Edmund
Stengel (Hrsg.), Private und amtliche Beziehungen der Brüder
Grimm zu Hessen. 3 Bde. (Marburg: Elwert 1886/1910), Bd. 3 (1910): Briefe der
Brüder Grimm an Paul Wigand, 66-68
Wilhelm Grimm an Paul Wigand, Kassel, 18. 11. 1810
Caßel, 18 Nov. 1810.
Lieber Wigand. Du erhältst hierbei den
verlangten Holberg, wenn Du die beiden Bände aus hast, so kannst du sie mit neuen
vertauschen. Er wird dir große Lust machen, denn es ist ein ungemeines comisches Talent
darin, welches so vorherrschend war in Holberg und ihn ganz eingenommen hatte, daß wenn
er ernsthaft seyn wollte, er unbewußt comisch war, durch die Parodie, welche entstand,
und wodurch er sich dem Hogarth gleichgestellt hat, der bekanntlich auch keine
edle Figur (ich meine nicht den Justi, der bekanntl. auch ein edler Vater seyn will, den
hätte er wohl getroffen) mahlen konnte. So ist nichts lächerlicher und leerer als das
Trauerspiel Artaxerxes das Holberg ganz ernsthaft gemeint hat. Das komische an Holberg
fühlen wir auch nicht ganz, er ist wie jeder ächte Komiker an die Gegenwart mit tausend
Fäden gebunden, er hat bestimmte Charaktere, die sich beim ächten Lustspiel immer
nothwendig bilden, und für die uns die Anschauung fehlt. Wir halten uns daher zumeist an
die vortrefflichen Späße, an welchen er so ungemein reich ist, und welche ich dir von
Herzen neben der Kirchofs Ernsthaftigkeit gönne.
Was die Mnemonik
betrifft, so können wir beide dir nicht mit Notizen dienen. Du hast unstreitig den besten
Theil davon erwählt, nämlich die Geschichte ihrer Erscheinung. An sich ist mir die Sache
durchaus fatal, sie ist ein Zeichen der Zeit, und gehört zu jenen Mitteln innerhalb einer
halben Stunde dem menschlichen Geist gänzlich auf <67:> die Beine zu helfen. Als
ein dergleichen zeigt sich nun auch Pestalozzis Erziehung. Man sollte
bedenken, daß was bestehen soll, ein ruhiges stilles langsames Wachsen verlangt, am Tag
die Sonne, in der Nacht den Thau des Himmels. Je edler eine Pflanze ist, je langsamer
wächst sie. Jene Versuche sind nichts als Taschenspielereien, innerlich nichtswürdig,
und wenn sie gerathen, d. h. einen eitlen Schein haben, sind sie weder so ergötzlich
noch so nützlich als das Kunststück, wodurch man während dem Eßen Salat säht, ihn
aufwachsen sieht und auch noch verspeist. Ich werde mich freuen deine Recension zu lesen,
sie enthält (S. 2) gewiß viele gute Bemerkungen, da du der Sache immer auf
dem Fuß nachgegangen bist. In welcher Literatur Zeitung wird sie denn
erscheinen? Buchers Schicksal befremdet mich gar nicht, wenn er sich nicht
vorsieht, daß immer einer die Recension kriegt, der ihm Lob schuldig zu seyn vermeint
wegen desgleichen empfangenen, oder aus andern Gründen, so muß ein unbefangener
Recensent wohl auf die Wahrheit stoßen.
Hast du dir denn Arnims
Roman, die Gräfin Dolores gekauft, so sag mir doch einmal dein Urtheil ganz aufrichtig
darüber. Warum ich das Buch so hoch setze das ist, daß die Zeit mit so großer
Lebendigkeit ergriffen und eine so reiche Erfahrung darin leuchtet. Von
Sigurds Fouquet (es ist verkehrt geraten, liegt aber meine Meinung etwas
darin.) ist eine ganz unmäßig lobpreißende Recension von Jean Paul in den
Heidelberger J. b. erschienen. daß die Darstellung den J. P. zeige läßt
<68:> sich denken, aber der Idee nach ist es mir das schlechteste, was er je
geschrieben. In Berlin erscheint ietzt vom Kleist, der
sonst den Phöbus herausgab, ein Abendblatt, das du dort einführen mußt, es kostet
Jährlich höchstens nur 4 Thlr., und enthält eine Menge ganz köstlicher Anekdoten.
Es erscheinen alle Woche sechs Oktavblätter, ganz bescheiden gedruckt, und soll
eigentlich eine ideale Wurstzeitung seyn. (S. 3) Ich habe mich bei Schreibung der
vorigen Seite schon besonnen, ob ich dir auf dieser etwas von hier oder sonst
vergnügliches schreiben könnte, ich bin aber nun hier ohne etwas zu wißen. Die
Illumination am Geburtstage des Königs hat nicht können recht zustand kommen, man ist
noch nicht einig ob wegen des Regens oder des Winds, weil beides zugleich da war: wären
sie succeßiv gekommen so könnte mans leicht und mit recht auf das erste schieben. Das
Feuerwerk war dagegen recht schön und brillant. Leb wohl, lieber Wigand, laß
dich im Schreiben nicht so saumselig finden. Viele Grüße an deine Frau und das Kind
DeinWilhelm G.
- Der Jacob grüßt gleichfalls aufs beste Euch alle,
und will nächstens schreiben, da er fort muß.
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