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Sigismund Rahmer, Heinrich von Kleist als Mensch und Dichter. Nach neuen Quellenforschungen (Berlin: Reimer 1909), 190-195

Adam Müllers Beziehungen zu Kleist. Die Berliner Abendblätter


Aber der Aufsatz hat neben den beiden besprochenen Absätzen noch einen dritten, der mit dem Inhalt der vorhergehenden nur einen losen Zusammenhang hat, dessen Steig in der eingehenden Besprechung des Aufsatzes gar keine Erwähnung tut, der für uns aber doch sehr wichtig ist, weil er uns über die eigentlichen Tendenzen Müllers die Augen öffnet. Dieser kurze Schlußabsatz hat den folgenden vielsagenden Wortlaut:
„Je mehr es der besondere Ruhm unserer Zeit ist, daß die Wissenschaften mächtig geworden sind, um so mehr ist es, erstes unter allen Problemen des Staatsmannes sie zu bändigen, das heißt, da er sie braucht und sie sich nicht mehr unterdrücken lassen, sie zu regieren.
Hier gibt Müller ein Programm, das so reaktionär gehalten ist, wie es nicht reaktionärer gedacht werden kann. Die Wissenschaften, die gerade bei der Gründung der Universität so frei und unabhängig gemacht werden sollten als möglich, wünscht er zunächst wie in den katholischen Universitäten des Mittelalters unterstellt der Geistlichkeit, und nicht genug damit auch von der staatlichen Behörde verlangt er als die erste und wichtigste Pflicht, die Wissenschaften, die sie nun einmal nicht aus der Welt schaffen könne, zu beaufsichtigen, zu regieren, in Ketten zu leben und so zu bändigen. Ich frage: das soll im Sinne eines Kleist geschrieben sein? Das soll auch nur die Tendenzen der Männer wiedergeben, welche wir in der Tischgesellschaft vereinigt sehen? Das soll endlich zielbewußte, systematische Opposition gegen Regierung und Staatskanzler sein? Steig <191:> hat, wie bemerkt, diese Erklärung Müllers fortgelassen, und er mußte sie unterdrücken, weil sie eben in den Rahmen einer Darstellung nicht paßt, welche Müller als unabhängigen Mitkämpfer Kleists, als seinen Gesinnungsgenossen, als den unbestochenen und unbestechlichen Gegner Hardenbergs schildert.
Adam Müller und Kleist kämpften Schulter an Schulter – das bedeutet nicht nur, daß sie vor der Öffentlichkeit die gleichen Anschauungen vertraten, sondern auch, daß sie in den Kämpfen, die besonders Kleist nicht erspart blieben, in Reih und Glied stritten, einer für den anderen eintretend. Wir wollen untersuchen, wie weit das zutrifft auf die schweren Konflikte, in welche Kleist besonders gegen den allmächtigen Theaterdirektor und gegen die obersten Staatsbeamten verwickelt wurde. Iffland und Hardenberg, so äußert sich Arnim, hängen wie Rad und Wagenschmiere zusammen.
Ich habe oben (S. 113ff.) bereits den Konflikt Kleist-Iffland berührt, ich habe gezeigt, wie Iffland sich gegen den Dichter in einer ganz unverantwortlichen Weise und gegen alles Herkommen benahm, wie ihm Kleist eine durch die Umstände gerechtfertigte Sottise an den Kopf warf, wie dann bald in den ersten Nummern von Kleists Zeitung ein von Steig nicht mitgeteiltes, schweifwedelndes Huldigungsgedicht auf Iffland erschien. Auf Steigs Darstellung der gegen die Theaterleitung gerichteten Kämpfe Kleists erübrigt es sich hier einzugehen. Geiger\1\ hat bereits den Nachweis erbracht auf Grund authentischen Materials und der Kritik von Steigs Angaben, daß die bei Steig gebotene allgemeine Auffassung des gegen Iffland im Anschluß an die Aufführung der Schweizerfamilie gerichteten Skandals wie die Darstellung im einzelnen unrichtig ist. Am 1. Dezember erging ein Zensurgebot gegen die Abendblätter wie gegen den „Freimütigen“, welches, in der rigorisesten Weise gehandhabt, keinem Theaterartikel für die Abendblätter <192:> das Imprimatur erteilte, und welches sich Kleist vergeblich bemühte aufzuheben oder auch nur zu mildern. Bei diesen Bemühungen, so müssen wir voraussetzen, wurde Kleist, für den es sich um eine Lebensfrage seiner Zeitung handelte, wirksam und tatkräftig von seinen intimsten Freunden und Mitarbeitern unterstützt. In der Tat hat auch wenige Tage nach dem Zensurgebot Arnim und unabhängig von ihm oder wahrscheinlicher mit ihm gemeinsam Adam Müller\1\ eine umfangreiche Eingabe, datiert vom 6. Dezember, an Iffland gerichtet. Man sollte denken, daß dieses Memorandum hauptsächlich im Interesse Kleists abgefaßt, diesem zu Hilfe kommen will und darauf gerichtet ist, die Gegensätze zwischen Kleist und Iffland aus der Welt zu schaffen. Die Darstellung dieses Zwischenfalls bei Steig muß auch unmittelbar den Eindruck hervorrufen, daß Arnims und Müllers Schreiben diese Absicht vor allem verfolgte.
