Anton Springer, Friedrich
Christoph Dahlmann, 2 Bde. (Leipzig: Hirzel 1870), Bd. 1, 455-459
Friedrich Christoph Dahlmanns Erinnerung an Kleist
Das Jahr 1808 kam, und ich ging mit meinen älteren Geschwistern zu Rathe
über meine Zukunft: wir wurden einig, ich sollte nach Dresden gehen, von wo aus Adam
Müller sich bereit erklärt hatte, ein ansehnliches Bruchstück meiner Wolken in seinen
Phöbus aufzunehmen. Allein als ich zu Ende des Jahres an Ort und Stelle kam, ging diese
mit unzeitigem Prunke begonnene Zeitschrift bereits ihrer Auflösung entgegen, Adam
Müller und Böttiger versammelten in ihren Vorträgen über Staat und Kunstgeschichte
eine vornehme Welt um sich und mein Traum von eigenen Vorträgen über Athens Geschichte
mußte vollends schwinden, als mit dem Frühling des nächsten Jahres ein
österreichischer Krieg mit Frankreich in Aussicht trat, welcher unvermeidlich Sachsen
verwickeln mußte. Nun hatte ich in Dresden den Maler Ferdinand Hartmann kennen gelernt,
der mit seiner Kunstbegabung eine ausgezeichnete wissenschaftliche Bildung und, was mehr
ist, ein dem deutschen Vaterlande bis in den Tod getreues Gemüth besaß. Der gleiche
Drang verband mich mit dem weit älteren Manne zum Freunde des täglichen <456:>
Umganges. In unsern Gesprächen wechselten die Drangsale der Gegenwart mit heitern Bildern
der Zukunft und manchem neckischen Scherze ab. Einst mußte ich sehr lachen, wie mir
Hartmann in seiner stark würtembergischen Mundart von Heinrich von Kleist und seiner
Freundschaft mit Adam Müller erzählte, die aber plötzlich ein Ende genommen, dann von
seinen edeln vaterländischen Liedern, und wie Kleist ihn eines Tags gezwungen davon
vorzulesen und zwar mit den Worten: Sie lesen so entsetzlich schlecht, lieber
Hartmann, daß, wenn meine Lieder mir aus Ihrem Munde noch gefallen, sie gewiß gut sein
müssen; dennoch habe er nachgegeben. Wenig Tage darauf traf ich Hartmann mit Kleist
auf der Dresdner Brücke, unserm gewöhnlichen Stelldichein. Nicht lange, so trat
Böttiger heran und spannte über unsern Häuptern seine antiquarischen Netze aus.
Ich denke, wir lassen Hartmann mit Böttiger im Stiche, sagte ich zu Kleist,
und wir schlichen uns fort und blieben den Abend draußen zusammen. Seitdem waren wir eng
verbunden und nicht lange so wanderten wir zusammen aus Dresden fort, der böhmischen
Grenze zu. Wir wollten nicht bei den Sachsen bleiben, die unter Bernadotte gegen
Deutschland zogen, Deutschland, das wir um so tiefer im Herzen trugen, je weniger es
draußen zu finden war. Unser Vorsatz war, von Böhmen aus mit allen Kräften dahin zu
wirken, daß aus dem österreichischen Kriege ein deutscher werde. Nicht daß wir uns mit
der Hoffnung auf augenblickliche Erfolge getäuscht hätten; wir verlangten von
Oesterreich nur Ausharren trotz der Niederlagen, und glaubten an der Haltung der Gebrüder
Stadion zu erkennen, daß der Staat entschlossen sei, diesmal seinen letzten Kampf zu
kämpfen; wenn dem aber so sei, so werde auch Preußen sich aufraffen aus seinem
schmählichen Schwanken zwischen Sein und Nichtsein, das übrige Deutschland aber werde
den vereinigten Adlern Oesterreichs und Preußens folgen. In welchem Lichte Kleist die
Stimmung des anfangs schwachen, allein im wachsenden Drucke erstarkenden deutschen Volks
betrachtete, zeigt eine Stelle seiner damals vollendeten Hermannschlacht, die ein treues,
