Friedrich
Seebaß (Hrsg.), Clemens Brentano. Briefe. 2 Bde.
(Nürnberg: Carl [1951]), Bd. 1, 417-424
Clemens Brentano an Johann Georg Zimmer, Berlin, 12. 12. 1809
Berlin, den 12. Dezember
1809
Teuerster Freund!
Ihr Brief vom 15. August ist mir über Landshut endlich hierher gefolgt, wo ich mit
Wilhelm Grimm und Arnim bis jetzt zusammengewohnt und recht fröhlich gelebt. Grimm ist
seit einigen Tagen wieder nach Kassel. Ich sehe hier Reimer und
Hitzig <418:> dann und wann, beide ein paar große Verehrer von Ihnen; aber
keiner könnte mir auch nur einen Schein von der Liebe und dem Vertrauen einflößen, das
ich für Sie, alter treuer Geliebter, in steter Lebendigkeit fühle. Reimer hat sich eine
bocksteife philosophische Schwätzerei angewöhnt und ist dabei der tollste Rechthaber,
zugleich ist er ein Mensch voll der ungeschicktesten politischen Vaterlandswünsche und
durch das Unterliegen von Östreich ganz bizarr übellaunig; bei alledem ein so
überstolzer Edelmutsbuchhändler, daß er es tief unter seiner Würde fühlt, eine
Anzeige von irgend einem seiner Werke zu machen; sonst lebt er mit seiner recht
liebenswürdigen Frau und deren zwei Schwestern gastfrei und wohltätig, wiewohl sehr
einfach und bürgerlich. Er ist ein sehr solider und rechtschaffner Mensch, nur stark
eitel und staatsgeheimniskrämerisch. Hitzig ist am meisten das Gegenteil, geizig ins
Äußerste, er druckt das Meiste ohne Honorar, z. B. Sigurd, seine Almanache. Möchte
gern den Prometheus fortsetzen, hat sich an Goethe gewendet, der es ihm abgeschlagen,
spricht immer von Liberalität, Eleganz und Forthelfen der Wissenschaften und weiß nicht,
was er will, als daß es Geld ist, das ich ihm auch von Herzen wünsche. Merkwürdig ist
es, daß hier kein ordentlicher Sortimentsbuchhändler ist, der nur ein Drittel ihrer
Geschäfte machte.
Gestern abend habe ich mit
Arnim Baggesens Klingklingel-Almanach durchgesehen, so langweilig, witzlos und recht zum
Kotzen gibts nicht viel, besonders da die Niedertracht nicht gespart; diese Esel
fechten ein Jahr nachher mit allerlei Feinden, die gar nicht existieren. Ebenso
elendiglich steht die letzte Rezension der Reinbekiana in der Jenaischen Literaturzeitung.
Ich habe keine Freude dabei, als daß der Dreck nicht gekauft wird, und wer ihn kauft,
wird angeführt. Dieses halb Dutzend Scheißkerle bedenkt nicht, daß ihr Publikum
noch <419:> kleiner als das ihrer eingebildeten Feinde, und daß der Teufel sie
selbst nicht mag, weil sie selbst langweilig sind, wenn sie lügen und sauen.
Nun zu unsrer eignen
Unterhaltung; ich bleibe den Winter wenigstens hier; daß ich meines infamen Weibes,
nachdem sie sich per comoedia in Landshut privatim und in München publice
im Wirtshaus vergiftet hatte, seit acht Monaten los bin, werden Sie wissen; sie scheint
mich auch für die Zukunft verschonen zu wollen, denn sie war vor einigen Wochen mit
Bethmann hier, ritt in Mannskleidern mit ihm herum und trieb allerlei Skandal, machte aber
dennoch gar keine efforts mich zu sehen, was ich sehr befürchtete, obschon sie und
er mein Hiersein wußten und auf der Straße und im Theater wir uns oft begegneten. Gott
sei Dank!
