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Sigismund Rahmer, Heinrich von Kleist als Mensch und Dichter. Nach neuen Quellenforschungen (Berlin: Reimer 1909), 316-321

Ergänzungen und Berichtigungen zu den Kommentaren von Kleists Werken. Prinz Friedrich von Homburg


? den 1. December 1822.
Sie sind ungehalten über unser letztes Schreiben vom 1. November; Sie machen uns Vorwürfe, daß wir darin nur Tadel aussprachen, und – wie Sie sich ausdrückten – den allerwohlfeilsten, den ganz abstrakten, durch kein Beispiel bestätigten Tadel über den Zustand des heutigen Bühnenwesens. Aber schreiben wir denn nicht aus ? und über das daselbst abstrakt existirende deutsche Normaltheater, um das goldene Wort: exempla sunt odiosa streng zu befolgen? Und bedarf es denn wohl der einzelnen Beispiele, wo Schauspiel und Schauspieler ein einziges, großes, nie abreißendes Beispiel durch stetes Nebenbeyspiel bilden? – So könnten wir, uns vertheidigend, noch mancherlei Fragen aufstellen; allein wir wollen das scheidende Jahr friedlich beschließen, wir wollen nachgeben, und – weil es sich der Mühe verlohnt – von einer Thatsache sprechen: von der Aufführung des Prinzen von Homburg auf unserer deutschen Normalbühne. Zuvor aber bitten sie sowohl Sie, als die ungeneigten Leser des Morgenblattes (die geneigten thuen es wohl von selbst) unser letztes Schreiben vom 1. November als ein Vorwort des heutigen zu betrachten; denn es möchte mit einiger Konsequenz aus demselben zu folgern sein, daß <317:> der Prinz von Homburg im Gegensatze jener Stücke, die jetzt der allgemeinen Gunst sich erfreuen, nothwendigerweise von der Allgemeinheit (worunter wir aber nicht das natürlich-gebliebene Publikum verstehen) durchaus verkannt werden muß. Hamburger und Dresdener Zuschriften, und Ludwig Tiek <Tieck> in seiner Vorrede zu Kleists hinterlassenen Schriften haben bereits so ausführlich und gründlich über dieses verkannte Drama gesprochen, daß wir, sowohl Stoff und Behandlung, als auch den Hauptvorwurf, den die unersättlichen Edelmuth-Verspeiser diesem Stücke machen, für bekannt annehmen dürfen. Wir werden also nicht wiederholen, was dort erschöpfend über den Werth und die Mängel dieses Werkes gesagt ist, sondern nur das erzählen, was in unserem Normaltheater vor, während und nach der Aufführung des Prinzen von Homburg vorfiel, und wie sich unsere verehrlichen Komittenten: die Almanachsdichterin und der Kavallerie-Lieutenat, der geadelte Kaufmann, Eulenböck, und die anderen darüber äußerten; und wir berichten auch dieses nur deshalb, weil es schon 1830 historisch-merkwürdig sein dürfte, was man 1822 von einem dramatischen Werke verlangte, und wie solches Heinrich v. Kleist bereits 1809 der Allgemeinheit nicht verabreichen wollte.
