Sigismund
Rahmer, Heinrich von Kleist als Mensch und Dichter. Nach
neuen Quellenforschungen (Berlin: Reimer 1909), 109-115
Friedrich de la Motte Fouqués und Otto Heinrich Loebens Beziehungen zu Kleist
Eine weitere Anzahl von Briefstellen Fouqués beziehen sich auf
Kleists Abendblätter und Kleists letzten Aufenthalt in Berlin. Ich stelle sie zunächst
chronologisch zusammen:
(6)Nennhausen d. 11. Oktober
1810.
Nun noch ein kleines Ernteliedchen auf unsre verewigte
Herrin. Es hat allgemein gerührt, zu meiner großen Freude, und wenn ich es Dir
vielleicht schon im letzten Briefe abgeschrieben habe, so verzeihe die Wiederholung der
Paar Verse.
Brandenburgisches Erntelied\1\
für das Jahr 1810.
Die Halm und Ähren winken
So reich und mild
Die hellen Sensen blinken
Die Garbe schwillt.
Da wollen wir beginnen
Den Erndtesang;
Ach, aber mitten innen
Schallt Glockenklang.
Die Trauerglocke läutet
Vom Thurme her;
Wir wissen, was es deutet:
Sie ist nicht mehr!
Zwei Augen ruhn im Grabe,
So fromm und blau
Und auf die Gottesgabe
Fällt Thränenthau.
<110:>
Heinrich Kleist hat mir darüber und über den beiliegenden Aufsatz\1\ ein höchst inniges und liebevolles Brieflein
geschrieben, auch mich zum Mitarbeiter an seinen Abendblättern eingeladen, die er jetzt
in Berlin mit glänzendem Erfolge herauszugeben anfängt. Ich denke, das Ganze wird sehr
gut; Popularität und dadurch Verbreitung des Rechten, Vertreibung des
Schlechten vorzüglich oder doch zunächst der Iffländereien unseres Theaters
ist der Hauptzweck. Ich werde mich aber wohl nicht sonderlich in die nothwendigen
Bedingungen zur Erreichung desselben schicken können. Du weißt, das ist unter vielen
schwachen Seiten eine meiner schwächsten. Doch will ich thun, was ich kann, weil ich das
Institut sehr achte und liebe. Weißt Du denn schon die herrliche Geschichte
mit Iffland und Kleist? Dieser schickt jenem sein Käthchen von Heilbronn zur
Aufführung ein. Iffland antwortet lange gar nicht. Endlich schreibt ihm Kleist: er möge
ihm das Manuscript zum Behuf einer freundschaftlichen Mittheilung zurücksenden, nachher
stehe es ihm wieder zu Dienste. Dadurch denkt er ihn zu einer Erklärung zu kriegen. Der
grobe Edelmüthige aber wickelt das Manuscript in Löschpapier, und so findet es Kleist
des Abends ohne Billet auf seinem Tische. Tages darauf erfährt Kleist, daß Iffland einem
Dritten gesagt hat: Das Käthchen gefalle ihm nicht, und was ihm nicht gefalle, führe er
nicht auf. Nun wird Kleist grimmig und schickt ihm folgenden Zettel: Durch Herrn Hofr.
Römer erfahre ich, daß Ew. Wohlgeboren mein in Wien am Vermählungstage der
Kaiserin von Frankreich mit Beifall gegebenes Schauspiel, das Käthchen von Heilbronn,
nicht gefällt. Es thut mir Leid, daß es ein Mädchen ist. Wenn es ein Junge wäre,
würde es Ihnen besser gefallen. Heinrich von Kleist. Nun kannst Du denken,
daß Iffland sich zu den Abendblättern böser Dinge versieht, und mit Recht. Vorgespukt
hats schon in den ersten Blättern. <111:>
(7)Nennhausen d. 6. Januar
1811.
Kleists herrliches Lied: Zottelbär und Panthertier kenne ich, d. h. ich
liebe es von ganzem Herzen. Wer könnte anders? Um die übrigen Gedichte will
ich ihn in Berlin bitten.
(8)Nennhausen d. 7. Januar
1811.