Der Goldfaden macht allen
Menschen, die ihn lesen, ungemeines Vergnügen, aber leider klagen die meisten über zu
hohen Preis; das verstehe ich nun nicht und wünsche allein, Sie möchten dabei nicht zu
Schaden kommen, was mich sehr kränken würde, vielleicht helfen ihm die Lesebibliotheken
fort
Nun noch folgende Fragen, die ich Sie mir recht bald zu beantworten
bitte: wenn Sie am Goldfaden zu keinem Schaden gekommen, würden Sie wohl auf Ostern eine
ebenso reizende Geschichte drucken? Wir könnten dann jährlich, solang es ging, ein
Bändchen folgen lassen, und das Ganze würde eine Art Blauer Bibliothek werden; Sie
können versichert sein, daß ich Ihnen nie etwas Langweiliges oder Anstößiges geben
werde oder etwas Bekanntes; Sie könnten dann Ostern schon die beiden Bücher als der
Sammlung ersten und zweiten Band, und auch jedes allein geben. Mit dem Honorar werde ich
Sie nie drücken, solange ich ohngefähr mein Brot habe, und sollte ich das nicht mehr
haben, so komme ich nach Heidelberg und esse bei Ihnen und schreibe Ihnen dafür ab. Es
ist mir nur ein Trost, die zweihundert Gulden <420:> ohngefähr zu verdienen
für Huldas Pension, weil ich durch den Krieg und meine Geschichte mancherlei
gelitten. Wollten Sie wieder Vignetten dazu, so kann ich abermals besorgen, und zwar nach
recht guten altdeutschen Zeichnungen; wo nicht, ist es auch gut. Sodann erinnere ich Sie
an unsre alte Idee von Kindermärchen; ich habe seit der Zeit mancherlei dazu
gesammelt und würde mit Freuden in Nebenstunden das Ganze recht einfach und tüchtig
bearbeiten, nur wünschte ich, daß es zugleich ein recht originelles Bilderbuch mit
kräftigen deutlich illuminierten Bildern für Kinder würde. Wie wäre es nun, wenn wir
es in klein Quart druckten und aus jedem Märchen ein kräftiges Bild in deutlichem
straffiertem Umriß illuminiert beilegten? diese Bilder würde ich meist selbst entwerfen
und dann von Ludwig Grimm, der bereits ein trefflicher Arbeiter in München geworden, und
von andern Freunden korrigieren lassen; sodann könnte sie [Strixner?] in München in
Steindruck bringen und das Ganze würde nicht zu kostspielig. Ich wünschte, daß das
Ganze etwas in die Augen Springendes, Kräftiges und Gesundes bekomme, was bis jetzt allen
dergleichen Büchern fehlt. Die Geschichten dürften keine länger als der Machandelboom
werden, die meisten kürzer, doch alle rund und reizend. Dies wäre ein Vorschlag für die
Zukunft, das heißt zu welchem ich mit Ihnen einverstanden sein möchte, und besonders mit
den Bildern zu Werke zu gehen, die doch einige Zeit fordern. Quart wählte ich, um die
Figuren deutlich und lebendig liefern zu können; was die Bedingungen angeht, sind Sie von
meiner Seite versichert, daß ich die Kupfer Ihnen so billig als möglich zu verschaffen
suchen werde, und mein Honorar soll Ihnen auch keine grauen Haare machen.
Was meine Romanzen betrifft,
deren Sie gütig zu gedenken scheinen, so bin ich jetzt damit beschäftigt, ruhig daran
fortzuarbeiten; verschiedene <421:> geistreiche Freunde, der Philosoph Schubert
und mein lieber Steffens, haben sie mit ernsthaftem Vergnügen angehört. Letzterer ist
Runges genauer Freund und hat mir auch gesagt, er zweifle nicht, daß er sich gern
mit Zeichnungen befassen würde. Ich will Runge nächstens selbst ausführlich schreiben
und ihm einige der Romanzen beilegen. Was mich betrifft, ist es die Hoffnung auf Rungens
Kommentar, die mir die Arbeit in so frecher Zeit allein ein wenig würzt; macht er die
Zeichnungen, so drucken Sie es gewiß, nicht wahr? Was ich dafür werde wollen, das wird
nicht viel sein; ich möchte nur, daß Sie das Wenige, was mir etwa das Stumpfchen guter
Geist noch verleiht, ohne Schaden drucken können, damit ich mit keinen höhnischen Eseln
zusammenkomme. Nun will ich aufhören von mir zu schwätzen und auf andere
kommen.
