Wilhelm
Schoof (Hrsg.), Briefe der Brüder Grimm an Savigny (Marburg: Schmidt 1910), 60-63
Jacob und Wilhelm Grimm an Friedrich Karl v. Savigny, Kassel,
18. 11. 1808
Caßel am 18 November 1808.
Ich habe heute an Jordis für Sie hundert
hiesige Taler bezahlt, welche Sie so gut sein wollen, etwa monatlich an meinen Bruder
Louis, der jetzt schon in München sein muß, nach seinem Bedürfnis abzugeben. Ich bitte
Sie darum, weil der Clemens durch seine eigene widrige Lage zu bedrängt ist. Der Luis
scheint gut, brav und fleißig zu werden, der Tod der Mutter hat einen sehr tiefen
Eindruck auf ihn gelassen. Die Ausgabe für ihn wird uns allen leicht werden, weil wir ihn
recht lieb haben und sobald das Geld zu Ende gehen wird, so schreiben Sie mir, und ich
hoffe sogleich wieder eine Summe schicken zu können.
Der Clemens hat mir letzt
geschrieben, daß es noch anginge, daß ich in München bei der Bibliothek angestellt
werden könnte.
Ich wiederhole nicht, was
sich von selbst versteht, wie lieb mir das für mein Lernen und für mein ganzes Leben
wäre, denn hier ist es nichts rechtes. Mein Dienst wird immer mehr ein Hofdienst, ich
muß täglich mehrere Stunden im Cabinet zubringen, ohne eigentliche Arbeit. Die
Bibliothek im Gegenteil liegt schon seit Monaten in einem Haufen und wird, so sehr ich
treibe, noch nicht wieder aufgestellt. Ich habe viel Zeit für mich und das macht mich in
Erinnerung meiner vorigen Anstellung so zufrieden, daß ich die jeden Tag verdorbenen
Stunden leicht ertrage. Zu hoffen hätte ich, außer der Leichtigkeit einer andern Stelle
mit gutem <61:> Gehalt, namentlich vielleicht zur hiesigen großen Bibliothek zu
kommen, die aus Wolfenbüttel bedeutend soll vermehrt werden, u. mit der die
Privatbibliothek zu Napoleonshöhe größtenteils zu verbinden, sich leicht schicken
könnte. Also ich stehe hier so, daß ich für kein Unglück halte,
hierzubleiben, aber ich würde es für einen großen Vorzug halten, nach M. zu kommen. Das
Zusammensein mit Docen würde mir nicht angenehm sein, dem ich auf seine äußerst artigen
Briefe das letztemal zu offenherzig geantwortet zu haben scheine, weil er mir nicht wieder
seitdem geschrieben. Die Sorge wegen des weiten Zugs mit meinen Geschwistern, um Verlust
an Sachen und Vermögen würde ich billig gering achten, weil man bei solchen Berechnungen
überhaupt den Vorteil nicht anschlagen kann.
Der Clemens meint, ich sollte
etwas schreiben, um mich zu der Stelle in München zu qualificiren. Sehr natürlich. Da
ich aber zu Ihnen nicht anders sprechen kann, als wie es mir im Herzen ist, so bekenne ich
gleich, daß mir das Verlangen ungelegen kommt. Ich habe gar keine Lust mich ohne längere
und gründliche Arbeiten über das auszubreiten, was ich im Sinn führe und wonach ich
trachte. Mit einigen kleinen Aufsätzen, wozu ich von Außen her veranlaßt worden bin,
bin ich nicht recht zufrieden, weil ich fühle, daß man niemals so im Allgemeinen über
die aus seinem Studium hervorgegangene Ansicht sprechen sollte. Die Ansicht mag gut und
wahr sein, aber sie steht nicht lebendig da, weil sie nur auf einem zum Teil wahrhaft
erkannten, also ungleichen Fundament beruht, u. man hat sein Liebstes blosgegeben, ohne
Not. Blos in dem behaglichen, umfassenden Studium des Einzelnen ist die eigentliche Lust
und nachher mag man sich auch kurz darüber fassen, nach Schicklichkeit; ich bin aber
gewiß, daß wer das Detail weiß, es auch geben wird. Diese ewigen Eingänge, diese
nichts beweisenden allgemeineren Darstellungen unserer Poesie und Geschichte, sind mir
zuwider, ebenso, daß ich nun einmal von ihnen erfüllt, sie an einen besondern Gegenstand
anbinden müßte. Dazu bin ich jetzt so polemisch gesinnt, gegen alles, was das Rechte wo
nicht bestritten, doch übersehen hat, diese Gesinnung ist auch nicht unrecht, weil ich
sie aufrichtig weiß, warum soll ich damit öffentlich werden?
Halten Sie das für keine
Ausflucht, als ob ich mich schämte etwas zu schreiben, (da ich mich nur scheue), ich bin
mir bewußt, daß ich auf keinen falschen Weg gegangen bin, was soll ich mich aber durch
einen äußerl. Umstand treiben lassen, etwas zu unternehmen, wozu ich noch nicht berufen
bin, wer schreibt anders, als aus innerlichem Trieb? Jetzt aber ist es mir lieber zu
studiren, ohne solche Unterbrechung.
