eigen, darin aussprechen wollen, dabei ist er grimmig über meinen Ariel hergefallen. Nach
ihm ist Kleist angekommen, eine sehr eigenthümliche, ein wenig verdrehte Natur, wie das
fast immer der Fall, wo sich Talent aus der alten Preußischen Mondirung durcharbeitete.
Hast Du seinen Kohlhaas im Phöbus gelesen? eine treffliche Erzählung, wie es wenige
giebt; er ist der unbefangenste, fast cynische Mensch, der mir lange begegnet, hat eine
gewisse Unbestimmtheit in der Rede, die sich dem Stammern nähert und in seinen Arbeiten
durch stetes Ausstreichen und Abändern sich äußert, <54:> er lebt sehr
wunderlich, oft ganze Tage im Bette, um da ungestörter bei der Tabackspfeife zu arbeiten.
Von seinem Tode ist, wie Du ungefähr hieraus abnehmen kannst, nichts wahr, selbst daß er
hat militärische Dienste nehmen wollen in Oesterreich, leugnet er ab, sein Plan ist blos
gewesen, ein literarisches Journal dort zu errichten. Ich erinnere mich nicht, ob Du Adam
Müller kennen gelernt hast [ja, vgl. aus der Jugendzeit S. 176]? Er hält hier mit
Beifall Vorlesungen über Friedrich II. mit Beziehungen auf Aenderungen unsrer
Verfassung, die jetzt im Werke sind. Du würdest ihn nach seinen Schriften schwer
erkennen, das Allgemeine vorgreifende in Urtheilen, was in diesen so unbequem, hat er
durchaus nicht im Gespräche, vielmehr eine eigne ausgezeichnete Art im Zuhören, wenn man
ihm etwas vorliest, zur rechten Zeit zu loben, zu lachen, wo man selbst fühlt, daß sich
die Arbeit mehr auszeichnet. Ich habe das beim Vorlesen eines Romans in zwei Theilen
erfahren, den ich nach Deiner Abreise mit großer Lust geschrieben, er ist schon an die
Realschulbuchhandlung verkauft und erscheint, wenn der Drucker sein Wort hält, zu Ostern,
er heißt: Der Gräfin Dolores Armuth, Reichthum, Schuld und Buße. Halle und Jerusalem
wird jetzt abgeschrieben, es sollte nach Zimmers Meinung schon zu Ostern erscheinen, der
Roman lag mir aber näher am Herzen. Hat Dir Zimmer noch nicht über die dänischen Lieder
geschrieben, in den Intelligenzblättern [der Heidelberger Jahrbücher] ist die Anzeige
noch nicht abgedruckt; ich vermuthe aber, daß die neuen Stücke in Vorrath vom alten
Jahre bereit lagen. Wie bist Du mit meiner Recension von Werners Attila [Heidelb.
