Sigismund
Rahmer, Heinrich von Kleist als Mensch und Dichter. Nach
neuen Quellenforschungen (Berlin: Reimer 1909), 40-45
Ernst von Pfuel und andere Freunde Kleists aus der Potsdamer Militärzeit
Am 28. April 1809 hatte Kleist Dresden verlassen, um sich
mittelbar oder unmittelbar in die Arme der Begebenheiten zu werfen. Wenige
Tage vorher war auch Pfuel von Dresden aufgebrochen, um sich auf den Kriegsschauplatz zu
begeben\1\. Die beiden Freunde sollten sich nach
der Abreise von Dresden, wenigstens auf längere Zeit nicht wiedersehen. Wenn in den
Kleistbiographien unter den Berliner Freunden des Dichters und unter den Mitgliedern der
christlich-deutschen Tischgesellschaft auch Freund Pfuel angeführt ist, so
ist diese Angabe unrichtig. Freilich findet sich unter den Unterschriften des Zirkulars
der Gesellschaft auch der Name Pfuel, aber es handelt sich nicht um Ernst
v. Pfuel, sondern um seinen Bruder Friedrich, denselben, von welchem Kleist bald nach
seiner Ankunft in Dresden an Ulrike berichtete, daß er seinem Bruder das Geld zur
Begründung einer Verlagshandlung hergab. Das ergibt sich von selbst, wenn wir Ernst
v. Pfuel auf seinen <41:> Wegen bis zum Tode Kleists verfolgen, und wir
würden nicht der Bestätigung aus einer Briefstelle Fouqués an Varnhagen (1810)
bedürfen, in der er ihn auf den Hauptmann Ernst v. Pfuel aufmerksam macht, den
Bruder des Pfuel, den er in Berlin kennen gelernt hatte.
In Dresden hatte Pfuel den
kurhessischen Major Grafen Karl v. Nostiz kennen gelernt und war ihm freundschaftlich
nahe getreten. Auf seine Veranlassung trat Pfuel am 13. Mai 1809 in die von Nostiz im
Fürstentum Baireuth für den österreichischen Dienst gebildete sogenannte fränkische
Legion unter General Radojowitsch und übernahm die Führung einer Kompagnie, mit welcher
er an unbedeutenden Gefechten bei Eger und in Sachsen teilnahm. An der Schlacht bei Wagram
und Aspern, wo ein Begegnen mit Kleist sehr wahrscheinlich gewesen wäre, war Pfuel nicht,
wie Löwe\1\ berichtet, beteiligt. Im Auftrage
begab sich Pfuel nach Wien, um über den dortigen Stand der Dinge zu berichten, entging
hier aber nur durch glückliche Zufälligkeiten der Gefangennahme durch die bald darauf
eingerückten französischen Truppen und gelangte nur auf großem Umwege nach Böhmen
zurück. Das Leben Pfuels ist in dieser Periode sehr reich an Abenteuern und Gefahren,
worüber zeitgenössische Werke berichten. Nach dem Wiener Frieden vom Oktober 1809 kam
Pfuel als Hauptmann in Brix bei Teplitz in Garnison; im Sommer 1810 nahm er einen
mehrmonatigen Urlaub, dessen ersten Teil er in der Heimat verlebte. Ein ausführlicher
Brief an Caroline v. Fouqué in Nennhausen berichtet über diese Reise, auf welcher
er die ganze Mark durchwanderte und sich auch in Berlin aufhielt. Hier verweilte er vier
Tage, und während dieser vier Tage war er zum letzten Male mit Kleist zusammen. Er
schreibt über seinen Berliner Aufenthalt:
In
Berlin blieb ich 4 Tage und meine Anwesenheit fiel gerade mit dem Sonntag zusammen,
wo die Leichen- <42:> predigten der Königin nach dem gegebenen Text gehalten
wurden. Müller, seine Frau, Kleist und ich verteilten uns in verschiedenen Kirchen, um
Schleiermacher, Ribbeck, Ancillon und Ehrenberg zu gleicher Zeit zu hören, wir waren
insgesamt nicht sehr erbaut worden. Keiner von allen hatte den Gegenstand mit der
Einfachheit und Würde behandelt, welche er verlangte; nach einem schönen, zum Herzen
sprechenden Anfange ließ sich Ancillon in eine steckbriefartige Beschreibung der
Eigenschaften der Verstorbenen ein und endet mit zum Teil unechten Rednerkünsten, so daß
ich nur sehr mittelmäßig befriedigt nach Hause ging. Vor allem aber hat Schleiermacher
kalt und herzlos gesprochen, seine untadelhaft logisch verschränkten, mit der besten
Moral gesättigten Perioden haben keine Tränen hervorzulocken vermocht; Müller, der ihn
gehört hatte, war indigniert. Das sind nun die großen Redner! mit keinem Effekt!
