Julian
Schmidt (Hrsg.), Heinrich von Kleists gesammelte Schriften, 3 Bde. (Berlin: Reimer
1859), Bd. 1, XCIII-C
Friedrich Christoph Dahlmann an Julian Schmidt, Bonn, 9. 6. 1858
Den Heinrich von Kleist lernte ich 1809 kurz vor dem Ausbruche des Krieges zwischen
Oestreich und Frankreich kennen. Ich war damals vier und zwanzig Jahre alt (man wußte in
dieser Napoleonischen Welt nichts mit sich anzufangen) von Wismar, meiner Vaterstadt, nach
Dresden gegangen, um dort, wie ich mir dachte, Vorträge über griechische Geschichte vor
einem größern Publikum zu <XCIV:> halten; ein Plan, der vollkommen meiner
Unerfahrenheit entsprach, um so weniger aber meiner Vorbildung und meiner Unfähigkeit
mich in der Welt geltend zu machen. An meinen mäßigen Mitteln, die ich noch dazu
mehrentheils einer liebevollen Schwester verdankte, zehrte ich denn in der Stille der
Pirnaer Vorstadt; meine einzige zufällig gemachte nähere Bekanntschaft war der Maler Hartmann,
dessen treue deutsche Gesinnung mich fesselte und mit dem ich öfter Abends spazieren
ging; wir pflegten uns auf der Elbbrücke zu treffen. Eines Abends brachte Hartmann den
Kleist mit, den ich bisher nicht kannte. Kaum aber hatten wir die schöne Brücke betreten
als der gesprächige alte Böttiger herbeikam und zunächst Hartmann in Beschlag
nahm; die Sache schien nicht enden zu wollen. Ich war damals jünger und ungeduldiger als
jetzt und wandte mich kurz darauf in leisen Worten zu Kleist: Was meinen Sie? ich
denke wir lassen hier den Hartmann mit Böttiger im Stiche und gehen stille unsers Weges
weiter; H. wird uns das nächste Mal darüber heruntermachen, aber es thut nichts.
Alsbald gingen wir davon, kehrten irgendwo ein und verabredeten gleich denselben Abend,
nächster Tage mit einander zu Fuße Dresden zu verlassen und nach Oestreich zu wandern;
denn da einmal der sächsische Hof sich der schlechten Sache anschließe, sei es besser
die Zukunft in Prag abzuwarten. Kleist übernahm die Besorgung des Passes, mit welchem uns
der damalige chargé daffaires von Oestreich in Dresden, Baron
Buol-Schauenstein wie ein Paar Eheleute an einander band; denn der Paß lautete auf uns
beide gemeinsam. Auf dieser mehrtägigen Wanderung durchdrangen wir eigentlich einander,
ergriffen gegenseitig Besitz von uns, und wir kamen noch später öfter verwundert darauf
zurück, wie so oft es sich getroffen habe, daß, wenn wir recht lange schweigend neben
einander gegangen, dann der Eine plötzlich anfing von einem ganz entlegenen Gegenstande
zu reden, der doch derselbe war, über den der Andre sich eben auslassen wollte. In
<XCV:> Prag nahmen wir zwei Zimmer neben einander in einem Privathause, wenig
Häuser von der Moldaubrücke an der kleinen Seite einem Kaffeehause gegenüber. Hier
wohnte ich mich in Kleists Gedichte ein, von welchen mir bis dahin das Bruchstück
des Robert Guiskard (Phöbus, April 1808) besonders nahe getreten war; jetzt that sich die
Handschrift der Herrmannsschlacht vor mir auf, mit Allem was sie Großes, Wildes, Herz und
Nieren Ergreifendes, zu Zeiten auch Empörendes an sich hat. Häufig mußte ich ihm aus
seinen Sachen vorlesen, ich lasse es dahin stehen ob aus demselben Grunde den er einmal
gegen Hartmann geltend machte, wie dieser mir erzählt hat: Sie lesen so entsetzlich
schlecht, lieber Hartmann, daß wenn meine Sachen mir dann noch gefallen, sie gewiß gut
sein müssen. Genug ich machte häufig den Vorleser, auch wenn Andere dabei waren;
denn Kleist selber ging ungern daran, weil er bei seiner bedeckten Stimme und seiner Hast
leicht ins Stottern gerieth, allein einzelne Stellen las er mit einem so unwiderstehlichen
Herzensklange der Stimme, daß sie mir noch immer in den Ohren tönen. Als z. B. die
Stelle:
Wir litten menschlich seit
dem Tage,
Da Varus bei uns eingerückt,
Wir rächten nicht die erste
Plage,
Mit Hohn auf uns
herabgeschickt;
Wir übten nach der Götter
Lehre
Uns durch viel Jahre im
Verzeihn;
Doch endlich drückt des
Jahres Schwere,
Und abgeschüttelt will es
sein.
