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Max Ring, Leben und Sterben eines deutschen Dichters, in: Die Gartenlaube (1858), Nr. 17, 220-237; darin: 221

Kleist im Herbst 1811


Das Zimmer war klein und ärmlich, denn Kleist befand sich damals in der drückendsten Lage. Sein kleines Vermögen war auf Studien und Reisen draufgegangen; er besaß kaum so viel, um sein Leben kümmerlich zu fristen; auch war er zu stolz, um seine Freunde anzusprechen, oder seine Muse zum Sclavendienste um das tägliche Brod zu erniedrigen. Zu allen seinen Leiden kam noch das Gefühl der drohenden Noth. Was sollte ihm ein Leben, das er nicht zu ertragen, was nützte ihm das Genie, welches ihn vor dem Elend der Armuth nicht zu schützen vermochte? Er hatte den Versuch gemacht, und war in den Staatsdienst getreten, aber sein Geist schien nicht dazu geeignet, die unausbleiblichen Beschränkungen eines Amtes und die geforderte regelmäßige Thätigkeit eines solchen auf die Länge zu dulden. Eine Unterstützung von Seiten des Staates, welche Freunde für ihn vermittelten, stieß auf mannichfache Hindernisse und verzögerte sich, weil der damalige Staatskanzler Hardenberg Gründe zu haben glaubte, diese Wohlthat vorläufig zu verweigern. Mit seiner Familie war Kleist zerfallen, und seine ihm auch geistig verwandte Schwester Ulrike, ein Mädchen von ausgezeichneten Eigenschaften, früher seine stete Begleiterin auf vielfachen Reisen, hatte sich von ihm getrennt.
Er stand allein, fast dem Mangel preisgegeben.
Dieser Umstand war zwar nicht die Ursache seines schrecklichen Vorhabens, aber es wurde wenigstens dadurch bestärkt.

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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