BKA-Brandenburger Kleist-Ausgabe Start Übersicht Suchen Kontakt Andere interessante Websites Institut für Textkritik e. V.

[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

[ ]

R

Roland Reuß und Peter Staengle in Zusammenarbeit mit Arno Pielenz und Renate Schneider, H. v. Kleist. Dokumente und Zeugnisse. Biographisches Archiv II / L-Z, in: BKB 14 (2001), 23-911; darin: 909–911

Marie v. Kleist an Friedrich Wilhelm III., Groß–Giewitz, 26. 12. 1811

<1r>
Mein gnädiger König und Herr –
Schon sehr lange liegt in mir das Verlangen meinem Könige meine Empfindung einmal wieder mit zu theilen – eine sechswöchentliche Nerven Krankheit, die durch den furchtbaren Todt, des unglücklichen Heinrich Kleist, verlängert und vermehrt worden ist, hat mich verhindert dieß wahre Bedürfniß meines Herzen genüge zu leisten. Wie wehe, wie zerreißend meinem Gemüthe diese schauderhafte Begebenheit ist, und immer sein wird kann ich in diesem Leben nicht sagen. Diese Frau, die ich nie gesehn, muß der lebendige Teufel gewesen sein – Er gewiß ist unschuldig auch vor Gottes richter Stuhl – Selbstmord – war seinem ganzem Sein, seiner ganzen Natur zuwieder – Schlotheim, Karl Lecoq, erwähnte er nie ohne eine Art von Wiederwillen – Auch war er noch kurz vor seinem schrecklichen Ende
<1v>
bey Gneisenau, um ihm Militairische Aufsätze einzuhändigen, worunter einige sehr gute sein sollen, hat Gn... der Bergen gesagt. – Er war so voller Pläne voll Eifer, als ich ihn ende September verließ – Anfangs Augusts war er so wenig in dieser Frau verliebt, daß er mir nach Gievitz schrieb, er wäre so allein, so verlaßen in Berlin, er hätte dort keine einzige Verbindung, die einiges Intereße für ihn hätte, und lügen, und mich belügen, war gewiß fern von ihm, es gab nichts ächteres, nichts wahreres, nichts edelmüthigeres als dieser Mensch, voller Talente für allen Fächern, verbunden mit einer Gutmüthigkeit – wie sie beynahe mit solchem Verstande nicht möglich scheint, alle Tugenden, wie alle Talente waren ihm Natürlich, er war so von Gott gekommen – Und ein solcher Mensch, muß auf solch eine Nichtsnutzige Art endigen wie ein Lafontainischer Romanen Held, mit einer Heldin aus dieser Klaße und von diesem Kaliber – Leute die sie intime
<2r>
gekannt haben, schreiben mir, sie wäre eine ruhmsüchtige, Eitle, Närrin gewesen, die coute qui coute célébrität hätte erlangen wollen. – Oben drein sagen die Leute ganz bestimmt sie habe eine gräßliche Krankheit gehabt, die ihr den ekelhaftesten Todt voraussehn ließ. Heim, der seit anderhalbjahr nicht mehr ihr Artzt ist, und dem man beschuldiget hat diesen Umstand publiq gemacht zu haben läugnet zwar, dieses gesagt zu haben, hat aber doch der Bergen gesagt, er hätte die Krankheit dieser Frau nicht für unheilbar gehalten, so daß doch von dieser Krankheit schon damals die Rede gewesen sein ^mus^ – die in anderthalbjahr große Fortschritte machen kann. – Ob man sich nun etwas sündhafters etwas unweiblichers denken kann als das Treiben dieses weiblichen Teufels? – Als wenn nicht stilles religieuses Dulden die erste Eigenschaften unsers Geschlechts sein müsten – Nein es ist schrecklich – einen jungen
<2v>
anthousiastischen Mann, in einem Augenblick von Mismuth, Hipocondrie, trauer über das Politische Unglück, in einem Augenblick von sehr gedrückter Lage &c &c zu einem solchen unchristlichen unbürgerlichen, unmännlichen Schritt zu éxaltiren. Und so ist es geschehn mein König, das sehe ich durch seine Briefe, sie hat zuerst diesen Gedanken geäußert, das schreibt er mir positif. Auch nie hätte er sie dazu beredet, das war bestimmt gegen seine Grundsätze. –
Ew Majestät entschuldigen, diesen Ausbruch meines Unmuths – Aber außerdem, daß dieser weibliche Teufel mir den einzigen Freund geraubt hat, der mir in seiner ganzen intégrität geblieben, nach meiner veränderten Lage geblieben war, so hat auch der Staat einen ächt patriotisch gesinnten Mitbürger verloren – ich wäre ganz zufrieden wenn er für sein Vaterland gestorben wäre aber wie ein Narr, sein Leben verlieren, das thut mit sehr wehe – Auch sehe ich noch die Sache an als ein Übelstand, und eine Folge der Verschrobenheit
<3r>
des Zeitalters – es muß diesen Sophismen, diesem Unwesen, eine Grenze gezogen werden, es muß wieder bestimt werden, was recht und unrecht ist. Wenn nicht mehr zu unserm Wohl, zu unserm Vortheil, zum wenigsten zur richtschnur unserer Kinder – O! der Feind ist uns nicht so gefährlich als diese einheimische lasterhafte Verschrobenheit, die wirklich aufs Höchste gestiegen ist. Mein inneres Gefühl war schon immer dagegen empört. Diese Schrecken Scene macht daß es sich laut äußert – Es giebt nur eine Sittlichkeit, nur eine Moralität, etwas daran verändern ist vom Bösen –
Hier überschicke ich Meinem gnädigen König 2 Briefe, die ich schon längst meinem allergnädigsten Herrn zuschicken wollte, womit ich denke Sie sollen allerhöchst Denselben gefallen. Auch wollte ich bey erneuerung des Jahreswechsel meinem Könige meine innigsten Wünsche
<3v>
unterthänigst zu Füßen legen. – – Es giebt kein Mensch auf Erden, der einen innigern Antheil an Ew Majestät Zufriedenheit und Glück nehmen kann – Meinem König wollte ich auch noch sagen, daß ich das Geschenk, welches Ew Majestät so gnädig gewesen mir zu machen, für mich behalten habe, auf anrathen meiner Freunde, die nur wißen wie noth es mir ^thut^, worüber ich aber Ew Majestät keine langweilige détails geben kann – je länger ich krank bin, je benöthigter bin ich dieser Hülfe, die mir durch Ew Majestät Gnade geworden – Doch da ich einmal meinem Könige gesagt habe, ich würde etwas davon abgeben, so muß ich meinem König ^sagen^ daß ich es nicht gethan habe, dieses alles trieb mich schon lange an, Allerhöchst den selben einmal wieder mich zu nähern. –
Gro Gievitz Ich ersterbe in tiefster Devotion
den 26t Ew Majestät untertänigste Dienerin
December Marie Kleist
1811

H: Geheimes Staatsarchiv PK, BPH Rep. 49 J Nr. 135

[ R ]

[ ]

Copyright © 2000 by Institut für Textkritik e. V., Heidelberg
Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
[ Webdesign: RR 2000 ]