Mit den Leuten, welche Briefe schreiben und geheime Boten schicken, um das Vaterland zu
retten, war von dem ungeduldigen Dichter der Tugendbund gemeint. Nichts irriger als
Thusnelden wie ein verfehltes Ideal zu fassen. Kleist pflegte wohl zu sagen: sie ist
im Grunde eine recht brave Frau, aber ein wenig einfältig, wie die Weiberchen sind, die
sich von den französischen Manieren fangen lassen. <XCVI:>
Kleist verschmähte auch das
Unschöne nicht, sobald es nur seine Wirkung that. Manchmal zwar wollte er nach der
leidigen Berliner Art auch imponiren, was seine Gediegenheit am wenigsten nöthig hatte,
zerhackte auch wohl seinen Dialog, weil er sich von dem raschen Redewechsel Wirkung
versprach. Am wenigsten sagten mir die nachtwandlerischen und mit dem Magnetismus
geschwängerten Ingredientien in einigen seiner mir sonst lieben Dramen zu, und auch aus
dem herrlichen Kohlhaas, in dem sich des Dichters Charakter treu abbildet, wünsche ich
Einiges verwandter Art hinweg. Hartnäckig und starr, wie Kleist von Grund aus war, gab er
mir übrigens niemals Recht in meinem Tadel; und ich gestehe es, ich vermag noch diesen
Tag nicht wohl einzusehn, daß wir durch den Genuß der Früchte eines reichen Geistes das
Recht erwerben, diesem zum Dank seine Wohlthaten zu verleiden, indem wir ihm die
Mißgriffe, die er allenfalls begangen hat, beharrlich vorwerfen. Wie dem denn sei, ich
ließ gewöhnlich nach einigem Gebalge ab, beruhigte mich und hielt zu ihm, glaube auch
noch diesen Tag, daß wenn die Witterung des Glückes diesem ungeduldigen Geiste nicht
ausgeblieben wäre, wir in Heinrich v. Kleist einen dramatischen Dichter besäßen, wie er
dem deutschen Charakter gerade noth thäte, kein Sänger des Polsters und der genialischen
Ruhe, aber kühn und mit Leidenschaft in die Tiefen des Weltwesens dringend. Kleist hatte Feldzüge und ernste, nicht blos dilettantische
Universitätsstudien gemacht, das habe ich aus seinen Collegienheften gesehn. Sein Wesen
bedurfte des stärkenden Hintergrundes eines gehobnen Vaterlandes, und in Ermangelung
desselben, schwächlichen Velleitäten gegenüber, warf er sich manchmal in Träume, die
am Ende doch nicht leerer sind als der geheimnißvolle Thurm im Wilhelm Meister.
