Erich Schmidt,
Arnim an Iffland, in: Allgemeine Zeitung
(München), 17. 1. 1907, Nr. 14, Beilage, 99f.
Arnim
an Iffland.
Ew Hochwohlgeboren
übersende ich einliegenden
dramatischen Versuch, er ist ursprünglich für ein Puppentheater
geschrieben und taugt seiner innern Einrichtung nach schwerlich
für irgend eine andere Bühne, nach dieser Voraussagung werden
Sie mich von jeder heimlichen Absicht frey sprechen, ihn durch
bescheidne Bitte zur Aufführung einschwärzen zu wollen, er
ist durchaus nur der Lesewelt übergeben, und Ihnen
als dramatischen Dichter, der unsre Zeit in mancher Richtung
dargestellt hat, nicht als Schauspieldirecktor empfohlen.
Ich kann bey dieser Gelegenheit einige schmerzliche Gefühle
nicht unterdrücken, die mir durch Zusammenstellung manches
Zuges Ihres früheren Lebens, das ich theils aus der Einleitung
zu Ihren Werken theils aus dem mir einst gefällig zugesendeten
Manuscripte kennen gelernt habe, woraus so viel reiner Drang
für den Fortschritt der Kunst hervorgeht, wenn ich diese Züge
verbunden mit mancher Aeusserung in Ihrem Almanache über die
Schwierigkeiten Ihrer Amtsführung, insbesondre mit einigen
Aeusserungen in einem Briefe an meinen Freund Müller, mit
denen Klagen zusammenhalte, die ich entweder selbst gegen
Sie schon heimlich geführt habe, oder öffentlich von andern
habe hören müssen. Ich verkenne so wenig Ihr Talent, wie Ihren
Wunsch zu nützen und die rastlose Thätigkeit mit der Sie in
Ihrem Geschäfte fortwirken ist mir ehrenwerth, um so deutlicher
werden mir aber als parteilosen Zuschauer einige Mißverständnisse
und einzelne Umstände, die zu Differenzen, die endlich die
ganze Stadt in Bewegung setzen, die Veranlassung geworden
sind; es war sogar meine Absicht vor einem halben Jahre, aus
Eifer für die Sache, Ihnen einige derselben mündlich auseinanderzusetzen,
aber ich hatte nie das Vergnügen Sie zuhause zu treffen. Diese
Schwierigkeit Ihnen einzelne wohlgemeinte Bemerkungen
über das Theater zur Prüfung mitzutheilen worüber gar
viele klagen die sich für das Theater interessiren, ist ein
Hauptgrund dieser Mißverständnisse, unmöglich wäre es Ihnen
freilich eine Unzahl überflüssiger Bemerkungen mit nützlich
anzuwendender Zeit zu erkaufen, aber liesse sich nicht ein
Mittelweg erfinden, etwa die Herausgabe eines Wochenblats
für das Theater mit dem beygefügten Repertoir für die Woche,
worin die schriftlich eingesendeten Bemerkungen, die einigen
Werth hätten, theils ganz, theils im Auszuge mitgetheilt und
berichtigt würden. Noch ein näherer Grund bestimmt mich, Sie
auf diesen Vorschlag aufmerksam zu machen, es ist der gänzliche
Censurdruck unter welchem in Hinsicht des Theaters jezt die
öffentlichen Blätter schmachten, der endlich nothwendig in
öffentliches Lermen ausartet. Vielleicht wissen Sie Selbst
nicht, wie weit dieser Druck geht, der alles übertrifft, was
in irgend einem Lande an Zwang dieser Art getroffen wird und
wovon, freilich mit Unrecht, von den meisten das Gehässige
auf Sie geworfen wird; um so edler würden Sie als Herausgeber
eines Blattes auftreten, das jede anständige Freyheit des
Tadels, jeden guten Scherz, der selbst das eigne Werk trifft,
ruhig mittheilt um dem Schönen einen vorurtheilsfreyen Eingang
zu gewinnen. Die Policey ist bis zum Wahnsinn, (der alles
auf eine fixe Idee bezieht) ängstlich geworden in allem was
das Theater betrifft, so wurde ein ganz unschuldiger, aber
an sich nicht unnützer kleiner Aufsatz von mir für die Abendblätter,
worin ich nach und nach eine Reihe guter Stücke nennen wollte,
