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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Peter Staengle, Fräulein von Zenge nebst Kleist, Krug, Tasse und Bild, in: BKB 6 (1993), 25-59; darin: 30-37

Wilhelmine v. Zenge an Wilhelm Traugott Krug, Frankfurt (Oder), 16. 6. 1803


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Mein bester Freund.

Sie außerten gestern Abend bei Ahlemans den Wunsch ich mögte weniger geheimnißvoll sein. Für Sie will, und werde ich nie etwas verheimlichen. Es hängt ganz von Ihnen ab, alles was meine Person betrifft von mir zu erfahren. Da ich so sehr wünsche daß Sie mir ganz Ihr Vertrauen schenken mögten. <31:> so will ich Ihnen den Theil meines Lebens beschreiben, welcher für mich ^bis jetzt^ der wichtigste, und interessanteste war, und ich hoffe Sie werden mich Ihres Vertrauns werth finden. Daß ich von meinen Eltern sehr einfach und häußlich erzogen wurde, ist Ihnen bekannt.
Von meinem 16ten Jahre an, führte meine Mutter mich in alle Gesellschaften, sie begleitete mich in große Assenbleen, wo ich das Hoffleben anstaunte, Opern, Redouten, und Bälle besuchte ich, und genoß da mir diese Freuden so ganz neu waren, dies alles eine Zeit lang mit großem Interesse, doch blieb mein Herz bei dem allen sehr leer, und mit Freuden kehrte ich wieder in unsere stille Häußlichkeit zurück. Als ich 18 Jahr alt war

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bekam mein Vater das Regiment in Frankfurth. Damals trennte ich mich sehr ungern von Berlin, da ich einen sehr geliebten Bruder, und eine eben so geliebte Freundinn zurück lassen muste, doch war mein Herz noch von keinem Manne besonders gerührt worden. Mit einem tanzte, oder unterhielt ich mich vielleicht lieber als mit dem andern, doch hatte keiner besonders Theil an meiner Traurigkeit bei dem Abschiede von Berlin.
Die erste Zeit gefiel mir es gar nicht in Frankfurth, wir alle lebten noch ganz in Berlin, bis sich auch hier Menschen fanden, welche sich für uns interessirten, und uns durch mancherlei Vergnügungen zu zerstreuen suchten. Unter diesen zeichnete sich besonders die Kleistsche Familie aus. Der Lieutenant Kleist stand damals noch bei des Vaters Regiment. Auch er kam mit seinen Schwestern beinahe täglich zu uns, und wurde von allen gern gesehn, weil er ein sehr fröhlicher junger Mann war, und uns durch seinen Scherz oft zu lachen machte.

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Sein älterer Bruder welcher als Lieutenant bei der Garde stand, nahm damals den Abschied, um hier in Frankfurth zu studieren. Auch er wurde unser Nachbar, doch nahm aber keinen Theil an unsere Gesellschaft wenn wir zu seinen Schwestern kamen. Erst als sein Bruder nach Potsdam versetzt wurde, und seine Schwestern ihren Begleiter, und wir einen angenehmen Gesellschafter verlohren hatten, gesellte er sich zu uns. Wir fanden aber alle, daß er die Stelle des Bruders nicht ersetze, denn er war sehr melancholisch <32:> und finster, und sprach sehr wenig. Bald aber begleitete er uns auf allen Spaziergängen, und kam mit seinen Schwestern auch zu uns, spielte und sang mit mir, und schien sich in unsere Gesellschaft zu gefallen. Damals hörte er Experimentalphisik bei P: Wünsch wovon er uns gewöhnlich nach dem Kolegia mit großem Interesse unterhielt, auch wir nahmen so lebhaft Antheil an allem was er uns darüber sagte, daß seine Schwestern, wir, und noch einige Mädchen aus unserem Kreise zu den P: Wünsch gingen, und ihn baten auch uns Vorlesungen

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darüber zu halten. Dies geschahe, und wir waren sehr aufmerksame Zuhörerinnen, repetirten mit unserm Unterlehrer dem Herrn von Kleist, und machten auch Aufsatze über das, was wir hörten. Als Kleist einen Abend die Aufsätze von seinen Schwestern gelesen hatte, bat er mich ihm auch den meinigen zu zeigen; ich that es, und er fand ihn gut, nur sehr fehlerhaft geschrieben. Er bat sich ^die^ Erlaubniß aus mir die Hauptregeln der deutschen Sprache nach grade in kurzen Aufsätzen mittheilen zu dürfen, welches ich recht gern annahm, und recht fleißig studierte, um seine Mühe zu belohnen.
Einen Abend als ich be b bei Kleists war, gab er mir einen ähnlichen Aufsatz, wie gewöhnlich in ein weiß Papier geschlagen, doch wie erstaunte ich als ich es zu Hause öffnete und darinn von ihm einen Brief fand, worinn er mir sagte daß er mich schon lange herzlich liebe, und ich ihn durch meine Hand sehr beglücken könne.