Auf meiner Reise hierher habe
ich Goethe in Jena besucht und ein paar Stunden freundlich mit ihm geredet; er hat von der
unglücklichen Einsiedler-Zeitung mit ungemeiner Achtung gesprochen; es sind seine Worte:
daß nie ein so mannigfaltiges, reiches und geistreiches Zeitblatt geschrieben sei, und
daß es ihm nebst vielen andern Freunden sehr leid sei, daß es durch Zufall, durch
Zeitgeist und durch einige Ungeschicklichkeit in der Manier, die aber von mancher
Originalität schwer zu trennen sei, nicht den vollkommnen Sukzeß gehabt, den es
verdient, und daß er nie zweifle, es werde noch einst sehr gern und mit Nutzen gelesen
werden. Von Arnims Wintergarten aber sprach er mit ganz ungeteilter
Achtung; er versicherte mich, daß es eines der am besten geschriebenen deutschen Bücher
sei, und daß es ihn durchaus erfreut habe. Ich weiß nicht, ob Sie schon die Zeit
gefunden, etwas drin zu lesen, dann aber hat es Ihnen gewiß Freude gemacht. Arnim hat
eine Menge herrlicher Arbeiten liegen; immer wird er klarer und ich sehe der Zeit
entgegen, wo ihn die Leser <422:> so lieben werden wie die Freunde. Er hat,
seitdem ich hier bin, ein Trauerspiel in einem Gusse geschrieben, in einer Klarheit,
Deutlichkeit und schnellen lebendigen Folge der Szenen, daß ich versichert bin, die Leser
des Rinaldo Rinaldini werden es so gern lesen als die des Götz und Shakespeare. Es ist
durchaus in Prosa, und seine fünf Akte zerfallen in zwei Stücke; die ersten drei Akte
machen durchaus ein Ganzes, sie umfassen das ganze Studentenleben in Halle und wechslen in
ganz einziger Lebendigkeit zwischen der rührendsten Leidenschaft, Duellen,
Ordensgeschichten, Hallorenhochzeiten, Schifferstechen, Maskeraden, Kommersen, ganz
herrlichen Judenszenen; durch dies Getümmel geht eine den Helden zertrümmernde Liebe, so
schön als die Romeos; auch erscheint hie und da der ewge Jude äußerst
herrlich bedeutend, einige Zauberei, Geister und Kirchhofszenen; ich versichere Sie, man
wird von Unterhaltung, Lust und Mitleid und Trauer, ohne eine Minute uninteressiert zu
sein, durch dieses erste Stück getragen, welches in sich völlig damit geschlossen ist,
daß der Held und eine büßende Sünderin, die ihn liebt, nach Jerusalem
ziehn.
Der zweite Teil in zwei Akten
spielt ganz im Orient; er umfaßt die tollsten Szenen auf Schiffen, allerlei närrsche
Reisende, moderne Katholiken, herzzerreißende Szenen in der Wüste, Wunder, die Schlacht
von St. Jean dAcre, Lord Sidney Smith, Chateaubriand sind handlende Personen;
dazwischen wieder hochkomische Serail-Szenen und Nonnengeschichten, das Ganze endet im
Tempel zu Jerusalem, worin ein Kampf zwischen Griechen und Armeniern vorkommt. Ich weiß
nicht, bei welchem Teil man mit größerm Vergnügen verweilt, überhaupt ich kenne keine
moderne Arbeit seit Goethe, worin ein so lebendiger Tummelplatz der Phantasie, ein so
hinreißender Wandel und Strom der Begebenheiten in ganz verständlicher
menschlicher <423:> gesprochener Sprache, und zugleich eine so schöne tiefe
poetische Seele erscheint; es gibt noch kein so rasches Spektakelstück, welches zugleich
so wahr in seiner Sprache, so geistreich in seiner Bedeutung, so rührend in seiner
eigentlichen Handlung wäre; es muß jedermann erfreuen und selbst den boshaftesten Gegner
unterhalten. Dazu kommt noch eine äußerst lustige kurze und ernsthafte Zueignung an die
Juden in Prosa; der Titel ist: Halle und Jerusalem, zwei Trauerspiele für Juden, ein
schön gestochenes Porträt des ewigen Juden, wovon Arnim die ganz neue nie abgedruckte
Platte besitzt, wird es zieren.