die den Bedingungen entsprächen die Sie Selbst für die Aufführbarkeit
aufgestellt haben, verworfen; ich glaubte einer Zeit,
wo der Andrang des Neuen so mannigfaltig und doch häufig so
unzweckmässig ist, mit dieser Auswahl einen wesentlichen Dienst
zu thun. Ich fing mit Contessas neuesten Stücke Der
Fündling an, eine so ganz für das hiesige Theater gedachte
Arbeit, daß in Paris und London die Theaterdirecktoren von
einem Schriftsteller, der sich so gewandt dem Bedürfnisse
wie der Poesie anzuschmiegen weiß, täglich etwas Neues erschmeicheln
würden. Bey dieser Gelegenheit wird es nothwendig zu erinnern,
daß zwischen dem Andrange der Dichter einiger Unterschied
gemacht werden müste; ein Dichter, dessen näheres Vaterland
unser Staat, oder gar unsre Stadt ist hat ein näheres Recht
mit seinen Werken zugelassen zu werden, als ein fremder Dichter,
der an einem Andern Orte sein Leben und seine Verhältnisse
begründen kann, sein Werk ist auch ein Theil des Volkes, dem
das ganze Schauspielhauß erbauet ist. Wenn aber nun gar so
ein Dichter schon einiges mit Beyfall der Bühne übergeben
hat wie Contessa, Robert (beyde kenne ich nur von Ansehen)
u. a., wie muß es ihn kränken <100:> gegen
ganz talentlose Arbeiten, wie einige der Mad: Weissenturn,
die weder die gemeinste Neugierde, noch irgend eine höhere
Anforderung befriedigen, [sich] zurückgesetzt zu sehen. Warum
soll es unsre Nationalität nicht kränken, daß Tiecks ungemeine
Anlage für das Dramatische so gar nicht benutzt worden ist,
wie sollen wir es erklären, daß ein Stück wie Blaubart, das
mit geringen Veränderungen in jedem Privattheater gefällt,
durchaus nicht gegeben wird; auf dieses Stück, auf die Art
der Veränderung, die es fordert, wollte ich in der Fortsetzung
meines Aufsatzes besonders aufmerksam machen; selbst Tiecks
Berneck, blos als ein Ritterschauspiel im gemeinsten Sinne
betrachtet, ist doch viel mannigfaltiger, schauerlicher und
unterhaltender als irgend ein Werk der Dame Weissenthurn,
Klingemann. Ferner hatte ich vor von Footes lustigen
kleinen Stücken zu reden, von denen einige unsrer Zeit und
Bühne noch vortreflich anpassen und die sehr brav übersetzt
sind. Ferner hatte ich vor Hrn. Pauli, dessen Aufsatz im Almanach
übrigens viel Gutgesagtes enthält, eigentlich zu zeigen, was
das Publikum mit der Forderung alte Masken zu sehen, sagen
will, nämlich nicht wie er meint, jezt statt der belebten
Gesichter todte Masken getragen zu sehen, sondern durch den
geringen Aufwand für einige alte Masken, sich eins der besten
alten Lustspiele und Trauerspiele vergegenwärtigt zu sehen,
was blos als Neuigkeit eine grosse Masse von Menschen an die
Kasse locken müste. Sie sehen aus dem Wenigen, (die Reihe
von braven vergessenen Stücken ist aber sehr groß) daß ich
nichts für mich, aber manches für das allgemeine Beste mit
dem Aufsatze wollte, es schien mir Pflicht jedes weniger Beschäftigten,
öffentliche Behörden, deren Zeit beynahe ängstlich vom täglichen
Andrange weggezehrt wird, auf manches, was ihrer Aufmerksamkeit
entgeht aufmerksam zu machen, das alles wird aber allmälig
in dem Preßzwange unmöglich und diese einzelne Erfahrung ist
mir nur ein Zeichen der allgemeinen Unglücksfälle, vor denen
Theater und Critick, Dichter und Schauspieler als Abkömmlinge
einer besseren Zeit verschwinden; leider ist jezt die Zeit,
wo die leichtsinnigen Zerstörer der Einrichtungen von Jahrhunderten
vor einen Paar gedruckten freyen Worten erbeben, so ist Napoleon,
so sind alle die ihm nachgefolgt, ich aber rufe mir zum Troste