Mit den Abendblättern geht es recht fatal; sie sind ein Erisapfel zwischen Hitzig und
Kleist geworden, so daß sich letzterer damit zu Kuhn schreibe Kuhn,
Herausgeber des Freimüthigen!! gewendet hat. Das nimmt mir nun alle Lust am
Mitarbeiten, vorzüglich da das Blatt eine gänzliche Zeitungswendung nimmt. Früher habe
ich mancherlei dahinein gegeben: Reflexionen, Ankündigungen, kleine Novellen oder
vielmehr wohl nur Anecdoten und dergl. m. Der Erfolg dieser mit so günstigen
Aussichten begonnenen Zeitschrift war nicht dem Anfange gemäß. Es war zu früh und zu
viel ernste Staatswissenschaft hinein gerathen. So ging durch viele Blätter ein Streit
über das Verdienst oder Nichtverdienst des seeligen Prof. Kraus in Königsberg den
die mehrsten Leser mich Unstatistiker mit eingeschlossen noch nicht einmal
hatten nennen hören, so daß sich schon viel Unwillen und Witz gegen das Ganze erhob. Um
Kleists Willen, weil er von da eine Sicherung und Erleichterung seiner Existenz hofft,
wünsche ich dem Wesen Bestand und will auch, wenn er es fortdauernd verlangt, Beiträge
liefern, aber diese möchten vor dem sogenannten Bulletin der öffentlichen
Blätter einem Ausgeschreibsel aus den Zeitungen bei der jetzigen
Einrichtung schwerlich viel Platz haben. Wie es eigentlich mit Kleists und
Hitzigs Entzweiung oder doch Entfremdung zugegangen ist, weiß ich nicht genau. Soviel
scheint zu erhellen, daß sich Kleist einigermaßen mißtrauisch und eigensinnig bewiesen
hat und Hitzig vorzüglich über das erstere tiefe Kränkung empfindet. Es thut mir von
ganzer Seele weh. Mußte ein so frisch und gutwillig begonnener Verein nun endlich eine so
schmerzende Rührung herbeiführen! So ist es mit den menschlichen Entwürfen und
Hoffnungen. Wie einer, der in einer fremden <112:> Sprache redet, und sie nicht
versteht, sagen und veranlassen wir oft grade das Umgekehrte von dem, was wir wollten und
meinten!
(9)Nennhausen d. 2. Mai
1811.
Heinrich Kleist erwarte ich in diesen Tagen hier zu sehen. Er hat mir sein neu
erschienenes Lustspiel, der zerbrochne Krug, geschenkt: ein tolles, etwas derbes und
vielleicht zu langes Stück, aber trefflich, voll kerndeutscher Laune, treuherzig, lieb
und herzlichen Lachens Erzeuger. Ich möchte es eher ein komisches Idyll nennen, als ein
Lustspiel. Mit den Abendblättern ist es aus, und wie es recht zusammenhängt
weiß ich nicht, aber Kleist hat Hoffnung, eine Entschädigung dafür vom Staatskanzler zu
erhalten.
Die Berichte und Äußerungen
Fouqués über Kleist und seine Zeitung sind ausführlicher, eingehender und
freundschaftlicher als früher in der Phöbusepoche. Daraus
den Schluß zu ziehen, daß die Intimität der beiden erst aus Kleists letzter
Lebensperiode stammt, wäre ungerechtfertigt. Das längere briefliche Verweilen bei Kleist
bedingt die häufige persönliche Berührung, vor allem aber der Umstand, daß Varnhagen,
jetzt auf Reisen, ein größeres Interesse nimmt an den Ereignissen in der Heimat und
allen literarischen Neuerscheinungen. Der einzige uns erhaltene Brief Kleists an Fouqué
vom 25. April 1811 enthält eine willkommene Ergänzung. Wir erfahren, daß die
Freunde schon lange vor der Veröffentlichung des zerbrochenen Kruges ihre poetischen
Erscheinungen untereinander austauschen. Fouqué schickt an Kleist seine Gedichte (6) und
erhält von ihm die seinen (7) es ist dies besonders wichtig für die
folgenden Untersuchungen.
Zum ersten Male bekommen wir
in Fouqués Briefe (6) eine authentische Darstellung des Konfliktes Iffland-Kleist. Der
Bericht in Teichmanns Literarischem Nachlasse, die Wiedergabe bei Zolling und anderen ist
nicht zutreffend. Kleist mußte im höchsten Grade gereizt sein, nicht bloß durch die
verweigerte Annahme des Stückes, sondern vor allem durch das schroffe <113:> und
ganz unerhörte, unhöfliche Verhalten Ifflands. Iffland hatte unverantwortlich gehandelt.
Er hatte Kleists Stück zurückbehalten und höchstwahrscheinlich (s. Steig) gar
nicht gelesen. Er hatte bewußt oder unbewußt fälschlich behauptet und sich damit
entschuldigt, daß das Stück in Wien durchgefallen sei. Er hatte die notwendigsten Regeln
des Anstandes außer acht gelassen, und er hatte schließlich auch gegen jede Vorschrift
gehandelt und gegen allgemeinen Brauch. Denn er selbst schreibt Ende Dezember desselben
Jahres an Arnim, daß es bis vor drei Monaten, also bis zum Oktober 1810 die
Kleistaffaire spielte im August Brauch und Vorschrift war, eingereichte
Stücke mit voller sachlicher Begründung dem Autor zurückzuschicken.