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Mir war es bis jetzt noch gar nicht eingefallen, daß ein Mann mich jemals lieben könne, denn ich fand mich immer sehr häßlich und unleidlich, und war nie mit mir zufrieden. Ich hatte ihn immer sehr unbefangen behandelt, und war ihm gut wie einem Bruder, doch liebte ich ihn nicht, und erstaunte über seine Erklährung, da ich vorher auch nicht das Geringste davon geahndet hatte, sondern immer glaubte er zöge meine Schwester Lotte mir sehr vor.
Louisen machte ich zu meiner Vertrauten, und gestand w ihr, daß ich ihm gut sei, doch wäre er gar nicht der Mann nach meinem Sinn. Den anderen Tag schrieb ich ihm daß ich ihn weder liebe, noch <33:> seine Frau zu werden wünsche, doch würde er mir als Freund immer recht werth sein. Leider konnte ich es nicht verhindern ihn wieder zu sehen. Er war außer sich über meine Antwort und wollte mir einen zweiten Brief geben, welches ich aber schlechterdings verbat. Acht Tage lang suchte er mich auf den Spaziergängen auf, da ich nicht mehr zu seinen Schwestern kam, und bat

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Louisen so sehr den Brief zu nehmen, und reichte ihn mir noch einmal mit thränenden Augen, so daß ich endlich bewegt wurde und ihn annahm. In diesem Briefe fragte er was ich an ihn außzusetzen habe, und versicherte ich könne aus ihm machen was ich wolle, ich mögte ihm nur sagen wie er meine Liebe gewinnen könne. Ich schrieb ihm wieder, und schilderte den Mann wie er mich glücklich machen könnte. Er gab sich so viel Mühe diesem Bilde ähnlich zu werden, daß ich ihm endlich erlaubte an meine Eltern zu schreiben, und ihm meine Hand versprach, so bald sie einwilligten.
Er hatte etwas Vermögen, doch ^aber^ nicht so viel daß wir davon leben konnten, doch hatte er vom König das Versprechen in einem Amdte angestellt zu werden sobald er ausstudiert habe. Meine Eltern gaben ihre Einwilligung, doch mit der Bedingung, so lange zu warten bis er ein Amdt habe, welches ich auch sehr zufrieden war Meine Ausbildung, und Veredlung lag ihm sehr

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am Herzen. Wenn er aus dem Colegia kam so beschäftigte er sich eine Stunde mit mir. Er gab mir interessante Fragen auf, welche ich schriftlich beantworten muste, und er korigierte sie. Er gab mir nützliche Bücher zu lesen, und ich muste ihm meine Urtheile darüber sagen, oder auch Auszüge daraus machen. Er laß mir Gedichte vor, und ich muste sie nachlesen oder franzosich übersetzen. Auch schräfte er meinen Witz und Scharfsinn durch Vergleiche, welche ich ihm schriftlich bringen muste. So lebte er ganz für mich, ich gewann ihn recht lieb und machte mir es zur Pflicht auch ganz für ihn zu leben. Wenn ich mir zuweilen gestand daß er dem Ideale von Mann welches ich mir entworfen hatte noch immer nicht entsprach, so dachte ich es giebt vielleicht keinen besseren, denn ich kannte auch keinen der mir lieber war als er. <34:> Ich erfüllte mein Vorhaben redlich. Alles was er an mir tadelte, suchte ich fortzuschaffen, und jeden Wunsch den er äußerte, suchte ich zu erfüllen.

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und alles was ich dachte, und that, bezog ich auf ihn. So lebten wir ein halbes Jahr sehr glücklich, da hatte er sein Studium hier beendet; er ging nach Berlin um sich dort noch mehr zu vervolkomn und zu einem Amdte vorzubereiten.
Sein Umgang war mir so werth geworden, daß ich bei seiner Abreise sehr unglücklich war, und ihn nachher bei jeder Gelegenheit vermißte. Alle vierzehn Tage schrieb er an mich, und so oft er konnte, war er bei mir, und war noch immer der herzliche, gute Mensch. Er hatte viel Geist, seine schnelle Fassunskraft wurde von allen seinen Lehrern bewundert, seine Phantasie war sehr lebhaft, und verleitete ihn oft zur Schwärmerei. Er hatte einen erhabenen Begriff von Sittlichkeit, und mich wollte er zum Ideal umschaffen welches mich oft bekümmerte. Ich fürchtete ihm nicht zu genügen, und strengt alle meine Kräfte an, meine Talente auszubilden, um ihn recht vielseitig zu interessieren.