mit jenem Holländer: Was von Gott angefangen, das wird mit
Gott endigen, was aber vom Teufel ausgegangen, das wird mit
dem Teufel untergehen: Sie verzeihen mir, daß
ich von dem heitern Kreise der Bühne auf einmal in die gewaltsame
Staatswirthschaft unsrer Tage übergegangen bin, aber so gänzlich
übergegangen bin, daß ich mit meinen Gedanken nicht wieder
dahin zurückfinden kann. Schließlich, indem ich Ihnen meine
Unpartheilichkeit gegen M. Herbst dadurch versichere,
daß ich weder bey der ersten noch zweyten Vorstellung der
Schweizerfamilie gegenwärtig gewesen bin, kann ich Ihnen meine
Verwunderung nicht verbergen, daß solch eine Aeusserungen
[aus Aeusserung] des Mißfallens, wie sie selbst in dem tirannisch
regierten Paris so häufig sind, von Ihnen so bedeutend geachtet
werden können, um Sich einem Volke entziehen zu wollen, das
Ihnen so viele Zeichen von Achtung und Dankbarkeit für den
mannigfaltigen Genuß gegeben hat, den Sie ihm durch Ihre Kunst
gewährten, empfangen Sie einen geringen Beweis davon in der
Versicherung meiner Hochachtung.
Berlin d 6 Dec 1810.
Lud:
Achim von Arnim.
Dieser mir
durch die Güte des Herrn Generalintendanten v. Hülsen
zur Veröffentlichung überlassene lange und bedeutende Brief
muß um so willkommener sein, als Arnim selbst 1817 im Gubitzischen
Gesellschafter Ifflands sehr eingehende Antwort
vom Silvestertag abgedruckt hat (wiederholt in J. M.
Wagners Archiv für die Geschichte deutscher Sprache
und Dichtung, Wien 1874, S. 313ff.) unter der Ueberschrift:
Das Unglück eines Theater-Direktors. Einleitend
spricht er sein Bedauern aus, den ausgezeichneten Mann persönlich
nur wenig gekannt zu haben, rühmt, wie er es brieflich getan,
die ihm auf ein Gespräch über Autobiographien hin zugesandte
Jugendgeschichte (neben Meiner theatralischen Laufbahn
1798) und sucht, nach unbefangener Erinnerung an den zwischen
Iffland und dem Publikum entbrannten Krieg, die Linien seines
Schreibens nachzuziehen. Die Korrespondenz Adam Müllers und
Ifflands ist unbekannt. Der einliegende dramatische
Versuch war das teils so lebensfrische, teils so abstruse
Doppelspiel Halle und Jerusalem (1810)
Iffland beginnt schmeichelhaft: Ich danke Ihnen sehr
für die Mittheilung Ihrer Dichtung, deren Genialität ich so
vollständig anerkenne, als vollständig sie mir Vergnügen gemacht
hat. Sie werden, wenn Sie es wollen, nach sechs Jahren etwa,
etwas herrliches für die Bühne liefern, weil Sie alsdann von
dem, was Ihnen jetzt Zwang zu seyn dünkt, Manches beobachten
werden, ohne der Kraft und Charakterzeichnungs-Festigkeit
weh zu thun, welche Sie in der That reichlich besitzen.
Dieses sauersüße Lob will Arnim nicht streichen, denn sein
auch uns ermahnender Grundsatz lautet: Das Vollständige
und Unveränderte in der Bekanntmachung von Briefen der Verstorbenen
scheint eine heilige Pflicht. Er schließt die Vorrede
mit der Bemerkung: Ob Alles beantwortet worden, was
mein Brief enthielt, weiß ich nicht mehr anzugeben; ich meine
aber, daß ich noch Mancherlei, vielleicht auch etwas zu Gunsten
Kleists geäußert habe, der uns wahrscheinlich erhalten
wäre, wenn das Theater sein Talent nicht zurückgewiesen hätte.
Die Antwort zeigt deutlich den guten Willen des Verstorbenen,
allen Anforderungen zu genügen, aber auch die Ueberladung
mit Geschäften und den Ueberdruß gegen das, einem Direktor
nothwendigste aller Geschäfte: mit der unruhigen mitlebenden
Schriftstellermasse in steter Bekanntschaft und Wechselwirkung
zu bleiben.
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