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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Franz Rühl (Hrsg.), Aus der Franzosenzeit. Ergänzungen zu den Briefen und Aktenstücken zur Geschichte Preussens unter Friedrich Wilhelm III., vorzugsweise aus dem Nachlass von F. A. v. Stägemann. (Leipzig: Duncker & Humblot 1904), 159-161

Friedrich August v. Staegemann an Johann George Scheffner, Berlin, 19. 3. 1811

Berlin, 19. März 1811.
Schon längst, hochverehrtester Freund und Gönner, hätte ich Ihren mir richtig zugestellten Brief\7\ beantwortet, wenn ich nicht gerade jetzt in einem Meere von Acten begraben wäre, aus dem ich mich kaum mehr herauszuwinden weiss. Es geht mir also, ob- <160:> wol ich leidlich gesund bin, schlecht genug. Indess will ich Ihnen doch gern erzählen, was ich weiss.
Die Kassensachen sind mir verhasst, und ich bekümmere mich darum so wenig als möglich, da ich kaum erleben werde, dass man die so simple Klarheit darin erlangen wird. Es scheint, als wenn jeder seine Freude daran hat, sie so viel als nur möglich zu obscuriren. Jetzt bietet mir das Compensationswesen wieder ein geräumiges Feld dar. Die Vergütigung der russischen Forderungen habe ich nicht habe ich nicht anders einleiten können als geschehen ist und Gott gedankt, dass ich nur so weit gekommen bin. Das Compensationsedikt\1\ habe ich auch durchgekämpft, obgleich die Einmischung der ständischen Geschichten nicht nach meinem Geschmack ist und uns hier einen gewaltigen Verdruss mit den Ständen (sogenannten) macht, die doch schlechterdings nicht schlechter sein können als hier.
Was sehr zu bedauern und ganz vom vorigen Ministerio des Innern verschuldet ist, ist, dass die Reform des Repräsentationswesens nicht früher geschehen ist. Der alte Sauerteig gibt überall Anstoss und ist allein Schuld, dass so Manches verzögert wird und dass der gute Wille des Herrn Staatskanzlers nicht überall hinreicht.
Sie fragen nach Adam Müller. Ich bin nicht besonders mit ihm zufrieden. Er sucht jetzt eine Anstellung, ist aber schwer zu befriedigen. Schade ist es um sein glänzendes Talent, das er denn doch missbraucht, obwol ich mich sehr dafür erkläre, dass wir ihn behalten. Gentz verdirbt ihn durch übertriebene Lobpreisungen.
Wolf, Reil und v. Savigny sind unstreitig die Zierden der hiesigen Universität, die aber noch sonst wackere Männer hat. Es herrscht leider eine grosse Spannung zwischen der Universität und der Section des Cultus, die zu nichts Gutem ausschlagen wird. Die Universität hat, wie recht ist, einen Rector; aber die Section müsste auch, wie Recht wäre, einen Spiritus Rector haben. Die Universität Frankfurt wird nach Breslau verlegt. Bredow\2\ hat deshalb einen neueren Ruf nach Leipzig abgelehnt.
Schleiermacher, der sich durch einen zu entschuldigenden Ehrgeiz hat verleiten lassen, der Ansicht des Herrn Grafen v. D.\3\ <161:> nachzugeben und an den praktischen Geschäften der Section Antheil zu nehmen, geht unter in der Section. Wolf übersetzt den Aristophanes;\1\ vielleicht erscheinen auch einige Gesänge der „Ilias“. Er studirt die deutsche Sprache jetzt con amore, wie Sie aus seiner Abhandlung\2\ werden gesehen haben. Dass ich den Catull übersetze, ist nur eine Plaisanterie, Gott weiss wessen? Ich habe nie einen Gedanken daran gehabt, und wie würde ich in meiner jetzigen Lage an Übersetzungen denken können? Einige Gelegensheitsverse abgerechnet habe ich die Leier an die babylonischen Weiden gehängt.
Mit der nächsten Gelegenheit werde ich Ihnen einige Arbeiten unserer deutschen christlichen Tischgesellschaft zusenden, namentlich eine Abhandlung Brentano’s über die Philister.\3\ Diese Gesellschaft ist vor einigen Monaten von Arnim gestiftet und schliesst alle Juden (selbst die getauften) und Philister aus, ist aber von den Letzteren doch nicht ganz rein. Arnim hat sich mit Brentano’s Schwester Bettina (einer Enkelin von Sophie la Roche) kürzlich verheirathet. Sie ist ein verständiges Wesen, ein wenig seltsam.
Unsere politische Lage hätte durch einen Krieg zwischen Russland und Frankreich sehr ungünstig verändert werden können. Alexander hat wirklich einmal einen herzhaften Entschluss gefasst; es ist bei ihm aber nur ein Rausch, der bald verfliegt und seit der vorgestern Abend erfolgten Rückkunft eines russischen Kuriers aus Paris scheint Alles für beseitigt angenommen werden zu können. Ich für meine Person habe in diesem Augenblick an keinen Krieg geglaubt. Der König Bernadotte hat dem ehrlichen Alexander wol zunächst einen Schrecken eingejagt. Es hilft aber doch nichts. Schweden wird in drei bis vier Jahren Finnland, Livland, Esthland, Ingermannland u. s. w. wol in Besitz nehmen und das Haus Holstein schwerlich auch in Moskau residiren.
Ich wünsche herzlich, dass es Ihnen noch lange wohl gehen möge und empfehle mich in Ihr wohlwollendes und freundschaftliches Andenken.
Stägemann.

\7\ Der Brief ist verloren.
\1\ Vom 27. Januar 1811.
\2\ Gottfried Gabriel Bredow, geboren zu Berlin 1773, 1804 Professor in Helmstedt, 1809 in Frankfurt a. O., 1811 in Breslau, wo er am 5. September 1814 starb.
\3\ Alexander Dohna.
\1\Aristophanes’ Wolken. Deutsch von F. A. Wolf. Berlin 1811.
\2\ Über ein Wort Friedrich II. von deutscher Verskunst; zuerst vorgetragen in der öffentlichen Sitzung der Akademie im Januar 1811.
\3\ Über diese christliche deutsche Tischgesellschaft vgl. Steig a. a. O. S. 21ff. und über Brentanos Schrift „Der Philister vor, in und nach der Geschichte“ ebenda S. 612ff.

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Letzte Aktualisierung 23-Jan-2003
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