Lange hatte sich die Direktion unserer normal-deutschen Bühne gesträubt, den Prinzen von Homburg zur Darstellung zu bringen. Zwar lockend war es genug, ein neues Stück von einem namhaften Autor zu geben, für das man, da es gedruckt war, kein Honorar zu zahlen brauchte, aber es hatten sich der Stimmen zuviel gegen dasselbe und insbesondere gegen die momentane Todesfurcht des Prinzen erhoben, so daß es den Wenigen, die hierüber anders gesinnt waren, äußerst schwer ward, die Direktion zu einem Versuche zu bewegen. Endlich geschah es, und das Haus war überfüllt, meist von Neugierigen, die sich an dem Fallen des Stückes ergötzen wollten; denn beschlossen hatten dessen leidenschaftliche Gegner (schlagfertige Studenten und junge leicht-empfindliche Militärs, aufgehetzt von einigen unglücklichen dramatischen Versuchern) das Werk eines Heinrich von Kleist – auszulachen? – Über dieses Plänchen wurde eben geflüstert, als der alte Maler Eulenböck sich an den geadelten Kaufmann wendete und ihn mit äußerster Höflichkeit bat, ob er nicht die Gnade haben wolle, ihm zu sagen, weßhalb denn eigentlich das Stück ausgelacht werden sollte? „Und das wissen Sie nicht?“ fragte Jener, indem er sich vor Lachen ausschütten wollte, „denken Sie nur! das Stück ist ein Heldenstück, und der Held darin, nach dem auch das Stück heißt, der hat Furcht, Furcht vor dem Tode! Ich begreife garnicht, wie ein Held sich vor dem Tode fürchten kann.“ – Und Sie? fragte Eulenböck trocken. – „Nun ich? Bin ich denn ein Held? Ich bin ja nur ein Mensch,“ erwiederte verlegen der Kaufmann. Und als hierauf Eulenböck meinte, daß demzufolge ein Held das Gegentheil von einem Menschen sei, fiel ihm die Almanachsdichterin lebhaft in die Rede. „Ein wohlfeiles Witzwort, sagte sie, ist noch lange kein Kunsturtheil, und zum Beweise wiederhole ich Ihre eigenen Worte. Ja! ein Held ist das <318:> Gegentheil von einem Menschen; von einem Menschen nämlich im gewöhnlichen Sinne des Wortes. Ein Held ist ein Ideal! und was das Ideal ist, werden Sie doch wohl wissen, da Sie ja selbst Künstler sind. – Ich gebe Ihnen mein Wort, mein Fräulein, antwortete der Maler, daß ich durchaus nicht weiß, was das Ideal ist; ich habe es noch nie gesehen, soweit ich auch gereist bin. – Auch in Ihrer Phantasie nicht? – Daß ich nicht wüßte. – Nun, dann bedaure ich Sie von ganzem Herzen!. – Und ich – gratulire mir dazu; denn das wäre eine wahre Höllenstrafe, wenn mir so zeitlebens das Ideal vor den Augen schwebte, und ich verdammt wäre, es immer wieder und wieder zu kopiren, bis an mein, so Gott will, seliges Ende.“ – Nun ja, rief höhnisch die Dichterin, wer so gern, wie Sie in die gemeine Wirklichkeit sich vertieft und diese abzukonterfeien liebt! Und doch wird der, entgegnete der Maler, der die Wirklichkeit, und selbst die gemeinhin gemein genannte, nur recht wahr und schicklich darstellt, Kunstwerke liefern, und während die zahllose Schaar der Idealjäger, eben weil sie zu dem Übermenschlichen aufsteigen will, tief unter die Wirklichkeit hinabfällt, allwo sie uns dann entweder Schuldigkeit, für Edelmuth oder phantasmagorische mit allen möglichen Tugenden gefüllte Schaumgeschöpfe, für Menschen, für Individuen, für Charactere verkauft. Sehen sich denn nicht alle diese Gespenster gleich; und was kostet es sie, als höchstens einen langweiligen Monolog, um für jede Bagatelle und mit der größten Behaglichkeit sich gerade so abschlachten zu lassen, wie unsereiner ein Hundert Austern isst? – Sie werden uns doch nicht das Ideal nehmen wollen? rief der Verskünstler, – Bewahre der Himmel! entgegnete der Maler schmunzelnd, kann es garnicht brauchen. – Unser praktischer Eulenböck, begann hier der Übersetzer des Aristoteles, drückt sich nur etwas hyperbolisch aus, sonst aber hat er vollkommen recht, denn Aristoteles sagt: Der Dichter solle es nie versäumen, seinem Helden einige – versteht sich kleine – Flecken anzuhängen, und ich setze hinzu, daß uns ja die Natur selbst darauf hinweist, indem selbst die Sonne: das Lichtmeer der Schöpfung, nicht ohne Flecken ist. Aber unsere Romantiker studiren den Aristoteles nicht und ignoriren demnach, was Schrecken erregt, und Mitleid und was Kunst ist und Schönheit. – Aber im Aristoteles wäre wirklich das tiefe Geheimniß der Schönheit gelöset? fragte Eulenböck mit ironischer Verwunderung. – Und das wissen Sie nicht? rief der Übersetzer, und haben doch so manches schöne Werk geliefert! – Blos Meisterwerke, sagte der Maler bescheiden, fremde Meisterwerke. Aber Sie, der Sie ja auch Ihrem Aristoteles ganz genau wissen, wie man die Schönheit künstlich zusammensetzt, warum schreiben Sie denn nicht einmal so eine ganz untadliche Tragödie? – Ist auch schon geschehen, schmunzelte selbstzufrieden der Übersetzer. –