Jahrbücher 1810. 1, 6; vgl. Kleists Berliner Kämpfe S. 176] zufrieden? Iffland hat
am Schlusse einige Stiche erhalten, dafür ist ihm der rote Adlerorden auf den Fleck
geklebt worden. Ich lernte ihn kennen und besuchte ihn, er ist einer der angenehmsten
Erzähler, lieh mir ein Jugendleben, das er von sich geschrieben [Meine theatralische
Laufbahn, 1798]: manche lustige Anekdote, das meiste aber so arrangirt, daß man sich
eines Mißtrauens gegen alles nicht erwehren kann. Der Einzug des Königs
[25. December 1809], das Ordensfest [18. Januar 1810] wird Dir durch die
Berliner Zeitung weitläuftig beschrieben sein, Du mußt sie doch jetzt halten in Deinem
Lesekreise, da Du Berlin kennst. Du erinnerst Dich doch des Peter Wahr, der so ernstliche
Kritiken ausgehen ließ, den wollte ich gerne in einer Comödie darstellen und bat Clemens
ihn in einer anzubringen, die er bearbeitete, in dem wunderbaren Puppenspiele des
Cervantes, das er sehr witzig und zierlich umgearbeitet und mit einer Masse hiesiger
Späße durchknetet hat\1\, aber leider wurde meine
<55:> Großmutter [Frau von Labes] so ernstlich krank, daß die äußere
Schicklichkeit es mir nicht erlaubte mitzuspielen. Nun ruhte ein besondrer Fluch auf der
Rolle, wohl sechs Menschen mußten sie aus allerlei Gründen nacheinander ablehnen,
endlich war alles in Ordnung, da kam aber alle Morgen einer und wollte etwas geändert
haben, Abends wußte keiner, was, und Clemens wollte schon in den Proben einen Effekt
sehen; der Erfolg war, daß Clemens einmal ungeduldig wurde, und daß alles mit einem
großen Streite aus einander ging. Die Moral davon ist nun das Stück, das gedruckt
wahrscheinlich allgemeiner gefallen muß, als gespielt; ich fühle immer mehr, wie sich
die Schranken des Spielbaren mit den Talenten unsrer Schauspieler verengert haben, und
daß dadurch die dramatische fast zur unangenehmsten Form geworden. Beim Publicum, wie es
jetzt ist, entscheiden meist ein paar gute Scenen, die meisten langeweilt in sich sind mit
allem zufrieden, wenn es nur abwechselnd auf dem Theater zugeht, die meisten Kotzebueschen
Stücke sind noch besser als das Kotzbuesirte Publicum und die Kotzbuesirten Schauspiele,
und die charakterlosesten Werke sind noch charakteristischer als diese halb jüdischen,
halb christlichen Zuschauer. In unserm Speisehause ist jetzt eine prächtige jüdische
Karikatur, ein gewisser Meyer, Kupferstichhändler\1\,
dem Clemens die ungeheuersten Pläne zu Kupferstichen zur Volksbelustigung vorträgt. [Es
folgt im Original die sehr pikante einzige Anekdote, die Meyer immer erzählt;
dazu Meyers Gesicht im Profil.] Jeden Mittag rück ich ihm die Anekdote vor, und das
Experiment ist noch nie mißglückt ihn zum Lachen zu bringen.
Nun noch ein Wort von der Universität. Fichte liest über die Kunst
des Philosophirens und erzählte zum Anfange, daß ungeachtet er fünfzehn Jahre es jetzt
vortrage, er seine Sache noch keinem hätte beibringen können. Wolf liest über
Aristophanes. Schleiermacher Moral. Savigny wird wahrscheinlich hier eintreffen, und ich
bin darüber von Herzen froh. Dein und Deines Herren Bruders, des Staatsrathsauditeurs wie
auch Bibliothekars des Königs von Westphalen dienstwilligster Der von Arnim.
[Nachschrift:] Einige der interessantesten Anekdoten wird Clemens erzählen, vom
Retzensten, dem es so lieb gewäsen, daß er nicht dabei gewäsen.
\1\ Noch 1827 besaß Arnim (Euphorion 3, 796) von
Brentano ein Drama, die Bearbeitung des wunderthätigen Puppenspiels nach der
Uebersetzung von Bertuch, worin alle jetzt mir selbst schon unverständlichen Scherze
einer Gesellschaft, in die ich ihn hier (in Berlin) eingeführt hatte, in mancherlei
versteckter Art berührt sind. Ein wenig anders gefaßt und ohne Nennung Bertuchs in
Cardauns Buche über Die Märchen Clemens Brentanos S. 102. Das wunderthätige
Puppenspiel. Ein Zwischenspiel von Cervantes findet man in dem Magazin der
Spanischen und Portugiesischen Literatur, herausgegeben von F. J. Bertuch (Dessau
1781) 1, 213-240.
\1\ Vgl. Nudelhuber in der Gräfin Dolores.
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