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Friedrich v. Raumer, Lebenserinnerungen und Briefwechsel. 2 Bde. (Leipzig: Brockhaus 1861), Bd. 1, 239f.

Friedrich v. Raumer an Luise v. Raumer, Berlin, 11. 8. 1811

Berlin, den 11. August 1811.
Auf einem Blatt vor Schlegel’s Almanach standen folgende Verse:
Zwei bedeutende Tag’ eröffnen als Pforten des Lebens,
Diese mit Blumen bekränzt, jene behangen mit Flor,
Beide ernst und ewig geheim; denn gehn wir nicht träumend
In die eine herein, schlummernd zur andern hinaus?

Ich schrieb hinzu: <240:>
Wenige dichten vom Dasein, von jenem Tage des Aufgangs,
Alle fast hoffen hinaus, über die Pforte des Grabs.
Glücklich, wem beides gegeben, und dem auch das dritte nicht fehlet,
Daß er verstehe die Zeit, welche die beiden verknüpft;
Ruhig fließt sie dem einen, im thätigen Wechsel dem andern,
Immer bleibt sie der Weg von der Geburt zu dem Grab;
Gradaus streckt er sich hin, und des Vorrangs darf keiner sich rühmen,
Zeigt sich für jeglichen nicht Gleichheit im Ablauf des Seins?
Dennoch ein Einiges kann das Leben im Leben erhöhen,
Wenn die befreundete Bahn sich um die eigene schlingt.

Gradaus trage die Strahlen der Sonne das Licht und die Wärme,
Aber der endlose Raum bleibet doch finster und kalt.
Und so ergreift sie die Sehnsucht, daß nicht in unendliche Ferne,
Nicht in Ewigkeit fort einsam sich strecke die Bahn;
Sondern ihnen die Erde in fröhlicher Jugend begegne
Und so durch Wechselgespräch werde das Dasein enthüllt.
O ihr glücklichen Strahlen! ihr Auserwählten von allen!
Aber ach! das Geschick treibet die meisten von euch
Rastlos hinaus, und sie hören von fern nur die Erde erklingen,
Senden schweigend im Thau Thränen der Wehmuth hinab.

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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