Ingeborg
Schnack (Hrsg.), Der Briefwechsel zwischen Friedrich Carl von
Savigny und Stephan August Winkelmann (1800-1804) mit Dokumenten und Briefen aus dem
Freundeskreis (Marburg: Elwert 1984), 179f.
Stephan August Winkelmann an Friedrich Karl v. Savigny, Braunschweig, Ende
September 1803
Verwickle mich in einen Diskours, muß ich, wie Leibgeber, sagen. Denn seit mehreren
Wochen verhindert mich am Schreiben, daß ich nicht weiß, was von so Vielem. Ich bin
gesünder und heiterer, wie je und fester an gewisse Geschäfte gebunden, daher in den
Stunden der Musse eine Lebhaftigkeit, mit welcher ich das Höchste tiefer fühle und Alles
deutlicher einsehe.
Nur so viel im Allgemeinen.
Weihnachten müssen wir uns in Cassel sehen, denn meine Ferien, den Februar, muß ich in
Berlin zubringen. Ich kann hier höchstens sieben Tage weg und also nicht nach Marburg
kommen. <180:>
Noch vor Weihnachten muß die
Anthropologie fertig gedruckt seyn. Bis Ostern ein Auszug aus dem Galen und der erste
Entwurf der dynamischen Pathogenie. Nach dieser mache ich zwei Jahre lang ein System der
vergleichenden Physiologie: bis dahin müssen alle historischen Projekte ruhen. Wenn ich
einen festen Fuß in der Medicin gefaßt, kann ich in den übrigen Verhältnissen wie ein
Reisender erscheinen, niemals aber ein Vagabond werden.
Des Abends mache ich die
Minnesänger, den Commentar zur Manesse fertig, von dem ich dir geschrieben, lese aufs
Neue den Sophocles und übersezze die Elegien des Johannes Sekundus. Er ist der
Vortrefflichste von den lateinischen Neuern: zart, elegant und mit hinreissender Wollust
rührend.
Dazu ein reiches Leben, in
früher Jugend gestorben, doch nachdem er im Gefolge eines Cardinals Carl den V in Afrika
landen sehen.
Die Anmerkungen von Göthe
zum Benvenuto hätte ich reicher erwartet. Viel deutlicher ist mir jene goldene Zeit
Italiens durch Roscoe Leben Lorenz von Medicis und dessen eigenen Commentar seiner
Gedichte geworden. Hast du nun die Familie Schroffenstein? meine
Begierde den Verfasser kennen zu lernen, wird immer grösser. Es ist mir wahrscheinlich
nicht möglich eine Tragödie zu machen, aber die Sehnsucht wird mir bis zum Tode bleiben.
Wie schrecklich ist das teutsche Theater herunter. Dieses habe ich so recht gefühlt, da
während der Messe sechs Wochen lang eine teutsche Gesellschaft die französische
ablößte, welche der Herzog bezahlt. Ich hatte mich darauf gefreut und noch überdies
einen recht jugendlichen unschuldigen und thörichten Umgang mit einer Schauspielerin
angeknüpft, die eine angenehme Ähnlichkeit mit der Mereau hatte. Darüber
bin ich nun im Parterre oder zwischen den Coulissen aber wie elend äusserlich
oder innerlich wie beherrscht dieser Hund, dieser Kozzebue, so durchaus die
Bühne. Darum frage ich wieder: wer ist der Verfasser der Schroffensteine?
Kreuzers Buch habe ich noch
nicht: ist es schon fertig, so hat meine Handlung Schuld. Sag um Gotteswillen, was Clemens
treibt und ob er wacker ist. Sorge, daß er sich geduldig entschließt, den Titan
durchzulesen: es ist eine Gestalt darin, die ihm sehr belehrend seyn könnte, ich sage
nicht welche. Die Mereau hat mir auch seit Ostern nicht geschrieben.
Über Pestalozzi schrieb ich,
um dir zu antworten, einen Brief an Schwarz, den ich hier beilegen wollte. Aber ich sehe,
er ist durchaus unverständlich und darum muß ich ihn umschreiben, dazu ist es heute zu
spät.
Hast du Hubers Erzählungen
gelesen? einige entzücken mich. Noch eins, lebe wohl, sei so muthig, so heiter, so
entschlossen wie ich es bin. Selbst die Franzosen, wenige Meilen von mir herschend,
stören mich nicht, ich dencke höchstens daran, wenn ich auf dem Fechtboden oder des
Abends am Schreibtische müde werde. Doch ließ ich mich verleiten ein
andermahl davon: ich habe (natürlich geheim) eine kleine Broschüre drucken lassen, sie
ist (wie alle diese Broschüren, die fast alle hier gedruckt werden) einige tausend mahl
verkauft und mir bloß deswegen bei aller Flüchtigkeit lieb, daß ich im Alter beweisen
kann, diese Richtung zum Bürgerlichen schon in der Jugend gehabt zu haben.
Doch davon wollte ich ja schweigen, bis der Galen und der Aristoteles und das
pathologische System fertig sind.
Schreibe mir bald: vergiß
nicht, daß ich hier und vielleicht überall, keinen Freund habe, wie dich.
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