Wie die Zeit weiter ging,
beschlossen wir nach Wien zu reisen und bedachten nicht daß der Sieger von Regensburg
schneller als wir sein werde. In Znaym trafen wir den preußischen Obristen <XCVII:>
v. Knesebeck, denselben der hernach zu den höchsten militärischen Würden
stieg. Knesebeck war damals mit geheimen Unterhandlungen seines Hofes betraut, die durch
den Erzherzog Karl von Oestreich gingen, die aber von Anfang her keinen Erfolg
versprachen. Die Nicht-Oestreicher fanden sich damals leicht zusammen und so pflegten wir
ziemlich zahlreich zusammen zu frühstücken. Das führte zu einem eigenthümlichen
Ereigniß. Eines Tages hatte ich auf einem Spaziergange mit Kleist mir ein Paar Pistolen
gekauft; weil noch etwas daran zu repariren war, wurden sie erst Abends bei Lichte
überbracht. Sogleich machte sich Kleist darüber her und fing an zu laden. Vergebens rief
ich ihm zu: Lassen Sie das lieber Kleist, ich bedarf jetzt keiner geladenen Pistolen
und wir haben im überfüllten Gasthofe nicht einmal einen Verschluß dafür. Aber
Kleist war nicht der Mann, der sich so leicht in Güte von etwas abhalten ließ; die
geladenen Pistolen blieben die Nacht im Gesellschaftszimmer liegen. Am nächsten Morgen
wie wir gerade beim Frühstücke sind, ergreift ein junger Officier, der dem Obristen v.
Knesebeck beigegeben war, das eine Pistol, spannt den Hahn und drückt ab; die Kugel ging
mir gerade an der Schläfe vorbei. Der bestürzte Officier wandte sich zu mir:
Gottlob, Sie sind unverletzt. Da rief Knesebecks Stimme plötzlich dazwischen:
Aber Gotts Donnerwetter ich habe es gekriegt. Die Kugel haftete ihm in der
Schulter und der gleich herbeigerufene Chirurg vermochte sie nicht herauszubringen.
Knesebeck war sonst politisch nicht so recht unser Mann, aber bei diesem Vorgange benahm
er sich durchaus in edler Weise. Da zufällig eine Wäscherin sich im Zimmer befand, so
war die aufgeregte Behörde leicht überzeugt, daß hier von keinem Duell die Rede
gewesen, und wir verurtheilten uns selbst in eine Polizeistrafe.
Kleist
und ich trieben damals eifrig das Kriegsspiel, welches gerade durch den auch in unserm
Kreise verkehrenden Hauptmann Pfuel, jetzigen Generallieutenant und Staatsminister
a. D. sehr <XCVIII:> verbessert worden war. Wir thaten das zum gewaltigen
Aerger Knesebecks der, als wir uns einmal unartig genug durch seinen Eintritt gar nicht
stören ließen, uns nun auseinandersetzte, wie hier gerade Alles fehle was das Wesen des
Kriegs ausmache. Kleist erwiederte auf jede dieser Ausstellungen: Es ist aber Alles
darin, lieber Knesebeck. Als nun die Reihe auch an die Verproviantirung kam und
Kleist es an denselben Worten nicht fehlen ließ, rannte Knesebeck mit den Worten:
Na so hole Sie denn der Teufel grimmig zur Thüre hinaus.
