Johann George
Scheffner, Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben
(Königsberg: Universitätsbuchhandlung 1821), 237f. (Anm.)
Charakterisierung Kleists
Im Jahr 1805, war Heinrich von Kleist, der <238:> nach
Verlassung des Kriegsdienstes in Begleitung seiner pyladischgesinnten klugen Schwester in
Frankreich und Italien gewesen und von seinem Gönner, dem Minister von Hardenberg, zur
Ausbildung im Finanzfach nach Königsberg geschickt war, oft in meinem Hause. Da in seinem
Aeußern etwas Finsteres und Sonderbares vorherrschte, so gab ein Fehler am Sprachorgan
seinem Eifer in geistreichen Unterhaltungen einen Anschein von eigensinniger Härte, die
seinem Charakter wohl nicht eigen war. Wie ein der Meerestiefe entsteigender Taucher sich
wenigstens in den ersten Augenblicken nicht auf alles Große und Schöne besinnt, was er
in der Wasserwelt gesehen, und es nicht zu erzählen vermag, so schien es bisweilen bey
Heinrich von Kleist der Fall zu seyn. Tiefsinn und Begeisterung, sich allein
überlassen, bringen ihre Entwürfe oft nicht zur Vollendung. Dieses beweisen die vielen
hochgenialen Stellen in den Kleistischen Schriften und aus seiner zu sorglosen Hingebung
an jene treffliche Eigenschaft läßt sich vielleicht die wunderlich tragischromantische
Lebensbeendigung erklären, zu der sich dieser junge edle Mann, der ein
Meisterschriftsteller Deutschlands hätte werden können, entschloß.
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