Alles, was ich Ihnen hier
gesagt, werden Sie in noch weit höherm Grade wahr finden, aber warum, lieber Zimmer,
mache ich Ihnen eine so weitläufige Beschreibung? Es ist, weil ich wünschte, daß Sie
der Verleger würden, indem ich es Ihnen allein gönne und weil es Sie nicht viel kosten
wird und gewiß ein großes Aufsehen machen muß, da es nicht für einen einzelnen Kreis,
sondern für die ganze lesende Welt durchaus erfreulich ist, selbst für die, die keine
Trauerspiele, sondern nur Romane lesen; zugleich werden die Juden stark danach verlangen,
die sehr stark drin, ehrvoll und tadelhaft, mitspielen, ebenso auch alle
Studenten
Aber nun kömmt ein Punkt:
Arnim fühlt, daß es durchaus hier gedruckt werden muß, erstens seiner Aufsicht wegen,
zweitens der Heidelberger Voß-Klique wegen, die das Ganze schon vor der Erscheinung
mißhandeln würde, drittens der lächerlichen Heidelberger Zensur wegen, die Gott weiß
was drin finden könnte, wir wissen nicht, was, aber die Wege der Dummheit sind
unermeßlich. Es ist keine Persönlichkeit, keine Roheit drin; bei der Schlacht zu Acre
werden die Franzosen nur gerühmt und geehrt; vielleicht könnten Sie etwas Übles finden,
daß Juden drin vorkommen und Studenten; doch lassen Sie sich dadurch nicht irremachen;
ich denke <424:> selbst an das Unwahrscheinliche, um alle Fälle zu denken.
Reimer würde Ihnen den Druck gewiß so billig und korrekt besorgen als seinen eignen.
Arnim hat es noch niemand angeboten, und zwar allein, weil ich wünschte, daß Sie es
druckten, indem ich drauf schwören möchte, Sie werden Freude und Nutzen davon haben. Sie
kennen mich und wissen, wie ich denke und wie ich Sie liebe. Das Ganze ist fertig, wenn
Sie diesen Brief erhalten, und wir bitten Sie sich gleich zu erklären, und im
Falle Sie mir trauen, auch Reimer die gehörigen Aufträge zugleich zu geben, damit das
Ganze rasch vor sich geht. Sobald Sie es annehmen, übersenden wir Ihnen die gehörigen
Anzeigen. Schreiben Sie ja sogleich.
Nun eine kleine Übersicht
meines ganzen scheinbar projektvollen Briefs, damit Ihnen der Kopf nicht toll wird, und
Ihnen das Antworten leicht. Meine erste Frage war:
erstens) Getrauen Sie sich,
ein ähnliches Buch dem Goldfaden folgen zu lassen und darf ich Ihnen in dieser Hoffnung
etwas Ähnliches gegen Ostern senden, meinthalben auch Michaelis?
zweitens) Gehen Sie in meinen
Plan der Kindermärchen ein? für die Zukunft.
drittens) Die allgemeine
Erinnerung an meine Romanzen.
viertens) Wollen Sie Halle
und Jerusalem, ein doppeltes Trauerspiel für Juden von L. A. von Arnim mit dem
Porträt des ewigen Juden zu den gemachten Bedingungen, oder zu welchen, oder gar
nicht? Aber das Garnicht verbittet sich
Ihr
Clemens Brentano,
der Ihr liebes Weib und Ihre Kinder und alles
das Ihrige grüßt und in Gottes Obhut empfiehlt. Antworte gleich, Schatz.
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