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Friedrich Wilhelm Riemer, Mittheilungen über Goethe. Aus mündlichen und schriftlichen, gedruckten und ungedruckten Quellen, 2 Bde. (Berlin: Duncker und Humblot 1841), Bd. 1, 406f.

Vorleseabende mit Goethe, Frommann liest Kleist


Am aufgewecktesten erwies er sich freilich in kleinern Zirkeln, in Jena bei seinem Freunde Knebel, desgleichen bei Frommann, in Weimar aber in den gewählteren kleineren Soiréen der jovialen und geistreichen Hofräthin Schopenhauer; hier war er stets vom besten Humor, so gesprächig und mittheilend wie nur je, scherzte, erzählte, las vor, Eignes oder Fremdes, z. B. Calderon’s standhaften Prinzen in mehreren Abenden; hörte aber ebenso gern Andre etwas vortragen, wobei er, um nicht ganz unthätig dazusitzen, am liebsten an einem besondern Tischchen, das für ihn immer bereit stand, zu zeichnen pflegte. Im Selbstvorlesen liebte er öfter abzusetzen und kleine Pausen eintreten zu lassen, theils der gespannten Aufmerksamkeit der Zuhörer einige Ruhepunkte zu gönnen, theils Bemerkungen einzustreuen die zu besserem Verständniß des Vorgelesenen dienen konnten.
Man ließ ihn gerne nach seiner Art gewähren, da er so gemüthlich sein Inneres offenbarte, und dessen was ihn erfreute oder ärgerte kein Hehl hatte. Auch bei dem Vortrag Anderer bat er sich einen Augenblick Innehaltens aus, zu ähnlichem Behuf: welche Unterbrechung denn wohl einem hastigen Vorleser manchmal unangenehm seyn konnte; doch geschah es nur selten, und bei Personen die ihm eine solche Störung nicht übelnehmen konnten. Seine Bemerkungen, meist ästhetischer Art, waren, wenn auch kurz, doch geistreich, in das Wesen der Kunst oder das Talent des Autors eindringend. Was er aber selbst that, gestattete er nun auch Andern, und jeder mochte seine Meinung aufrichtig und unbefangen äußern, wodurch allererst eine gemeinschaftliche Theilnahme sich ermittelte. <407:>
Um mehr Abwechselung in die Unterhaltung zu bringen und das Zuhörer-Personal ebenfalls zu beschäftigen, behandelte er einstmals dieses als Chor und ließ es mit dem Refrain einer Romanze, in der Mitte und am Schluß der Strophe, sprechend einfallen, welches eine wunderbare mit dem Inhalt des Gedichts, das von einem für eine Glocke verkauften Mädchen handelte, harmonirende Wirkung that, da es melodische Frauenstimmen waren, die dieses Glockengeläut nachbildeten. Nur die Geistlosigkeit Einiger fand die Sache lächerlich, während sie in einer andern Gesellschaft mit Beifall aufgenommen wurde.
In diesen Zirkeln trug auch Zacharias Werner an mehreren Abenden sowohl seine Sonette und Romanzen, als seine Trauerspiele Wanda, und das Kreuz an der Ostsee actweis vor.
Frommann, immer zuerst mit der neusten ästhetischen Literatur bekannt, und dazu ein überaus guter natürlicher Vorleser, ohne Declamation, brachte außer Shakspearischen Stücken auch die Kleistischen Erzählungen und Dramen, den Dominicaner, Hans Kohlhaas, den zerbrochenen Krug &c. zur abendlichen Unterhaltung.

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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