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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Ingeborg Schnack (Hrsg.), Der Briefwechsel zwischen Friedrich Carl von Savigny und Stephan August Winkelmann (1800-1804) mit Dokumenten und Briefen aus dem Freundeskreis (Marburg: Elwert 1984), 176f.

Friedrich Karl v. Savigny an Stephan August Winkelmann, Marburg, 27. 7. 1803

Marburg den 27ten Julius 1803.

Lieber Winkelmann!
Die Nachricht von deiner Anstellung hat mir unglaubliche Freude gemacht, und das nicht blos unmittelbar, in dem Eindruck einer frohen Begebenheit, sondern auch weil ich fest glaube, daß es in jeder Rücksicht vortheilhaft für dich seyn wird. Glaubst du nicht auch, daß deine medicinischen Arbeiten vielfach dabey gewinnen werden?
Schwarz war bey mir als dein Brief kam und hatte mit mir zugleich die Freude aus der ersten Hand. Creuzer und Bang haben herzlichen Antheil daran genommen.
Ich habe der Claudine geschrieben, sie mir auch: einen freundlichen heitern Brief, dem man kaum einen Kummer ansieht. Sie mag tief verwundet seyn, äuserlich scheint sie weniger heftig afficirt als ich erwartete. Wenn du mir wieder schreibst, lege auch etwas für sie bey, es wird sie freuen. Der Geschichte habe ich gegen sie noch nicht erwähnt. – . Du hast dem Gundelchen einen wilden, harten Brief geschrieben? wie? wo? wann?
Über den Idealismus laß mich dir erst schreiben, wenn ich dein Büchlein haben werde. – Die Paramythe habe ich gelesen. Aufrichtig, ich zweifle, ob eine poetische Ausführung der Idee auf diesem Wege möglich ist, und das um so mehr, als schon in dem blosen Entwurf, worin sich vielmehr alles bis zur Undeutlichkeit drängen könnte, Fülle und Gestalt vermißt werden. Einen Theil des dritten Gesangs ausgenommen, sehe ich nicht was selbst durch gute Verse im wesentlichen geholfen werden könnte. – . Mehr hat mich die Arzneikunst angezogen. Der Inhalt ist mir gröstentheils sehr erfreulich gewesen, und um so mehr, weil ich ähnliche Dinge auch noch einmal zu sagen haben werde. Um so mehr aber wünschte ich manches in der Darstellung anders. Du findest es leise, aber ungebildet? mir scheint es, gerade umgekehrt, im Ganzen gebildet ausgesprochen, aber ganz und gar nicht leise. Vielmehr hat hie und da die Bildung das Bestreben vornehm zu seyn, besonders S. 17. 18. Mir scheint es aber nicht nur überhaupt nothwendig, und gerade in unsern Tagen, recht bürgerlich zu schreiben, sondern am meisten in einer Schrift die eine solche Sache vertheidigt: hier ist das Gegentheil ein Widerspruch mit sich selbst, der gerade bey dem sinnvolleren Leser alle Würkung zerstören muß. Ich wünschte du dächtest ernstlich darüber nach und sagtest mir vollständig Deine Meinung: mir ist dieser Gegenstand gar wichtig, und ich weis kaum ob ein anderer mehr in dem Centrum unserer Zeit liegt. Hier ist der Punct, wo sich die verlorene Unschuld der Zeit am deutlichsten offenbart, und wer kann sicher seyn, daß er ganz davor bewahrt bleibe? wahrlich die deutlichste Einsicht in die Sache, und selbst Haß derselben, ist nicht hinreichend. – . Und dann: wäre es nicht gerade für diese Tendenz zuträglich, einen festen Fus von Ausführung zum Grunde zu legen, oder doch so etwas bald darauf folgen zu lassen? Conradi ist, wie ich höre, nicht damit zufrieden. Natürlich: er hat <177:> Partey genommen, und wie kann er es geduldig anhören, daß Einer nicht etwa seine Partey, sondern den ganzen Krieg auslacht? Doch muß ich sagen, daß Conradi sehr fleissig studiert und daß er darin sich auf keine Weise durch die Schule des Tages beschränkt: mehr wohl in der Behandlung der grosen Schriftsteller die er liest. Respect hat er vor vergangenen Zeiten.
Ach, lieber Winkelmann, wem es gelingen möchte, in diesen Tagen, ohne Affectation, im Besitz der ganzen Bildung der Zeit, so zu schreiben, daß jeder Leser ihn für seines gleichen nähme! wenn etwas ist, das diesen Lohn verdient, so ist es eine Treue die weder vor noch rückwärts sieht und am wenigsten in den Spiegel. Und darnach laß uns ernstlich streben. – Du schriebst neulich etwas, das mich sehr angesprochen hat: ein Politiker solle im Alter auftreten. Wahrlich das hängt damit zusammen und läßt sich auf vieles anwenden.
Daß Klopstock ein Denkmal gesezt würde, wäre nothwendig, Und wenn es auch nicht Lebensbeschreibung wäre – Gedanken über ihn, ernsthaft kräftig, wie sie ein groser Gegenstand erweckt. Es wäre sehr schön. Wenn wir uns sehen, vielleicht können wir so etwas verabreden. Überihn habe ich noch nichts gelesen. Ist Cramer das einzige? oder das beste? Der Gegensatz von Klopstock und Göthe ist mir unendlich merkwürdig.
Schreibe mir doch das nähere von Schroffenstein: den Titel, Verleger pp. Ich kann es nicht erfragen.

Adieu, Lieber.Dein S.

 

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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