Sigismund Rahmer und
G. Weisstein, Aus dem Leben Heinrichs von Kleist, in: Sonntagsbeilage zur
Nationalzeitung, Berlin, 15. 5. 1904
Kleists Beziehung zu Hartmann v. Schlotheim
Im Anfange des Jahres 1805 weilte im Hause Marias von Kleist eine Freundin als
Gast, eine Vertreterin des märkischen Landadels. In mehreren Briefen aus dieser Zeit, die
mir vorliegen, berichtet die Dame über ihren Aufenthalt in Potsdam, und in diesen Briefen
finde ich eine Stelle, die auf Kleists Beziehung zu Schlotheim neues Licht wirft, und die
besonders auch der aufopfernden, freundschaftlichen Gesinnung des Dichters das ehrendste
Zeugnis ausstellt. In einem Briefe, der vom 9. April 1805 datiert ist, erzählt sie,
wie sie eines Abends, während eine Angehörige Schlotheims bei ihnen zu Besuch war,
plötzlich und unerwartet durch die Nachricht überrascht werden, daß Schlotheim einen
Selbstmordversuch begangen habe. Kleist Christian von Kleist ist
gemeint ging sofort zu ihm, und nun denken Sie sich unsere Angst, bis er
zurückkam. Wenige Tage später, in einem Briefe vom 12. April, kommt sie noch
einmal auf den Vorfall zu sprechen, und nun berichtet sie wörtlich das folgende:
Mit Schlotheim geht es sehr gut. Er wird fast gar nicht entstellt sein, ist nicht
mehr bettlägerig und vollkommen ruhig und heiter. Ich sage Ihnen nichts von den
Beweggründen dieser Handlung, denn Sie werden nur zu viel darüber hören. Man ist ganz
ärgerlich, daß eine schwache Gesundheit, ein geängstigtes Gemüt, zu solchem
Entschlusse treiben können und würde sich freuen, wenn man eine drückende Schuldenlast,
ein großes Verbrechen entdeckte, denn nur dann würde man diesen Schritt motiviert
finden. Heinrich Kleist ist gleich Mittwoch herübergekommen, als er die
traurige Nachricht erfuhr, und bis gestern Nachmittag, Tag und Nacht bei Schlotheim
geblieben. Diese Gesellschaft hat dem armen Leidenden sehr wohl getan. Ihm hat er sich
ganz geöffnet, der mit ihm gleich empfindet, wodurch er freilich die Menschen sehr
skandalisierte und die arme Kleisten Maria von Kleist sehr
beunruhigte.
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