Karl
Siegen (Hrsg.), Heinrich von Kleists Werke. Vollständige Ausgabe in acht Bänden
(Leipzig: Hesse und Becker 1914), Bd. 1, 103
Urbild des Käthchens von Heilbronn
Mit diesem Käthchen von Heilbronn hat es seine eigne Bewandtnis. Im Hause des
Apellationsrats Körner lebte als dessen Mündel seit 1803, seit ihres Vaters, des
reichen Leipziger Kauf- und Handelsherrn Johann Friedr. Kunze Heimgang, die zwar nicht
ausnehmend schöne, aber anmutige, dabei geist- und gemütvolle und mit einer herrlichen
Stimme begabte Emma Juliane Kunze (geb. 1786). Diese
Julie (wie ihr Rufname abgekürzt lautete) lernte Kleist bald nach seiner Einführung in
das Körnerhaus (das erst 1885 abgebrochne große Eckhaus des Landhausgäßchens) im
September 1807 kennen und zeichnete sie, wenn es auch zu keinem förmlichen Verlöbnis
kam, nach ihrer eignen Erklärung gegenüber ihrer Nichte Emma Kunze (geb. 1811,
gest. unvermählt 4. Februar 1903 in Bad Elster) so auffällig aus, daß an
seiner Liebe zu dem hübschen Mädchen, dessen von Tischbein gemaltes Brustbild, zuerst
1898 von Peschel und Wildenow in Th. Körner und die Seinigen
veröffentlicht, etwas sehr Sympathisches hat, weder Julie noch ihre Umgebung zweifeln
konnte; dies hat erwähnte Nichte sowohl 1891 dem Kleistforscher Theophil Zolling als auch
später noch dem Begründer des Dresdener Körnermuseums, Hofrat Dr. Emil Peschel
bestätigt, ebenso, daß Julie zu ihrem Verdruß selbst im Alter noch von Verwandten und
Freunden immer wieder als das Urbild des Käthchens von Heilbronn oft geneckt
worden ist.
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