Franz Rühl
(Hrsg.), Aus der Franzosenzeit.
Ergänzungen zu den Briefen und Aktenstücken zur Geschichte
Preussens unter Friedrich Wilhelm III., vorzugsweise
aus dem Nachlass von F. A. v. Stägemann (Leipzig:
Duncker & Humblot 1904), 157-159
Friedrich August v. Staegemann an Johann George
Scheffner, Berlin, 9. 10. 1810
- Berlin, 9. October
1810.
- So viele Vorwürfe,
verehrungswürdigster Freund, ich mir auch schon gemacht
habe, dass ich Ihnen seit meiner Abreise von Königsberg
gar nicht geschrieben, so wenig habe ich doch bei dem vollständigsten
Bankrott mit der Zeit es über sie gewinnen können. Ihr freundschaftlicher
Brief vom 1. d. M. lässt mich indess einen herzhaften
Entschluss fassen, über alle citissime auf meinem Tisch
hinwegzusehen.
Alle
Welt erwartet zunächst die Bekanntmachung eines Finanzsystems.
Es ist leicht, sich daran zu versuchen; aber etwas Gescheites
zu Stande zu bringen, wird man billig von Niemand erwarten.
So lange wir die Kriegscontribution, die noch 18 Millionen
Thaler beträgt, nicht bezahlt haben, ist an ein vernünftiges
Finanzsystem gar nicht zu denken, es sei denn, dass Napoleon
uns angemessene Frist bewilligt, und nicht monatlich eine
Million Thaler verlangt. <158:>
Herr
v. Schön ist, wider mein Erwarten, von hier wieder
weggegangen.\1\
Ich hatte geglaubt, er würde sich dem Herrn Staatskanzler
mehr nähern als wol der Fall gewesen sein muss. Von dem
Detail dieser Sache bin ich gänzlich ununterrichtet, wie
ich denn, vielleicht weil ich in den currenten Tagesgeschäften
unterliege, an dem Treiben und Toben der Parteien, die uns
zerreissen und vernichten, nicht den entferntesten Antheil
nehme; daher stand ich bei der Verabschiedung des Herrn
v. Altenstein\2\ ganz verwundert, obgleich
meine Freunde mir versicherten, sie hätten befürchtet, dass
ich in der Proscription begriffen sein werde, wozu ich freilich
gar keinen Grund sah.
Unsere
Universität\3\ fängt ja an zu blühen.
Sie scheinen ihr keine Früchte zuzutrauen. Es wird alles
von dem politischen Gang der Begebenheiten abhängen. Vielleicht
kann sie doch viel für Deutschland werden, obschon meine
Hoffnungen nicht gross sind. Kleinliche, ängstliche Ansichten
u. s. w. werden mehr wirken als Napoleon. Dass
Adam Müller nicht angestellt worden ist, mag zum Theil an
ihm selbst liegen. Er hat vor der Hand ein Gehalt von 1200
Thalern beim Finanzministerio, wofür er noch zur Zeit nichts
thut; aber es hält ihn doch bei uns zurück. Er ist ein ganz
vorzüglicher Kopf, aber er muss noch lernen und gründlicher
werden. Ich sehe ihn sehr oft. Sein Freund Heinrich v. Kleist
redigirt jetzt ein Abendblättchen,\4\
welches so gelesen wird, dass vor einigen Tagen Wache nöthig
war, um das andringende Publikum vom Stürmen des Hauses
der Verlegers abzuhalten. Diesen Reiz giebt ihm die Aufnahme
der Polizeinachrichten, die der Polizeipräsident aus Freundschaft
suppeditirt.
Unter
den hierher gerufenen Gelehrten gefällt mir Herr v. Savigny
am besten. Er ist ein Schwager Brentanos, des Freundes
von Arnim, der sich mit seinem Freunde die Wunderhörner
noch nicht abgestossen hat,\5\
sonst brave Kerle.
Ob
und was ich bei unsern Docenten, z. B. Niebuhr, Reil,\6\
<159:> Fichte, Hagen,\1\
Wolf, hören werde, weiss ich noch nicht. Schwerlich sehr
viel. Niebuhr ist ganz aus dem praktischen Leben ausgeschieden.
Seine Störrigkeit oder was es sonst sein mag hat ihn vom
Staatskanzler leider! ganz entfernt und ich zweifle, dass
wir ihn lange behalten. Unser Geheimrath Delbrück\2\
geht in diesen Tagen zu Pestalozzi ab.
Die
diesjährige Kunstausstellung hat einige gute Sachen, mehr
schlechte. Sie werden in unserm Kleistschen Abendblatt
eine Kritik darüber finden, die gewiss gelesen zu werden
verdient. Sie ist von einem meiner hiesigen Freunde, Herrn
Bekkendorf,\3\ Erzieher des Prinzen von Hessen. Auch Müller
und mein Hauspoet\4\ werden an dem Blatt
Antheil nehmen. Der König scheint es protegiren zu wollen.
Aber gegen Iffland müssten sie nicht zu Felde ziehen, wie
sie es beabsichtigten.\5\
So strich ihnen die Censur schon einen Brief aus Leipzig,
worin geschrieben wurde, dass Iffland nach Berlin gereist
sei, um daselbst einige Gastrollen zu spielen.
Ich
empfehle mich aufs freundschaftlichste in Ihr wohlwollendes
Andenken und versichere Ihnen meine Hochachtung und treueste
Ergebenheit.
Stägemann.
\1\ Vgl. Aus
den Papieren Schöns I S. 62 ff.
\2\ Bei Hardenbergs
Ernennung zum Staatskanzler.
\3\ Berlin.
\4\ Vgl. Steig,
Heinrich v. Kleists Berliner Kämpfe S. 40 ff.
Die erste Nummer der Berliner Abendblätter erschien am 1. October
1810.
\5\ Vgl. oben
S. 131.
\6\ Johann
Christian Reil, geboren 20. Februar 1758 zu Rauden,
1787 Professor der Medizin in Halle, 1810 in Berlin, gestorben
am Lazarethfieber am 22. November 1813 zu Halle.
\1\ Friedrich
v. d. Hagen, geboren 12. Februar 1780 zu
Schmiedeberg in der Uckermark, einer der Begründer der deutschen
Philologie, 1810 Professor in Berlin, wo er am 11. Juni
1856 starb.
\2\ Der frühere
Erzieher Friedrich Wilhelms IV.
\3\ Ludolf
(v.) Beckedorff, über den zu vgl. Aus Stägemanns
Nachlass II S. 269 N. 2. Zur Sache
Steig a. a. O. S. 254 ff.
\4\ Über die
Beziehungen von Friedrich Schulz und von Stägemann selbst
zu den Abendblättern und zu dem Kreise von Kleist vgl. das
Register zu Steigs oben angeführtem Buch. Der Brief oben
Nr. 3, S. 5 bestätigt die Vermuthung von Steig
S. 390f., dass die Chiffre St. in den Abendblättern
Stägemann bezeichne.
\5\ Vgl. Steig
a. a. O. S. 187ff.
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