Während dieser Reden hatte der Kavallerie-Lieutenant und der Redakteur der Kunstzeitung sehr eifrig über die Verwerflichkeit des Kleist’schen Dramas gesprochen und sich gegenseitig in allen Stücken recht gegeben. Jetzt aber rief der Lieutenant: Nein, da muß ich bitten, da sind Sie ganz falsch unter- <319:> richtet! In Berlin wird das Stück bestimmt nicht gegeben; ich habe noch gestern einen Brief von dort bekommen, von einem Vetter von mir, und der schreibt, daß in keinem Falle etwas daraus wird. Sehen Sie mal! In einem militärischem Staate, wie Preußen, ist es erstlich ganz unmöglich, einen Offizier auf das Theater zu bringen, der so wenig point d’honneur im Leibe hat, daß er um sein bischen Leben bettelt, das würde unsern ganzen Stand ridikülisiren und das geht nicht. Zweitens aber ist die ganze Sache nicht wahr; der Prinz von Homburg war ein sehr tapferer Herr und ist dafür berühmt in der Geschichte. Drittens soll eigentlich gar kein Vorfahre von hohen Häusern auf dem Theater erscheinen, am allerwenigsten aber, wenn ihn der Dichter so verächtlich darstellt. Das hieße wahrhaftig wenig Ehrfurcht haben vor den hohen Anverwandten des berühmten Helden, wenn man verlangen wollte, daß sie dergleichen ruhig aus der Loge mitansehen sollten. – Und gerade in Berlin sollte dieß Stück gegeben werden! sagte mit ernstem Ton der Publicist, ein ältlicher Mann, der bisher kein Wort gesprochen, sondern eifrig in Kleist’s hinterlassenen Schriften gelesen und viele Stellen mit Bleistift angestrichen hatte. Ja, Herr Lieutenant, fuhr er fort, daß ich ein Preuße bin, wissen Sie; auch daß ich bei schon herangerücktem Alter die Waffen für König und Vaterland ergriff; ich gebe Ihnen überdies mein Wort, daß ich dieses Kreuz nicht beim Gepäcke erworben habe; ich darf mir also wohl ein Urtheil über Muth und militärische Ehre zutrauen, und deßhalb wiederhole ich: Gerade in Berlin sollte der Prinz von Homburg gegeben werden. Denn der erlauchte Held des Stückes ist hier so hoch verherrlicht, wie ihn die Geschichte, die seiner kaum erwähnt, nicht verherrlichen konnte. Gerade, daß ihn der Dichter erst alle Schrecknisse eines gewaltsamen und gewissen Todes und Grab und Verwesung in ihrer ganzen Gräßlichkeit von Angesicht zu Angesicht sehen, und davor zusammenstürzen lässt, erhöht und verstärkt seine spätere Erhebung, seinen Sieg über den ihm wohlbekannten Tod. Wie wenig würde er uns interessieren, wenn er nach hergebrachter Komödiantenweise, vom ersten bis zum fünften Akt das Leben wie Nichts achtete, und jeden Augenblick zu sterben bereit wäre; oder sein Todesurtheil, wie ein französischer Grenadier mit irgend einem prahlerischen Vive! empfinge! Ich kann daher nicht glauben, daß die erlauchten Sprossen des Homburgischen Fürstenhauses, die an dem Berliner Hofe leben, und dort wegen ihres hohen Kunstsinnes mit Recht so sehr gepriesen werden, daß diese jemals von diesem ächt-vaterländischen Stücke unangenehm berührt werden könnten; da es im Gegentheil ihnen gewiß eine hohe Genugthuung ist, ihrer Vorfahren einen so glänzend und von einem so kräftigen Genius verherrlicht zu sehen. – Und doch – begann der Lieutenant etwas weniger sicher als zuvor – doch wird niemals das Stück in Berlin gegeben werden; denn die … Vergeben Sie mir, fiel hier der Publicist ein, ich muß Sie unterbrechen, in der Besorgniß, daß Sie etwas nacherzählen mögten, welches ich – aus Ehrfurcht vor einem schönen und erhabenen Ge- <320:> müthe – nie und nimmermehr glauben werden. Auch bin ich überzeugt, daß man sich