Auffallend ist Pfuels
absprechendes Urteil über Ancillon, der sein Lehrer in der école gewesen war,
und dem er bis in sein Alter ein dankbares Andenken bewahrte. Vom August 1810 ab verlebte
Pfuel den Rest seines Urlaubs in Teplitz, wo er mit dem Herzog von Weimar und Goethe viel
verkehrte und gewöhnlich an ihren Mahlzeiten teilnahm. Hier in Teplitz hatten sich um
Goethe die besten Freunde Kleists und zahlreiche Vertreter der Patriotengruppe versammelt,
so Pfuel, Rühle, Alex. v. d. Marwitz\1\,
Gentz und andere. Der Verkehr mit Goethe zeitigte die Berichte Pfuels über den Dichter
und seinen Umgang, den ich an anderer Stelle wiedergegeben habe (s. o.). Im September
1810 wurde die fränkische Legion aufgelöst, und Pfuel wurde in das österreichische
Infanterieregiment Erzherzog Rainer nach Prag versetzt. Hier stand er im lebhaften Verkehr
mit dem Minister Freiherrn v. Stein, welcher die erste Zeit seiner Verbannung von
Januar 1809 ab in Brünn und Troppau zugebracht hatte und seit Juni 1810 mit
Zustimmung <43:> der österreichischen Regierung nach Prag übergesiedelt war.
Über den Aufenthalt Pfuels in Prag berichten uns die Denkwürdigkeiten Varnhagens, der
damals als Adjutant des Obersten Prinz Bendheim in dem österreichischen Regiment von
Vogelsang stand und sich mit Pfuel und zahlreichen Freunden im Haß gegen Napoleon
begegnete. Von den Briefen Pfuels aus der Prager Zeit ist für uns einer bemerkenswert,
welcher sich, wahrscheinlich auf eine Anfrage von Caroline v. Fouqué mit Adam
Müller beschäftigt, über den er sich wörtlich in einem Briefe vom 16. April 1811
äußert:
Daß er auf Dich den
größten Eindruck machen würde, war zu erwarten, denn abgesehen von seinem großen
Talent, hat er im Umgang die gefälligsten Formen und weiß sich mit Leichtigkeit und
Zartheit besonders weiblichen Naturen anzupassen. Man begreift oft nicht, wie ein so
mildes und schüchternes Gemüt im Streit mit dem Zeitgeist aufzutreten unternehmen konnte
und wundert sich um so mehr über das Maaß von Kraft, welches er dabei entwickelt. Daß
er übrigens den Riesen, mit dem er ringt, nicht zu Boden werfen wird, ist mir nur allzu
klar; der Drang der Umstände ist zu gewaltsam, die Forderungen der Zeit sind zu
ungestüm, um Warheit und Mäßigung nicht über den Haufen zu werfen; seine Stimme wird
verhallen, wie die Stimme in der Wüste, er selbst untergehen in dem Schiffbruch alles
Guten und Schönen. Was den Müllerschen Lehren nebenher auch bei den Bessern Schaden
thut, ist die große Lebhaftigkeit seines Geistes, die ihn oft von dem ruhigen, besonnenen
Gang einer folgerechten Schlußfolge abzieht und so zu Ansichten und Ausdrücken
verführt, die Misverständnissen unterworfen sind eben wegen ihrer vielseitigen
unbestimmten Deutung; solche Misverständnisse vertragen sich nicht mit dem großen
Gegenstande, den er verficht, und thun am Ende vom Liede ihm sowohl wie der Sache selbst
Abbruch.