Es bleibt mir nichts übrig,
als eine blos literarische interessante Entdeckung bekannt zu machen, ich wollte, daß ich
ein unedirtes Ms. hätte, mit Freuden wollte ich es herausgeben und nach Vermögen
commentiren, ich wünschte, daß ich mehr äußere Mittel hätte, denn so ist
das Meiste was ich gefunden habe, noch halb u. nicht ausgeführt; ich will aber doch
darauf denken, die Stelle in München an der Bibliothek ist wohl wert, daß ich mir darum
Mühe gebe.
Heerens neues Buch über die
Kreuzzüge, ist wohl so, wie man nicht darüber schreiben sollte. In dieser Schrift ist
mir der sonderbare Contrast recht klar <62:> geworden, der in der meisten modernen
Geschichtsschreibung zwischen der Schwierigkeit der Critik und der Leichtigkeit der
Reflexion stattfindet. Dazu die widerliche Anpreisung der französischen Academie, deren
Aufgabe eigentlich das Buch selbst, obgleich wider Willen, parodirt. Solche Aufgaben
wollte ich hintereinander mehrere hundert machen, ebenso würdig aufgelöst zu werden, und
wenn sie es würden, so würde man nicht länger über das Unrechte der Aufgabe und
Lösung zweifeln. Die Hauptansicht der Kreuzz. ist mir die, daß sie ein großes Abenteuer
der damaligen Christenheit waren; was sich sonst noch politisch hineingeflochten und
daraus geboren hat, gebührt von dem gemessen zu werden, der die Geschichte der Welt zu
erkennen versteht. Die einzelnen Bilder der Zeit, die der gelehrte Heeren gibt, sind
manchmal scharfsinnig, oft falsch, (wie wieder das über die sogenannte Kreuzzügepoesie)
gewöhnl. aber von den Zügen selbst unabhängig, (wie das interessanteste Stück des
Buchs, über den Handel, der sich ohne diese Züge ebenso gewendet haben würde);
Reflexionen, wie: daß ohne die K. Z. kein Königreich Preußen gekommen wäre, nenne
ich wahrhaft töricht.
Von Müllers
Schweizergeschichte ist nun endlich der fünfte Band heraus, aber nur ein halber. Sonst
wie die andern, er behandelt wo nicht den größten Ruhm, doch die größte Macht der
Schweizer. Rührend ist mir, wie er in der Vorrede der Hemmung dieses Werks und seiner
Weltgeschichte erwähnt, besonders, daß er der Geschichte Friedrichs gar nicht dabei
gedenkt, (einige Noten verraten, wie er über Friedrichs Geschichtschreibung nachgedacht).
Seine Meinung über die Ursachen der Abhaltung ist durchaus aufrichtig, wie ich glaube.
Einer Namens Diepold hat eine Gesch. Carls d. Großen fertig, und darin Müllers Stil
steif nachgeahmt, was die Geschichte selbst angeht, so wird sie nach der Probe im
Prometheus nicht viel mehr als ein müllerisch stilisirter Hegewisch p. sein. Über diesen
Kaiser fehlt zu viel, über den Sachsenkrieg und die Sachsen wissen wir fast nichts.
Der
Prometheus wurde immer schlechter u. ist wie ich glaube eingegangen. Der Phöbus ist, wenn
auch stecken geblieben, viel besser. Adam Müllers Gewandheit und Geist gefällt mir, man
kann viel von ihm lernen, wenn auch nicht unmittelbar.
Wir wünschen recht sehr von
Ihnen zu hören, wie es Ihnen in Landshut geht und gefällt? und was Sie lesen? Mit
Marburg geht es zusehends trauriger; was mir gar leid tut, wie Conradi hierher
geschrieben, ist daß Weis an der Schwindsucht fast ohne Hoffnung niederliegen soll.
Grüßen Sie Ihre Frau und
Kinder, die Bettine und den Clemens von ganzem Herzen von uns. Arnim wird schon über
4 Wochen hier erwartet und kommt nicht. Bleiben Sie mir ferner gut
Jacob Grimm.
Wissen Sie, daß die altfranzös. fabliaux, die
wir in Paris so sehr suchten, von Barbazan, und die wir endlich teuer für den Clemens
kauften, jetzt neu aufgelegt und vermehrt herausgeg. sind von Méon, in
4 Octavbänden, auch wird ein eben erschienenes Dictionaire de la langue romaine von
Roquefort <63:> gerühmt. Ich weiß nicht, ob Sie das interessirt, vielleicht den
Clemens. Beide Bücher kommen mir sehr lieb.
Ich setze nur auf dem engen
Raum hinzu, daß ich mich besser befinde, seitdem ich mich an Conradi gewendet, der mir
sehr freundschaftlich ist. Dann bitte ich Sie recht sehr, doch einmal in
München nachsehn zu lassen, ob sich die auf einliegendem Zettel bemerkten dänischen
Bücher, zufällig dort finden. Viele Grüße an Sie sämmtlich. An Clemens werd ich
nächstens schreiben.
Ihr Wilhelm Gr.
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