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Weihnachten vor zwei Jahr kam er ganz unerwartet hier an, und sagte mir er könne jetzt gleich angestellt werden wenn er wolle, doch wär es ihm unmöglich ein Amt zu nehmen, die Amtsgeschafte würden ihn unglücklich machen, auch könne er seine Freiheit nicht so aufopfern. Er fragte ob ich sein kleines Vermögen mit ihm theilen wolle, ich über erschrack über dies alles sehr, ich wollte ^und konnte^ ihm weder ab noch zurathen um meinetwillen unglücklich zu sein, und versicherte, ich wolle alles thun was zu seinem Glücke beitragen könne. Er reisete wieder nach Berlin, doch nicht lange nachher erhielt ich einen Brief dessen Inhalt noch weit schrecklicher war als die erste Nachricht. In diesem Brieffe sagte er mir daß er jetzt die Kantsche Philosophie studiere, welche ihn so unglücklich gemacht habe, daß er es in Berlin in seinen engen vier Wänden nicht aushalten könne, er würde eine Reise machen um sich zu zerstreuen. Er schickte mir sein Bildniß und eine Tasse mit einer sehr hübschen Inschrift, versicherte <35:>

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bald wieder zu kommen, und mir recht oft zu schreiben. Auch ich schickte ihm mein Bildniß, und sagte ihm nur ein schriftliches Lebewohl.
Er reisete mit seiner Schwester nach Paris, schrieb mir anfänglich oft, doch als ich seit drei Monaten von ihm keine Nachricht erhalten hatte schrieb er mir – er werde sich in der Schweiz ankaufen, und hoffe ich werde ihm dorthin folgen, wenn er mich abholte. Ich bat ihn mit den rührensten Ausdrücken in sein Vaterland zurückzukehren, und gestand daß ich ihm zwar folgen w^oll^erde wolle wohin er ginge, doch würde mir es sehr schwer werden meine Eltern zu verlassen, und besonders mich so weit von ihnen zu entfernen. Ehe dieser Brief beantwortet wurde, muste ich 5 Monat alle Postage vergebens auf Nachricht warten. Meine Hoffnung, und die Erwartung von einer frohen Zukunft, waren schon längst bei mir gesunken, ich sagte mir es oft daß ich mit dem Mann nie glücklich sein würde, da ich nicht im Stande

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war ihn glücklich zu machen. Doch wollte ich mein Wort halten und mich ganz für ihn aufopfern. Ich war ihm so viel Dank schuldig, und nahm so innig Antheil an allem was ihm betraf, daß ich wenigstens hoffte ihn wo nicht beglücken, doch aufheitern zu können. Ich kannte seine Wünsche und wuste mich so gut in seinem sonderbaren Wesen zu schicken, daß ich überzeugt war, es konne außer mir kein weibliches Wesen mit ihm fertig werden. Nach fünf Monaten erfuhr ich endlich durch seine Schwestern wo er sich aufhielt, ich schrieb an ihn, und bekam zur Antwort – er habe nicht erwartet von mir noch einen Brief zu empfangen, sondern habe mein letztes Schreiben als eine Weigerung angesehn ihm nach der Schweiz zu folgen. Nach einem heftigen Kampfe habe er es endlich dahin gebracht mein Bild aus seiner Seele zu entfernen, er bäte mich deshalb nicht wieder an ihn zu schreiben.

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Da er durch Leichtsinn in Berlin sein Amt verscherzt habe, und durch seine Reise die Menschen zu großen Erwartungen von ihm <36:> berechtigt habe, so könne er nicht ohne Ehre ^Ruhm^ wieder in sein Vaterland zurückkehren. Sein einziger Wunsch sei jetzt bald sein Leben zu enden – Dieser Brief erschütterte mich tief, doch beweinte ich mehr sein trauriges Schicksal als das Meine. Ich sah es ein daß ich nie die Seine werden konnte, und hatte auch schon lange aufgehört es zu wünschen. Ich hatte die Kraft mich von seinem Gemalde zu trennen welches ihm sehr ähnlich war, schrieb noch einmal an ihn, trostete ihn als Freundinn, und sagte er mögte wenigstens seine Freundinn nicht vergessen, sondern mir zuweilen schreiben wie es ihm ginge, denn gewiß würde ich immer den lebhaftesten Antheil an seinem Schicksal nehmen. Hierauf hat er nicht geantwortet.