Unvorbereitet werde ich
niemandem seine Elemente der Staatskunst
empfehlen . <44:>
Die Äußerung Pfuels über
Adam Müller ist für uns schon deshalb bemerkenswert, als wir nur wenige unbefangene
sachliche Urteile über ihn in seinen jüngeren Jahren besitzen. Pfuels Urteil stützt
sich aber auf die Eindrücke während des Verkehrs in Dresden, denn er hat nach Dresden
Müller erst im November 1811 wiedergesehen. Es ergibt sich schon daraus, was es mit der
Bemerkung Loewes in seinem von Fehlern wimmelnden Aufsatz in der Deutschen Rundschau
(Februar 1888) auf sich hat, daß Pfuel gegen Müller in Dresden und später stets eine
ausgesprochene Aversion empfunden und seinen Verkehr auf das notwendigste eingeschränkt
habe. Als Pfuel im Auftrag des Quartiermeisterstabes im November 1811 nach Wien berufen
und bei dem Kriegsarchiv angestellt wurde, war sein täglicher Umgang im Hause Adam
Müllers, und als später im Jahre 1815 Adam Müller mit seiner Frau nach Paris kam,
wohnten sie bei Pfuel, dem Stadtpräsidenten. Am 28. Juli 1815 schreibt Sophie
Müller an die Rahel: mein Mann lebt viel mit Pfuel, Thielemann und anderen alten
Bekannten. Von einer Aversion der beiden intimen Freunde Kleists kann also nicht die
Rede sein, und ihre Beziehungen freundschaftlicher Natur haben den Tod Kleists lange
überdauert. Was hier aber Pfuel über Müller berichtet, steht in einem schroffen
Gegensatz zu dem, was Martens (s. o.) nach flüchtigem Eindruck über Adam Müller
erzählt.
Die nahen Beziehungen Pfuels
zu Adam Müller ergeben sich auch sehr deutlich aus den Briefen, welche er beim Tode
Kleists an Caroline de la Motte Fouqué richtet. Am 30. Dezember schreibt er von Wien
aus an sie zunächst einige flüchtige Zeilen über Kleists Tod:
Was hast Du denn zu
Kleists Ende gesagt, mich hat es weniger entsetzt, als unangenehm berührt; so wie ich
Kleist kenne, war hier eine falsch erkünstelte Exaltation, und das tut mir leid; und nun
gar die Art, wie darüber in öffentlichen Blättern gesprochen worden, so einfältig und
dann später so unwürdig, so hat der arme Heinrich stets seinen Zweck
ver- <45:> fehlt und sich immer in der Wirkung verrechnet, die er hervorbringen
wollte; immer vermengte er seine Freunde mit dem großen Haufen, was er von jenen erwarten
durfte, verlangte er auch von diesem; und so tief er ins menschliche Gemüt zu schauen
verstand, so blieben ihm die Menschen in Masse doch fremd und unverständlich; dieser
Irrtum brachte ihm Schwermut und endlich den Tod.
\1\ Wenn ich im Gegensatz zu anderen Autoren
Pfuel eher von Dresden aufbrechen lasse als Kleist, so stütze ich mich dabei auf ein
Schreiben von Emma Körner an ihren Bruder vom 20. April 1809 (bei R. Brockhaus,
1. c.), in dem es heißt: Du hattest leider nur zu wahr gesprochen,
als Du uns Sonntags sagtest, daß Pfuels so bald weggehen würden, denn Dienstag früh ist
Caroline und denselben Nachmittag Ernst abgereist. Die Trennung von beyden ist uns sehr
schwer geworden, Pfuel aß noch den letzten Mittag mit uns und hat dann seine Reise nach
Weimar angetreten. Man ersieht aus alledem, daß Kleists Abreise von Dresden von
langer Hand und planmäßig vorbereitet war, und daß sie durchaus nicht Hals über Kopf
erfolgte mit einem plötzlichen Entschlusse, wie aus Dahlmanns Darstellung hervorgeht.
\1\ Deutsche Rundschau (Februar 1888).
\1\ Vgl. Die Freunde der Rahel und Göthe. Göthe-Jahrbuch 1909.
Emendation
der] des D
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