wenn auch manchmal grelles Bild der Zeiten aufstellt. Die Barden im deutschen Heere
singen:
Wir litten menschlich seit dem Tage
Da Varus bei uns eingerückt;
Wir rächten nicht die erste Plage,
Mit Hohn auf uns herabgeschickt;
Wir übten nach der Götter Lehre
Uns durch viel Jahre im Verzeihn,
Doch endlich drückt des Joches Schwere,
Und abgeschüttelt will es sein. <457:>
Mit Hülfe eines österreichischen Gesandtschaftspasses, der freilich zugleich die
Reisenden unauflöslich an einander schmiedete, fanden wir, als die Grenze schon
abgesperrt war, glücklich Unterkunft in Prag, wo damals Alles zusammenfloß, was an den
Glauben an die Wiedergeburt Deutschlands sich wagen wollte. Hier begegnete man den
Mannschaften des Freicorps, welches der alte landflüchtige Kurfürst von Hessen
buntscheckig uniformirt errichtete; die braven Leute lachten selbst über die Zöpfe, die
ihnen der blinde Eigensinn des alten Herrn einband; hier sah man die Todtenköpfe des
vertriebenen Herzogs von Braunschweig wandern und mit jedem Tage ward es voller von
ausgetretenen preußischen Officieren, welche theils österreichische Dienste suchten,
theils eine eigene Freischaar bilden wollten. Führte mich außer der eigenen Neigung
schon die Stellung Kleists, der die ersten Feldzüge des Revolutionskrieges als
preußischer Gardeofficier mitgemacht hatte, vorzugsweise diesen zu, so war es doch
keineswegs leicht, mit ihnen in ein richtiges Verhältniß eines offenen und zugleich
einträchtigen Gedankenaustausches zu kommen. Denn wenn ich schmerzlich davon durchdrungen
war, daß die Politik Preußens seit des großen Friedrichs Tode niedere Bahnen suche, auf
welchen weder die Rettung Deutschlands, noch das Sonderheil von Preußen zu finden sei, so
ertrugen diese schwer jede Kundgebung solcher Art, sie betrachteten sich noch immer als
die alte Phalanx des unsterblichen Königs, der der Sieg nicht fehlen gekonnt, wenn nur
diese oder jene Mißbräuche und Mißgriffe nicht im Wege gestanden hätten. So wenig
politische Einsicht hierin lag, so flößte doch die menschliche Haltung dieser Männer,
ihr ungebrochener Glaube an Preußen wahrhafte Ehrfurcht ein; man mußte sich sagen, hier
sei jenes Selbstgefühl in vollem Maße vorhanden, welches politische Größen baut,
dessen Eigensinn und höhnisches Uebermaß sich vergiebt, weil ihm die Fähigkeit jedes
Opfer zu bringen zur Seite steht, jenes Selbstgefühl, durch dessen Absterben das deutsche
Reich zu Grunde gegangen ist. Als nun aber nach den Regensburger Tagen die gesteigerte
Ungeduld uns beide Reisesiamesen näher an die Donau trieb, und wir in den Rayon des
österreichischen Heeres traten, wie wurden die Preußen von Jena dort allenthalben als
Feige und Weichlinge geschmäht, und die Oberdeutschen, denen man den Muth schon lassen
mußte, als Verräther Deutschlands an Frankreich! Zwei Tage nach der Schlacht von Aspern
erlebten wir, die das Schlachtfeld zu betrachten kamen, einen sonderbaren Auftritt. Beim
Hin- und Herwandern standen wir der Lobau gegenüber, und ich fragte, auf einen schmalen
Arm der Donau zeigend, einen Bauern, der Kugeln sammelte, ob die Franzosen <458:>
hier eine Brücke gebaut oder die Furt, die nicht tief schien, durchwatet hätten? Der
ehrliche Mann verstand das so, als ob ich zu den Franzosen auf der Lobau hinüber wolle,
und machte gleich seine Anzeige. Als aber auf den Lärm von zwei Spionen sich eine große