beeilen wird, dieses Drama in Berlin darzustellen – und wenn man bis jetzt damit gezögert hat, so geschah dieses aus wahrhaft zarter Rücksicht: man wollte nämlich gerade, weil der Prinz von Homburg ein so ächt-vaterländisches, ja ein so individuell brandenburgisches Schauspiel ist – weder die Stadt dem Vorwurf einer eitlen Vorliebe, noch das Stück einer zweideutigen Aufnahme aussetzen, sondern man erwartete erst das günstige Urtheil der deutschen Nachbarstämme, um ob der partheyischen Begeisterung gerechtfertigt zu sein, die dieses höchst patriotische Werk nothwendigerweise in Berlin erregen muß. – Das ist doch wohl nur eine Vermuthung, sagte ironisch der Verskünstler. – Und doch, ohne auf ihn zu hören, fuhr Jener also fort: Ich müßte einem treu erprobten Volke allen Vaterlandssinn, sein freudig-sicheres Selbstbewußtsein, seinen edelen Stolz auf eine hochberühmte Fürstenreihe und Dankbarkeit und Liebe und Treue absprechen, wenn ich nicht des Enthusiasmus gewiß wäre, den die Darstellung dieses Dramas in seiner Geburtsstadt erregen muß. Denn gesetzt auch, ich gäbe es zu, daß jenes Publikum, welches schon seit langen Jahren mit allen möglichen Arten von komödiantischem Heldenmuth bewirthet und großgefüttert wurde, keinen Geschmack an dem menschlichen Helden dieses Dramas finden könnte, und sich erst den wahren Kunstsinn anbilden müßte, um das Tief-Tragische in jener schreckenerregenden Todesfurcht zu erfassen – so muß schon allein das Bild des großen Kurfürsten, jeden Preußen, jeden Brandenburger zu begeisterter Anerkennung, zu innerem Herzensjubel entflammen. Es ist die Majestät selbst, die hier – nicht etwa durch überschwängliche Bilder und lyrischen Redefluß uns beschwätzen will, an sie zu glauben, wie solches Brauch ist und Behelf in unseren breiten schwächlichen Dramen – nein! es ist die Majestät selbst, die hier mit strahlender Sicherheit, in erwärmender Milde und mit überzeugender Thatkraft, stets groß und edel und immer menschlich und persönlich uns engegentritt. Der müsste kein Herz im Busen tragen, oder kein Preuße, kein Deutscher, ja kein Mitglied irgend eines gesellschaftlichen Vereines sein, der nicht die Freude des edelsten Stolzes empfände, wenn der große Kurfürst, trotz aller Nachrichten, trotz aller Tatsachen einer augenscheinlichen Empörung, nie und nimmer an der Treue seiner Brandenburger nur einen Augenblick zweifelt. Gibt es etwas Rührenderes und Erhabeneres, und das so großartig-naiv wäre, als jener Monolog des Fürsten:

Seltsam! Wenn ich der Dey von Tunis wäre,
Schlüg ich, bei so zweideut’gem Vorfall, Lärm;
Die seidne Schnur legt ich auf meinen Tisch
Und vor das Thor, verrammt mit Pallisaden
Führt’ ich Kanonen und Haubitzen auf. –
Doch weils Hans Kottwitz aus der Priegnitz ist,
Der sich mir nah’t willkührlich, eigenmächtig; <321:>
So will ich mich auf märk’sche Weise fassen:
Von den drei Locken, die man, silberglänzig,
Auf seinem Schädel sieh’t, fass’ ich die Eine,
Und führ’ ihn still, mit seinen zwölf Schwadronen,
Nach Arnstein in sein Hauptquartier zurück.
Wozu die Stadt aus ihrem Schlafe wecken?

Dem Kavallerie-Lieutenant kamen die hellen Thränen in die Augen, als der Publicist jetzt das Buch zuschlug, und also zu sprechen fortfuhr. Und hätte das Stück auch gar keinen Werth, und enthielte es nur diese Szene, so wäre es schon dadurch ein vaterländisches Schauspiel und müsste auf allen Bühnen der preußischen Monarchie gegeben werden; denn diese Eine Rede ist wahrlich ein eben so schönes Monument von dieses Friedrichs Fürstengröße, als dessen bekannte Statue auf der Brücke zu Berlin. Aber auch davon abgesehen, und von der ganzen Erscheinung dieser meisterhaften Charakterzeichnung, so findet sich noch eine andere, in die Augen springende Ursache, welche es den Preußischen Bühnen zur Pflicht macht, dieses Drama auf die Szene zu bringen. Es ist die unnachahmliche Erzählung von Frobens Großthat, von seinem Treue-Tod! „O,“ so beginnt der Dichter:

O lasst die rührendste Begebenheit,
die je ein Ohr vernommen, mich berichten!“

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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