Edmund
Stengel (Hrsg.), Private und amtliche Beziehungen der Brüder
Grimm zu Hessen. 3 Bde. (Marburg: Elwert 1886/1910), Bd. 3 (1910): Briefe der
Brüder Grimm an Paul Wigand, 105-108
Wilhelm Grimm an Paul Wigand, Kassel, 16. 3. 1812
Caßel, Montag 16 März
1812.
Lieber Wigand. Wir haben daran gedacht dich
hier zu sehen in der Meße-Zeit. Das neutrale Leben zwischen Winter und Frühling, wo
dieser noch nicht erschienen und die Freuden des erstern bald her- <106:>
untergebrannt sind, scheint am schicklichsten zu deiner kleinen Abwesenheit. Gestern
glaubte ich eine Minute lang deine Frau auf der Meße zu sehen, blos weil jemand einen
solchen grünen Hut trug, wie sie pflegte, bis mir einfiel, daß sie längst einen andern
tragen werde, und ich gar nicht nöthig hatte zu warten, bis die Figur sich wendete, wo
ich freilich ein wildfremdes Gesicht zu sehen bekam. Ihr seht daraus wie leicht etwas
meine Gedanken an Euch weckt.
Ich schicke dir heute keine
Bücher, weil ich eben kein neues habe, dafür Nachricht von einem neuen, das dich sehr
intereßiren wird. Nämlich Arnim schreibt gestern, daß zu Ostern der erste
Band seiner altdeutschen Lustspiele erscheinen werde, das wird dir an sich etwas
erfreuliches seyn; außerdem thätest du wohl nun erst zu sehen, in wie weit du mit ihm in
Collision kommst. Arnim wird diesem noch andere Bände folgen laßen. Einen Gryphius
hat er mir eben auch geschickt, ich würde dir ihn gleich zukommen laßen, wenn ich ihn
nicht wieder lesen wollte. Wenn du mir die Zeit einmal bestimmtest, die du zu seinem Lesen
anwenden willst, erhältst du ihn dann gewiß. Auch den Hans S[achs] von der
hiesigen Bibliothek send ich dir nacheinander (5 Quartanten) sobald der Ayrer zurück ist.
Den zweiten Band von Tieks
altengl. Theater wirst du haben, (S. 2) es sind dabei zwei Vorreden mitgegeben worin
manches Gute steht, nur mit einer seltsamen Wichtigkeit und einer Art Ironie vorgetragen,
die gar nicht mehr in die Zeit paßen will. Friedr. Schlegel gibt ietzt ein
deutsches Museum <107:> heraus, was du dort halten mußt, es ist wenigstens eine Art
in dem was er sagt. Hast du denn einmal gelesen, was Adam
Müller in dem Phöbus über das Theater, Shakespeare u. s. w.
gesagt hat, wenn man im Ganzen darüber urtheilen soll, so ist viel recht scharfes, gutes
und richtiges darin. Ein lächerliches Journal sind die Curiositäten der
literarisch-physischen-historisch-critisch-mythisch- grammatisch-natürlichen Vor- Mit-
Nach- und Unterwelt, aber nicht ohne Intereße und du würdest sie gern lesen. Von der
Leipz. ganz neuen Literaturz. sind wir eingeladen, in die Haller hat Jacob
eine große Recension über Isländ. Grammatik geschrieben, so könnten wir dem Teufel ein
Ohr herab recensiren, wenn wir Lust hätten. Ein junger Theolog, Siebert, vom
Lande (Treysa) hat sich in einem Brief gemeldet und will altdeutsch studiren, es scheint
ein guter auch gescheuter Mensch, vorerst ist er noch ein wenig allzu hochpoetisch, doch
verschafft er mir Märchen. (S. 3) Neulich beim franz. Gesandten, der
aber ein Deutscher ist, haben wir ein paar Declamatoren gesehen, der eine ein Herr
von Sydow ist der beste, er declamirt im Gehen und fängt an, eh man die Hand
umdreht; ich glaube, wer mit ihm in einer Kammer schläft, kanns auch bei Nacht haben. Die
Fräulein Calenberg war auch da, die hab ich nach Malsburg
gefragt, er lebt dort wie hier in zarten Gesellschaften, hat spanisch gelernt und ist in
seinem Herzen gewiß gut, äußerlich wohlriechend und wär gewiß gern gepudert, wenns
Mode wäre; was ich ihm auch in Marburg schon gesagt. Wenn er dich einmal sieht, thuts ihm
gewiß leid, <108:> daß er gethan als kennt er dich nicht, und thuts das
nächstemal [nicht] wieder, er wär gern auf diese gewöhnliche Art nicht [stol]z. aber er
kommt nicht dazu, ein gewißes Wohlwollen gegen ihn werd ich immer behalten.
Neues weiß ich dir weiter
nicht zu schreiben. Was die Kanarienv. betrifft so sind mir in Zeit von 14 Tagen vier
gestorben, darunter auch der, den M. Gehrke haben sollte. Ob Ihr das glauben
werdet, muß ich dahingestellt seyn laßen, es sieht wie eine Entschuldigungslüge aus.
Indeß halt ich mein Wort, ich habe noch 4 in der Hecke, bekommen die schöne Junge soll
sie einen haben. Das stell ihr nun aufs beste vor mit schönen Grüßen. Grüß mir auch
die liebe Gevatterin sammt Pathen und Paulinchen herzlich und behaltet mich in Eurer
Freundschaft. Meine Brüder und Schwester grüßen gleichfalls Euch beide aufs beste.
Dein treuer Wilhelm Gr.
- (S. 4) An Herrn Friedens Richter Wigand
franco Höxter.
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