Das Schriftstück selbst ist uns unbekannt, aber wir können seinen Inhalt rekonstruieren aus dem eingehend-sorgfältigen Antwortschreiben Ifflands, welches Arnim im „Gesellschafter“ vom Jahre 1818\2\ (Blatt 57 u. 58) der Öffentlichkeit übergeben hat unter dem Titel „Das Unglück eines Theater-Direktors“. Bei Steig ist Ifflands Schreiben dem Inhalt nach wiedergegeben. Im Original muß manches an der Veröffentlichung Arnims befremden. Zunächst die Sympathie, das Wohlwollen gegen Iffland, welche der ganze Aufsatz verrät, der doch im Leben der verhängnisvollste Gegner von Arnims Freunde gewesen war. Sodann der Umstand, daß in Ifflands Antwort, die sich strikte an Arnims Fragen hält, Kleist nicht mit einem <193:> Worte erwähnt ist. Das könnte sich daraus erklären, daß Iffland, der sich wegen Nichtaufnahme von Dramen Tiecks, Contessas, Roberts, der Frau von Weißenthurn verteidigt, mit Absicht die Stellen in Arnim-Müllers Briefe unbeantwortet läßt, die sich auf ihren Freund Kleist beziehen. Diesen Eindruck bekommt man in der Tat auch durch Steigs Darstellung. Nur daß auch hier Steig einige Worte Arnims unterdrückt, die doch die Affäre in einem andern Licht erscheinen lassen. Arnim hat nämlich, was Steig nicht erwähnt, dem Briefe Ifflands einige einleitende Worte vorausgeschickt. In dieser Einleitung erwähnt er auch mit einigen Worten Kleist. Das ist an sich schon bemerkenswert, denn es ist merkwürdig genug, und ich werde später noch besonders darauf hinweisen (s. S. 219), daß Arnim, wenigstens soweit ich es übersehen kann, niemals wieder auf Kleist zurückkommt und niemals wieder seine Person noch seine Werke bespricht oder beurteilt. Die erwähnte Stelle in der Einleitung hat den folgenden Wortlaut: „Ob Alles beantwortet worden, was mein Brief enthält, weiß ich nicht mehr anzugeben; ich meine aber, daß ich noch Mancherlei, vielleicht auch etwas zu Gunsten Kleists geäußert habe\1\, der uns wahrscheinlich erhalten wäre, wenn das Theater sein Talent nicht zurückgewiesen hätte.“
Wenn bei der Veröffentlichung einer Antwort auf ein Schreiben, in dem er die verdammte Pflicht und Schuldigkeit gehabt hätte, mannhaft für die Interessen seines verfolgten und unterdrückten Freundes einzutreten, Arnim nichts weiter zu sagen hat als: ich habe vielleicht auch etwas zu Gunsten Kleists geäußert, so ist dies nach meinem Gefühl nichts weiter als eine Verlegenheitsphrase, und in dieser nichtssagenden Redensart kommt das Schuldbewußtsein eines Mannes zum Ausdruck, der seinen Freund in mißlichster Lage im Stiche gelassen hat. Andere mögen darüber anders denken, aber soviel ist doch unbedingt sicher, daß die In- <194:> timsten Kleists für ihn keinen Finger rührten, daß Steigs Darstellung nicht der Wirklichkeit entspricht, daß Arnim-Müller unmittelbar, nachdem Iffland den schwersten Streich gegen Kleist geführt hatte, mit ihm in Verbindung traten im eigenen oder anderweitigen Interesse, ohne für Kleist in irgendwelcher Form einzutreten.
Wir kommen zu der zweiten und wichtigeren Frage: wie weit haben die Freunde und im besonderen Adam Müller Kleist Gefolgschaft geleistet und Hilfe angedeihen lassen in seinem Kampfe gegen die Regierung, der in seinen Einzelheiten sattsam bekannt ist aus Kleists Briefen an Raumer, an Hardenberg und den König.
