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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Hans Röhl, Aus dem Reisetagebuch der Freifrau Adolphine von Werdeck im Sommer 1803, in: JbKG (1938), 77-97; darin: 90-93

7. 8. – 13. 8. 1803


Die Reise geht weiter über Luzern nach Bern, das am 4. August erreicht wird. Hier wird am 7. August der Name Kleists genannt:
Bei Tische machte ich die Bekanntschaft des Buchhändlers Geßner, eines Sohnes des Idyllendichters. Er sagte uns, daß Pfuel u Kleist lange auf uns in Bern gewartet u sich nun nach Thun begeben hätten; um von dort aus mit uns <91:> weiter zu reisen. Diese Nachricht freute mich sehr, auch machte mir die Bekanntschaft des Herrn Geßner Vergnügen.
Schon am nächsten Tage, dem 8. August, fahren sie weiter nach Thun. Aber das Tagebuch muß melden:
Daß wir den guten Pfuel u Kleist nicht mehr fanden war uns sehr unangenehm. Sie waren den Morgen abgereis’t.
Die Reise geht über Interlaken, Thun nach Meyringen. Von der hier endlich erfolgten Begegnung mit Kleist und Pfuel am 11. August wußten wir bereits durch Ulrikes Bericht, wenn auch ohne Orts- und Tagesangabe. Ulrike erzählt: „Eines Tages in einem Gasthofe in der Schweiz, wo sie in ihrem Zimmer laut sprechen, hören sie im Nebenzimmer plötzlich ihre Namen rufen. Es waren Herr und Fr. v. Werdeck die ihre Stimmen erkannten,“ … Kenntnis von diesem Vorgang hatte Ulrike offenbar von ihrem Bruder. Es ist ganz reizvoll, dieselbe Szene nun vom „Nebenzimmer“ aus in Frau von Werdecks Bericht zu lesen.

Den 11ten August
… Um 8 Uhr waren wir in Meyringen dem Hauptflecken des Berner Haßleland. Im Wirthshause angelangt schien die Wirthinn zu wünschen daß wir in Gesellschaft dreier erst eingetroffener Fremden zu Nacht speisen möchten. Wir gewährten ihr diese Bitte u stiegen zu dem uns angewiesnen Zimmer hinauf. Es ward im Nebenzimmer laut gesprochen. „Das ist Pfuels Stimme“ sagte W – ich zweifelte. W rief: „Pfuel?“ Ja antwortete es aus dem andern Zimmer. Freudig stürzten wir auf die Thür, freudig wurden wir von der befreundeten Nachbarschaft, von Pfuel u Heinrich Kleist, empfangen. Ein Zufall hatte sie von der Grindel ins Haßli geführt. Pfuels unerschöpflicher Witz stimmte uns alle zum Frohsinn, selbst Kleist war weniger als sonst mit sich selbst beschäftigt.
Bei Tische aß noch der 3te Reisende, ein junger Franzose, mit uns, der in die vallèe d’ascelli [Haßlital] gekommen war, um den Rykenback zu mahlen. Er war recht hübsch u artig, <92:> hatte eine elegante tournure u sah très comme il faut aus. Es war mir deshalb unangenehm, daß meine Reisegefährten immer deutsch sprachen, laut lachten u von dem Fremden gar keine Notiz nahmen.

den 12ten
Das Frühstück ward lachend eingenommen, denn Pfuel erzählte manche komische Reisegeschichte. Alsdann traten wir unsre Wanderung zu dem Reichenbache an. Der Pfad zieht sich zuerst durch das von der Aar mäandrisch gekrümmte Thal in welchem man die Ruinen des Schlosses Rösteln liegen sieht, dann erhebt er sich nach Schwändi hinauf um den Wogensturz näher zu kommen. Der Reichenbach hat 3 Fälle, jeder von ihnen ist schön, doch am grandiosesten der unterste Fall. Die Sonne begünstigte uns so huldreich daß wir nirgends einen schönern Regenbogen sahen. Überhaupt ist, nach meinem Geschmack keiner der aus Bächen gebildeten Wasserfällen in der Schweitz, so schön als der Wasserfall des Reichenbaches.
Auf dem Heimwege begaben wir uns in eine Bauernwohnung wo Bäder eingerichtet sind. Nach dem Bade labten wir uns vor der Hausthüre mit den vortrefflichsten Niedeln [aus Milchrahm bereitetes Gericht] u lachend, äußerst vergnügt kehrten wir nach Meyringen zurück.
Der Franzose schien nicht viel Unterhaltung in der Gesellschaft de nous autres barbares du Nord gefunden zu haben denn er aß nicht am Mittage mit uns u beglückte uns am Abend erst mit seiner Gegenwart. Den Nachmittag besuchten wir den Alpbach dessen Sturz auch mahlerisch schön ist. Beim Nachtessen sangen die Mädeli den Kühreigen, der im beengenden Zimmer nicht sehr lieblich klang.

den 13ten
Der unschlüssige Kleist hatte 10 Mahl uns versichert er würde uns nach Schwitz begleiten, u 10 Mahl wieder gesagt, es ginge nicht an – endlich beschloß er nach Thun zurück zu <93:> kehren um sein Peststück (ein Trauerspiel das dünkt mich „die Numantia“ heißen sollte) zu vollenden. Wir trennten uns denn also von ihm u dem liebenswürdigen Pfuel, der immer heiter, immer interessant nie so launig als Heinrich Kleist erschien.

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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