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Zu gleicher Zeit verlor ich einen sehr geliebten Freud und Bruder, – mein Schmerz war unbeschreiblich. Ich wurde sehr krank, und mein einziger Wunsch war bald zu sterben, den mein Leben hatte für mich alles Interesse verlohren. Der Schmerz meiner Eltern welche auch durch den Tod meines Bruders einen großen Theil ihres Glückes z verlohren hatten, erinerte mich daß ich noch Pflichten zu beobachten habe. Ich verbarg meinen Schmerz, um sie zu trösten, und meine einzige Linderung waren heftige ^bittere^ Thrähnen. Die Welt, und besonders die Männer waren mir sehr gleichgültig geworden, nur Ahleman war mein Vertrauter, er weinte mit mir, und tröstete mich. Mit der Zeit sahe ich es ein daß diese Trennung zu meinem Glücke seie und dank^t^e g dem großen Führer der Menschen für meine ertragenen Leiden, denn ich fühlte daß sie mich zu einem beseren Wesen gemacht hatten.

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Meine Leidensgeschichte ist zu Ende. Die Wolken haben sich zertheilt, und ich sehe eine freundliche Sonne an meinem Horizonte aufgehen.
Ich lernte Sie kennen, und gleich nachdem ich Sie zum ersten mal bei Ahlemans gesprochen hatte sagte ich zu meiner Schwester = der Mann gefällt mir. Und mit Ihrern näheren <37:> Bekanntschaft fühlte ich immer mehr daß ich für Sie, und Sie für mich geschaffen wären, ich war so glücklich Ihnen zu gefallen, und hoffe Ihrer nicht unwerth zu sein.
Die offene Mittheilung meiner Jugendgeschichte wird Sie nicht beunruhigen, sie ist so war, wie ich immer gegen Sie sein werde. Wenn Sie nicht der Einzige war^en^ der mein Herz rühren konnte, so kann ich doch versichern daß ich noch nie

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so von ganzem Herzen liebte, als ich Sie liebe, und daß der Entfernte nur noch als ein erhabenes Mittel wodurch der gütige Schöpfer meine Veredlung bewirken wollte, in meinem Herzen tront.
Sein Sie ganz mein Freund, und wenn Sie in meinem Betragen auch nur das Geringste finden das nicht nach Ihrem Sinne ist, so bitte ich leiten Sie

Ihre
FrankfurthWilhelmine.
am 16 Juni 1803

H: SBB-PK, Sign.: Sammlung Autographa (Kleist): Wilhelmine von Zenge an Traugott Krug. – Der Brief wurde 1936 bei J. A. Stargardt erworben; 1r, oben rechts, ist als Akzessionsvermerk mit Tinte eingetragen: acc. ms. 1936.171; zwei mit Bleistift gezogene Winkel markieren die unmittelbar auf Kleist bezogene Passage des Briefes: vor 1v („Auch er kam mit …“) und hinter der letzten Zeile von 6v
Ahlemans] Ernst Heinrich Friedrich A.
,] überschriebener Punkt H
Lieutenant Kleist] Kleists Bruder Leopold
nach Potsdam versetzt] am 13. 7. 1799 in das Regiment Garde, in welchem Heinrich v. Kleist gedient hatte.
a] A überschrieben H
n] m überschrieben H
Versprechen] cf. Königliche Kabinettsorder vom 13. 4. 1799: „[…] wenn Ihr Euch eifrig bestrebet, Eure Kenntnisse zu erweitern, und Euch zu einem besonders brauchbaren Geschäftsmanne zu bilden, so werde Ich dadurch auch in der Folge Gelegenheit erhalten, Mich zu bezeigen […]“ (Reinhold Steig, Neue Kunde zu Heinrich von Kleist [Berlin 1902], 2f.)
schräfte] schärfte
S] s überschrieben H
;] überschriebener Punkt H
Alle vierzehn Tage] 14 Briefe Kleists an Wilhelmine v. Zenge sind aus der Zeit zwischen 16. 8. und 30. 11. 1800 überliefert.
unerwartet] Kleist hat seinen Besuch im Brief vom 22. 11. 1800 angekündigt.
,] überschriebener Punkt H
i] I überschrieben H
,] überschriebener Punkt H
u] U überschrieben H
mein Bildniß] die von unbekannter Hand stammende farbige Miniatur erwähnt Kleist in seinen Briefen vom 22. 3. 1801 und vom 9. 4. 1801; einen Hinweis, wann Wilhelmine v. Zenge ihr Bild Kleist geschenkt hat, gibt mglw. Kleists Brief vom 13. 11. 1800, wo es am Ende heißt: „Ich küsse Dein Bild.“
L] l überschrieben H
Freud] Freund; Karl v. Zenge
.] überschriebenes Komma H

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Letzte Aktualisierung 04-Feb-2003
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