Adam Müller war im Frühjahr 1809 nach Berlin gekommen und hatte sofort alle Hebel in Bewegung gesetzt, um hier Terrain zu gewinnen. Über seine Bemühungen unterrichten uns die Angaben Koepkes (s. Nachtrag II) und die Darstellung bei Steig. Soweit es sich um seine Vorträge „über König Friedrich II. und die Natur, Würde und Bestimmung der Preußischen Monarchie“ handelt, sowie im seine ausführliche und begründete Eingabe an den Geh. Staatsrath und Oberpräsidenten vom 5. Oktober 1809, sind wir genau unterrichtet durch das Material des Geh. Staatsarchivs. Im übrigen stimmen die Angaben Koepkes ziemlich mit denen Steigs überein. Seine persönlichen Beziehungen zu Hardenberg versuchte Müller zunächst durch die Vermittlung seines Freundes Gentz anzubahnen. Schon im Frühjahr 1810 hatte er Gentz um eine Empfehlung bei Hardenberg ersucht. Im Juni erübrigte sich bereits die Empfehlung, wahrscheinlich waren bereits auf anderem Wege persönliche Beziehungen angeknüpft worden. Das geht aus einem Briefe Müllers an Gentz nach Töplitz vom Juni 1810 (Kgl. Bibliothek), der nach mehrfacher Richtung bemerkenswert ist, und den ich hier wiedergebe, weil er in dem gedruckten Briefwechsel nicht aufgenommen ist. Das Schreiben hat folgenden Wortlaut: <195:>
„Mamsell Rahel-Levin-Robert, die ich denn doch endlich, trotz mir selbst, kennen und schätzen gelernt habe, wünscht einige Zeilen an Sie, mein liebster Freund: ich verlasse mich also auf den beweglichen und schmieglichen Verstand dieses kleinen Wundertieres …\1\ sie einst von mir aufgedrängt werden sollte. Gewiß ist, daß nächst mir, niemand Sie besser kennt, als diese Rahel: geistreich ist sie noch heut für tausend andere. Daß ich endlich einmal wieder, seit den höchst unbefriedigenden Zeiten vom 12. April etwas von ihnen zu hören wünsche, können Sie sich denken. Meinen Brief durch Herrn von Arnim haben Sie hoffentlich erhalten: ich bat Sie womöglich um eine Empfehlung bei Hardenberg; wenn Sie es ungern thun oder Ihrer Verhältnisse wegen nicht wohl können, so ist es jetzt auch eigentlich nicht mehr nothwendig.
Was machen denn heuer die Gewitter in Töplitz: hier schwelgen die Winde auf eine mir zwar angenehme jedoch verdächtige Weise zwischen Osten und besonders Norden und Nordwesten umher. Mir ist vor einer Reaktion aus der südlichen schmutzigen und müffigen Seite her im bevorstehenden Sommer bange. Das laufende Jahr wäre eines der ruhigsten und schönsten, wenn es in der zweiten Hälfte sich ebenso ruhig und behaglich nach Westen und West-Süd-Westen herumlegen möchte. Es sind kaum 8 Tage im ganzen Frühling gewesen, wo die Luft meinen decidirten Metall-Geschmack an sich gehabt hätte: die von solcher Unschuld unzertrennliche Kälte hat mir recht seyn können. – Unter allen Winden
Der Ihrige Adam Müller.
den 28. Juni 1810.

\1\ Ein Berliner Theaterskandal 1810 im Archiv für Theatergeschichte S. 66-75.
\1\ In seiner an Arnim gerichteten Antwort, bemerkt Iffland, daß sein Bescheid auch dem Hofrat Müller gilt.
\2\ Bei Steig steht fälschlich 1817. Der Brief ist übrigens noch einmal abgedruckt im „Gesellschafter“ vom Jahre 1845; 118. Beilage. An dieser Stelle wird die ganze Affäre von neuem aufgerollt. Iffland ist hier im Recht, heißt es da. Ein Herr v. M. stand an der Spitze einer Partei, welche ergrimmt war, daß Frl. Herbst, nicht eine von jenen Herren Begünstigte, als „Emmeline“ erschien; und doch war die, welche man durch den Theaterlärm vorzuschieben hoffte, die offenbar weniger Geeignete.
\1\ Im Original nicht gesperrt.
\1\ Hier sind, wie Varnhagen bemerkt, 4½ Zeilen herausgeschnitten; Varnhagen vermutet von Alexander v. d. Marwitz.


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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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