Das Verhalten Ifflands war
ein so offenbar ungerechtfertigtes, daß die Freunde Kleists entrüstet waren. Die Worte
des streng denkenden Fouqué sind ein Beweis dafür. Und auch in der Folge und nach dem
Tode Ifflands ist niemand für ihn gegen Kleist, soweit ich es übersehen kann,
eingetreten. Selbst Gubitz in seinen Erinnerungen, der mit Iffland befreundet ihm ebenso
wohl- als Kleist schlechtgesinnt war, kann Ifflands Verhalten gegen Kleist nicht
rechtfertigen, und nur um ihn bis zu einem gewissen Grade zu entlasten, hängt er
böswillig Kleist ein Stigma an, aus dem sich später die Legende von Kleists Vorliebe
für den Alkohol entwickelt hat. Erst unserer Zeit blieb es vorbehalten, Kleist aus seinem
schroffen Vorgehen gegen Iffland den Strick zu drehen.
Erich Schmidt hat gegen
Kleists Verhalten Stellung genommen und hat sein Betragen in dem Iffland-Konflikt auf das
schärfste verurteilt, indem er an zwei Stellen (in der Biographie und im
Käthchenkommentar) seinen Angriff eine Schmähung nennt die empörter Übermut kaum
am Schenktisch aussprechen könnte. Wollen wir Kleists Vorgehen gerecht beurteilen,
so müssen wir den Maßstab jener Zeit anlegen, der die beiden angehörten. Was wir heut
als Krankheit <114:> betrachten, galt damals als Laster; Leute, die wir heut
bemitleiden, waren damals Gegenstand der Verachtung, des Spottes und des Abscheus. Was
Kleist aussprach, war offenes Geheimnis, und wenn er Iffland eine tödliche Beleidigung
als Antwort auf ein gelinde gesagt unziemliches Verhalten ins Gesicht schleuderte, so kann
die Stellungnahme einzig und allein davon abhängen, ob der Tatbestand vorlag oder nicht.
Dem gereizten Kleist kann man keinen Vorwurf machen, wenn er sich schroff auf den
Standpunkt stellt, eine Katze Katze zu nennen. Iffland blieb still und überging in seiner
Antwort Kleists Schmähung. Wie aber die über alle Iffländerei empörten Freunde
dachten, das zeigt deutlich die Darstellung des ritterlich und religiös gesinnten
Fouqué, die unumwunden für Kleist eintritt.
Ob man Kleist einen Vorwurf
daraus macht oder nicht, daß er, gereizt und aufs höchste erbittert, das Sexualleben des
Gegners vor der Öffentlichkeit bloßstellt, einen Rückschluß auf seinen Charakter wird
diese augenblickliche Aufwallung ebensowenig gestatten, wie seine scharfen Epigramme gegen
Goethe. Anders liegt es mit Kleists Stellungnahme gegen Iffland in den Abendblättern, auf
die ich schon an dieser Stelle im Anschluß an die Ifflandfehde eingehen will. Bisher ist
Kleists Verhalten gegen Iffland in den Abendblättern, das zu den schwierigsten Rätseln
gehört, nicht genügend gewürdigt worden.
Wie der gut unterrichtete
Fouqué (6) schreibt, stand im Programm der Abendblätter die Bekämpfung der Iffländerei
obenan. Wie groß die Machtstellung Ifflands war, das ergibt sich aus einigen Äußerungen
von Zeitgenossen. Neumann schreibt am 20. Februar 1810 an Varnhagen: Von
literarischen Plänen ist nur einer vorhanden. Eine Berlinische Dramaturgie. Der Vorschlag
ist von Robert, er will Theil daran nehmen, aber nicht schriftlich, sondern nur mitreden,
das muß auch Rahel, wie natürlich. Sonst wird wohl Ad. <115:> Müller, Dr.
Wolfarth, Bernhardi, Theremin, Büsching, Winterfeld und andere Theil nehmen. Die
Einleitung hab ich geschrieben. Wir müssen piano anfangen, bis wir
festsitzen; dann soll alles über die Klinge springen, besonders soll der Ritter vom
rothen Adler Berlin nicht länger tyrannisiren. Dazu im April desselben Jahres:
Mit dem dramaturgischen Wesen geht es darum langsam, weil alle Welt eine rasende
Furcht vor Iffland hat und besorgt, daß, so wie er nur den geringsten Wind von einer
solchen Unternehmung bekommt, er alles anwenden werde, sie zu unterdrücken, wozu seine
Art zu handeln gewaltsam und seine Macht groß genug ist. Man will also warten bis zu
seiner nun bald bevorstehenden Abreise; wenn er dann bei seiner Zurückkunft das Blatt
etablirt und vielleicht beliebt findet, so kann er wenig dagegen thun. Ich hätte mich an
alles das nicht gekehrt und wäre gleich aufgetreten; denn ich kann nicht begreifen, was
der Mann eigentlich dagegen thun kann.
\1\ Das Gedicht war schon am 18. August in
der Voss. Zeitung veröffentlicht worden. Steig (N. K. p. 89) hat es nach
der ersten Veröffentlichung abgedruckt. Die hier wiedergegebene Fassung zeigt kleine
Abweichungen.
\1\ Nicht vorhanden.
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