Schaar von Soldaten schimpfend um uns sammelte, da war es ein halb trauriger halb
komischer Anblick, wie Kleist seine franzosenfeindlichen Gedichte aus der Tasche zog und
dadurch Wunder zu wirken glaubte. Allein selbst bei den Officieren that das keine andere
Wirkung, als daß die Einen zur Schmach eines ehrenvollen Namens Kleisten fragten, ob er
dem Magdeburger Kleist verwandt sei, die Andern aber, welche Einzelnes in den Gedichten
lasen, dem Verfasser Vorwürfe machten, daß er sich in Politik und überhaupt in Dinge
mische, die einen guten Unterthanen gar nichts angingen. Die Sache selbst war
ungefährlich und ward durch den Feldmarschall Grafen Hiller, in dessen Hauptquartier zu
Neustädtl wir geführt wurden, unmittelbar mit großer Freundlichkeit beendigt. Bald
darauf schwanden die Hoffnungen der Vaterlandsfreunde. Die Schlacht von Aspern blieb zur
Trauer des tapfern österreichischen Heeres unbenutzt und als der Tag von Wagram kam, zog
Kaiser Franz, wenn es anders wahr ist, was Männer von großer Geltung in Oesterreich
erzählen, die Niederlage der Gefahr vor, daß ein Bruder, in dem er mit Verdruß den
Liebling des Volks erblickte, zum zweiten Mal Sieger sei; denn unmittelbar vom Kaiser, so
erzählen jene, kam die Weisung an den Erzherzog Johann, dem Erzherzog Karl nicht zu
Hülfe zu ziehen. Wie dem nun sei, die Schlacht ging verloren, und was weit schlimmer, ein
Waffenstillstand that kund, daß auch diesmal nur um der Dynastie, nicht um des treuen
Volkes Willen gekriegt worden sei. Wir waren wieder nach Prag zurück und saßen gerade im
Gasthofe zum Erzherzog Karl, der seitdem eingegangen ist, zu Tische, als ein Adjutant des
französischen Kaisers, der Herr von Montesquiou eintrat, der die Nachricht vom
Waffenstillstande nach Dresden bringen sollte. Nicht lange, so saß er mit bei Tische und
die französisch sprechenden Nachbarn wetteiferten, ihm Artigkeiten zu bezeigen, in dem
Grade, daß sie dem Gaste für den Fall, daß er nicht zu sehr eile, sogar wenig ehrbare
Nachweisungen ertheilten. Neben mir saß inzwischen lautlos Einer, der sich mir seit
mehreren Tagen als ein Tyroler zu erkennen gegeben hatte, der unter angenommenem Namen im
Begriffe sei nach England abzugehen, um nachdrücklichere Unterstützung mit Geld und
Waffen für sein Volk zu erbitten. Als nun die Rede allmählich auch auf den
Waffenstillstand kam, bat mich dieser inständig, ich möge nach dem Schicksal seiner
Lands- <459:> leute fragen. Ich überwand mich, ging um den Tisch und stellte die
Frage. Der Franzose maß mich mit kaltem Blicke und antwortete: On na pas fait
mention deux. Als ich die Worte hinterbrachte, stand der Tyroler auf und
verließ schweigend das Zimmer. Es muß in diesen Regionen die Forderung des Herzens oft
schweigen vor dem Gebot der Nothwendigkeit; allein bei der österreichischen Regierung war
die Scheu vor einem Volkskriege weit mächtiger als der Haß gegen Napoleon. Die
österreichische Landwehr, an sich ein waglicher Versuch, war weit tapferer, vor allem
aber waren die Tyroler weit hochherziger gewesen, als es sich für gute österreichische
Unterthanen geziemen wollte.
Dem unrühmlichen Waffenstillstande folgte ein unrühmlicherer Friede,
und das war wohl eine schwere Zeit von langen drei Jahren, die jetzt kam.
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