Kleist verstand etwas vom
Kriegswesen, ich nichts; aber seine jähe Hitze machte mich vorsichtig und so zog ich mich
ganz leidlich aus der Sache. Wir saßen gerade eines frühen Morgens bei unserm Spiele in
Stockerau, als der Gastwirth zu uns mit den Worten eintrat: Was, meine Herren, Sie
sitzen beim Spiele und hören nicht, daß die Schlacht angefangen hat? Es war die
von Aspern. (21. Mai.) Da warfen wir denn freilich Alles zusammen. Den Tag nach der
Schlacht besuchten wir das Schlachtfeld; der Wirth gab Pferde und Wagen her und fuhr uns
selbst. Wie leichten Herzens fühlten wir uns inmitten dieses Anblicks der grauenvollen
Zerstörung. Ich verwahre noch jetzt einen Brief, den ich einem todten Franzosen aus der
Tasche zog; er war an seine Eltern gerichtet. Niemand störte uns in unsrer Wanderung
über das Schlachtfeld; wir befanden uns gerade der Lobau gegenüber, als ich den
unglücklichen Einfall hatte einen Bauer, der Kugeln sammelte, zu fragen: ob die Franzosen
hier wo eine Brücke gehabt hätten, oder ob man den schmalen Arm durchwaten könne? Der
ehrliche Mann mochte die Frage so verstehn, als ob ich Lust hätte auf diesem Wege zu den
Franzosen, die noch auf der Lobau standen, zu kommen; kurz er hielt es für seine Pflicht,
Anzeige von den beiden verdächtigen fremdredenden Fußgängern zu machen, und da sahen
wir uns denn ziemlich bald nicht blos unserer Pässe befragt, sondern in förmliche
Untersuchung ge- <XCIX:> nommen. Hunderte von Soldaten strömten herbei, die
einander zuriefen, man habe ein paar französische Spione gefangen. Da machte es mich nun
wahrhaft ingrimmig als Kleist von seinen Gedichten hervorzog und namentlich das vom Kaiser
Franz ein paar Officieren reichte. Diese tapfern ehrlichen Leute betrachteten jedes
politische Gedicht als eine unberufne vorwitzige Einmischung, und als sie nun vollends
hinter Kleists Namen kamen, machten sie mit einer unglaublichen Geringschätzung der
preußischen Waffenthaten ihm geradezu die Uebergabe von Magdeburg durch seine Verwandten
zum Vorwurf. Als wir nun in die Ueberreste von Aspern kamen, wo in der halbzerstörten
Apotheke ein Protokoll aufgenommen ward, gestaltete sich die Sache dadurch wirklich
verdrießlich für uns, daß Pferde und Wagen, von denen wir gesprochen hatten, sich
nirgend vorfanden. Der Besitzer entschuldigte sich später gegen uns mit der Ausrede, man
habe sein Gespann zur Fortschaffung der Leichen benutzen wollen; da sei er rasch davon
gefahren. Das Ende war: wir wurden ins Hauptquartier des Marschalls Grafen Hiller nach
Neustädl gebracht, und obgleich dieser sich gleich zurecht fand und uns mit sehr gütigen
Worten empfing, nur daß er unsre Wanderung auf ein frisches Schlachtfeld hin etwas
verwegen fand, mußten wir uns doch entschließen, todtmüde wie wir waren, unser
nächtliches Unterkommen noch eine gute Strecke weiter im Dorfe Kageran zu suchen.
Nachdem der Krieg verloren
war, trennten die Freunde sich mit schwerem Herzen. Kleist ging nach
Berlin, wo er sich kalt und immer kälter fühlte und, wie ich fürchte, selbst mit seinem
Auskommen zu kämpfen hatte. Als mir die Aussicht an der Kieler Universität als Professor
angestellt zu werden aufging, schrieb ich von Kopenhagen an Kleist und machte ihm den
Vorschlag zu mir nach Kiel zu kommen und mit mir in einer bescheidenen Gemeinschaft der
Güter zu leben, ungefähr wie wir es in Oestreich gehalten hatten. Mei- <C:> nen
Grundgedanken kannte er, es müsse mit der Napoleonischen Herrschaft, wenn man nur
ausharre, schließlich zusammenbrechen. Diesen Brief hat Kleist nie erhalten; es wurden
damals in Kopenhagen alle Briefe ins Ausland polizeilich gelesen; so gab ich ihn einem
jungen Gelehrten mit, der später seinen Reiseplan geändert und mir den Brief
zurückgeschickt hat.
Kleist erlag seiner düstern
nagenden Hoffnungslosigkeit, seiner Verzweiflung am Vaterlande, so viel ich irgend weiß,
keiner andern Leidenschaft. Sein Tod hat eine Lücke in mein Leben gerissen, die niemals
ausgefüllt ist.
Briefort und -datum ergänzt nach: Antiquariat Martin Breslauer (Berlin), Auktion am
18./19. 5. 1914; Katalog: Autographensammlung aus dem Besitz von ERICH SCHMIDT nebst
seiner BILDERSAMMLUNG zur Deutschen Literaturgeschichte und andere Beiträge, Nr. 475
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