Karl-Wolfgang
Sanders, Neue Funde zur älteren Harzliteratur, in: Harz-Zeitschrift 29 (1977),
119-123; darin: 122f.
2. Heinrich von Kleist in der Bielshöhle 1798.
Neben dem Brocken waren die Bergwerke im Oberharz und die Höhlen bei Rübeland im 18. und
beginnenden 19. Jahrhundert die Hauptanziehungspunkte für Harzreisende. An allen
drei Stellen wurden Fremdenbücher geführt, in die sich die Besucher eingetragen haben.
Wenn sich auch von diesen nur sehr wenige erhalten haben, so liegen doch etliche im Druck
vor. Diese bilden für die Personengeschichtsforschung eine bislang nur ungenügend
genutzte Quelle.
Zu nennen sind hier die
Jahrbücher des Brockens 1753-1790 (1791), die Jahrbücher der Bielshöhle 1788-1796
(1796) u. 1796-1803 (1803) und die Jahrbücher der Baumannshöhle 1801-1804 (1809).
Von diesen waren die Jahrbücher der Bielshöhle 1796-1803 bislang nur aus
E. Schulzes Repertorium der geologischen Litteratur über das Harzgebirge, Berlin
1912 bekannt, dem offenbar aber auch kein Exemplar vorlag, da er diesen Titel nach einem
Antiquariats-Katalog zitiert.
Dieser überaus seltene Druck
mit dem Titel:
Die Jahrbücher der
Becker-Biels-Höhle oder Verzeichnis derer, welche die Becker-Bielsteins-Höhle befahren
haben. Vom Jahre 1796 bis 1803. Hrsg. von Heinrich Ludwig Lehmann.
Auf Kosten des Steigers
Christian Friedrich Becker gedruckt bey Valentin
Hessenland. o. O. o. J.
konnte jetzt ebenfalls in der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt in
Halle/Saale unter der Signatur: AB 56 660 festgestellt werden\6\.
Das Buch gewinnt im
Kleist-Gedenkjahr 1977 deshalb besonderes Interesse, weil sich darin neben den
Eintragungen einiger anderer bekannter Persönlichkeiten wie S. T. Coleridge
(14. Mai 1799), Horstig (13. Sept. 1800) Lud. v. Arnim (18. Sept.
1800), Eberlein (19. Sept. 1801), unter dem 18. Juni 1798 (S. 66/67) auch
eine solche von Heinrich von Kleist mit einem bisher nicht bekannten Gedicht findet. Die
Eintragung lautet: <123:>
Hier von der Welt geschieden,
Im Tempel der Natur,
Hier find den wahren Frieden
Des Wandrers Seele nur.
Frey von der Sinne Ketten,
Von niedrer Ehrsucht frey,
Wollt ich zu dir mich retten
Du traute Siedeley.
An deines Altars Stufen,
Ruf ich zum Schöpfer dann,
Der aus dem Nichts gerufen,
Mir zeigte deine Bahn.
In deinen dumpfen Hallen,
In deiner kühlen Gruft
Wollt ich in Staub zerfallen,
Bis mich mein Engel ruft.
Nach der Rückkehr aus der Höhle.
Lieut. v. Kleist.
" v. Barzie.
" v. Löwe.
" v. Mirbach. Vom
Reg. Garde aus Potsdam.
Neben den bekannten Harzreisen\7\ von 1797 mit den
Freunden Karl von Gleißenberg, Hartmann von Schlotheim und Otto Rühle von Lilienstern
und von 1801 mit seiner Stiefschwester Ulrike wird hier somit der Hinweis auf eine
weitere, bisher unbekannte Harzreise gegeben.
Wie aus der Rangliste der
Königl. Preußischen Armee für das Jahr 1798\8\ hervorgeht, dienten damals beim Regiment Garde
(Nr. 15.) in Potsdam u. a. der
Sec. Lt. v. Mirbach
" " v. Gleissenberg
" " v. Kleist
" " v. Barße
" " v. Löwenfeldt
Fähnr. v. Rühle.
und beim Regiment des Königs (Nr. 18.) ebenfalls in Potsdam u. a. der
Sec. Lt. v. Schlotheim.
Während v. Kleist und v. Mirbach somit einwandfrei nachgewiesen werden konnten,
dürfte es sich bei v. Barzie um v. Barße und bei v. Löwe um
v. Löwenfeldt handeln, da Offiziere mit den erstgenannten Namen sich nicht
nachweisen lassen, die falsche Wiedergabe der Namen aus dem Höhlenbuch daher auf
Lesefehlern beruhen werden. Es ergibt sich somit, daß Heinrich von Kleist auch diese
Harzreise mit Regimentskameraden unternommen hat, wenn auch diesmal mit anderen als bei
der vorhergehenden. Im Gegensatz zu letzterer haben wir aber für die des Jahres 1798
durch die Eintragung in das Höhlenbuch ein festes Datum. Dabei ist es als sicher
anzunehmen, daß entweder vorher oder nachher, auch eine Brockenbesteigung stattgefunden
hat. Leider ist ein Nachweis nicht möglich, da ein Brockenbuch aus diesem Jahre nicht
erhalten ist und die Bekanntgabe der Brocken-Besucher im Wernigeröder Intelligenz-Blatt
erst mit dem Jahre 1808 einsetzt.
(Wird fortgesetzt.)
\6\ Das Titelblatt trägt auf der Rückseite den
charakteristischen Namenszug des Gräflich Stolberg-Wernigerödischen Archivars und
späteren Regierungsdirektors Christian Heinrich Delius, dessen umfangreiche Bibliothek
nach seinem Tode im Jahre 1840 in den Besitz der Gräflichen Bibliothek überging, wie aus
dem Stempel auf der Vorderseite des Titelblattes zu ersehen ist. Nach dem zweiten
Weltkrieg gelangte das Buch mit anderen Restbeständen der früheren Fürstl.
Stolbergischen Bibliothek zu Wernigerode in die Universitäts- u. Landesbibliothek
Sachsen-Anhalt in Halle (Saale).
\7\ Siehe W. Gresky, Heinrich von
Kleist und der Harz. In: Harz-Zeitschrift, Jg. 22/23 (1970/71),
S. 159-172.
\8\ Berlin, bey Christian Friedrich Himburg,
S. 6 u. 8. Benutzt wurde das Exemplar der UB Heidelberg, Signatur:
L 3401 6/50 (verw. bei L 3401 3).
Emendation
hervorgeht] hergeht D (Trennungsfehler)
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